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Die Praxis des Heiratens: über die Anerkennung verbindlicher Liebesbekenntnisse

Weibel, Fleur. Die Praxis des Heiratens: über die Anerkennung verbindlicher Liebesbekenntnisse. 2024, Doctoral Thesis, University of Basel, Faculty of Humanities and Social Sciences.

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Official URL: https://edoc.unibas.ch/96328/

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Abstract

Eine Heirat ist meist ein besonderer Grund zum Feiern. Doch wie wird dieser emotional und rechtlich bedeutungsvolle Schritt heute zelebriert? Was wird durch die Praxis des Heiratens für das Paar und die Gesellschaft hergestellt? Und wie ist dabei das eigentümliche Verhältnis zwischen den romantisierten Hochzeiten und der vielfach konstatierten Bedeutungsreduktion der Institution Ehe zu verstehen? Die mikrosoziologische Analyse der Praxis des Heiratens begegnet durch die Differenzierung von Eheschließung und Hochzeit sowie die Berücksichtigung hetero- und homosexueller Brautpaare mehreren Forschungsdesideraten und zeigt aus affekt- und geschlechtertheoretischer Perspektive auf, wie Liebesbeziehungen heute durch Versprechen von Glück und Freiheit regiert werden.
Ausgangspunkt der Studie ist die statistisch gesehen markante Reduktion der Bedeutung der Institution Ehe in den letzten Jahrzehnten und die zugleich beobachtbare Hochkonjunktur emotional aufgeladener und romantisierter Hochzeitsinszenierungen. Durch den ethnographischen Zugang zu den aktuellen Praktiken des Heiratens, worunter sowohl der zivilrechtliche Akt der Eheschliessung als auch der symbolische Akt der Hochzeit gefasst wird, trägt die Untersuchung zu einem vertieften Verständnis der Bedeutung und Kontinuität des Heiratens bei und zeigt die Notwendigkeit auf, Statistiken und quantitative Daten durch qualitative Analysen zu ergänzen. Zugleich erweist sich der Einbezug von homosexuellen Paaren – die im Zeitraum der Untersuchung in der Schweiz noch keine Ehe schliessen dürfen, anlässlich ihrer Partnerschaftseintragungen aber dennoch Hochzeiten feiern – als äusserst produktiv für ein umfassendes Verständnis der Praxis des Heiratens.
Anhand von drei Spannungsverhältnissen, die den Themenkomplex der Heirat durchziehen, werden in der Einleitung drei Desiderate der soziologischen Forschung zur Ehe aufgezeigt und Fragestellung, Design sowie Anliegen der Studie vorgestellt. Kapitel 2 nimmt anhand historischer und soziologischer Studien eine Rekonstruktion von drei verschiedenen Phasen der Ehe im 20. Jahrhundert vor. In Kapitel 3 werden die subjekt- wie affekttheoretischen Ansätze vorgestellt, die für das Verständnis der Gleichzeitigkeit von Individualisierung und Konformität in der Praxis des Heiratens grundlegend sind. Diese Grundannahmen zum Zusammenhang von Machtverhältnissen und performativer Subjektivierung sowie zur Verschränkung von Allerpersönlichstem und Überpersönlichem stehen dabei in engem Verhältnis zu den soziologischen Praxistheorien, die wiederum den methodischen Zugang zu den Praktiken des Heiratens inspiriert haben. Abschliessend wir der ethnographische Datenkorpus vorgestellt, der durch die teilnehmende Beobachtung von elf Hochzeiten und die leitfadengestützten Interviews mit 24 frisch verheirateten Einzelpersonen erstellt wurde.
In den folgenden fünf empirischen Kapiteln werden unterschiedliche Praktiken des Heiratens beleuchtet: In Kapitel 4 der Entschluss der Paare für die Heirat und die zentrale Bedeutung der ebenso romantisierten wie vergeschlechtlichten Praktik des Heiratsantrags; in Kapitel 5 die Wahl der Form der Heirat, die typischerweise eine feierliche und rechtliche Anerkennung sowie eine paarinterne Bestätigung der Liebesbeziehung umfasst; Kapitel 6 beleuchtet die theatrale Praxis der Hochzeit, die auch als schönster Tag im Leben (insbesondere von Frauen) bekannt ist und nicht nur mit hohen Ansprüchen an ein perfektes Gelingen, sondern auch einer Romantisierung von Geschlechterdifferenz und -komplementarität einhergeht; Kapitel 7 dreht sich um die Frage, wie die hohen Scheidungsraten von den Paaren gedeutet werden und wie sie ihre verbindlichen Liebesbekenntnisse gegenüber der gesellschaftlich ‘normalisierten’ Scheidung positionieren; in Kapitel 8 schliesslich wird am Beispiel der Namenswahl diskutiert, wie sich die Gesetzesnormen des Eherechts zu den individuellen Bedürfnissen der Paare verhalten und aufgezeigt, dass eine formale Gleichstellung nicht unmittelbar zu einer gleichberechtigten Praxis führt.
Im Fazit werden die zentralen Einsichten aus der empirischen Analyse auf einer Metaebene weitergedacht und aufgezeigt: Es wird ausgeführt, warum es für das Verständnis der Praxis des Heiratens zentral ist, eine Differenzierung von Eheschliessung und Hochzeit im Begriff der Heirat vorzunehmen, in der Analyse aber zugleich die vorherrschende Verschränkung des zivilrechtlichen und zeremoniellen Akts in den Blick zu nehmen. Durch diese analytische Trennung und gleichzeitige Betrachtung von Hochzeit und Eheschliessung lassen sich ebenso wie durch die vergleichende Analyse der rechtlich voneinander unterschiedenen Realitäten der hetero- und homosexuellen Hochzeitspaare wesentliche Erkenntnisse gewinnen und offene Fragen in der soziologischen Forschung zur Ehe schliessen.
Durch die affekt- und subjekttheoretische Annahme einer grundlegenden Abhängigkeit der Subjekte von Anerkennung kann weiter gezeigt werden, inwiefern die Heirat eine wirkmächtige Regierungstechnik ist: Liebesbeziehungen werden heute kaum mehr durch Verbote, sondern vielmehr durch Versprechen von Glück und Freiheit regiert, wobei deren erfolgreiche Gestaltung in der Verantwortung der Einzeln liegt.
Vor diesem Hintergrund ist die Öffnung der Ehe für homosexuelle Paare, die in der Schweiz 2022 vollzogen wurde, nicht nur im Sinne eines emanzipatorischen Wandels hin zu mehr Gleichberechtigung zu verstehen. Für eine wirkliche Gleichberechtigung im Sinne der gleichwertigen Anerkennung von Differenz bedürfte es, so der Ausblick der Studie, einer Entkoppelung der Verschränkung von Liebe und Recht, also von Hochzeit und Eheschliessung, die die hegemoniale Praxis des Heiratens auszeichnet und ihre Kontinuität trotz allen Wandels im persönlichen Zusammenleben wesentlich begründet.
Advisors:Maihofer, Andrea
Committee Members:Maeder, Christoph
Faculties and Departments:04 Faculty of Humanities and Social Sciences > Departement Gesellschaftswissenschaften > Ehemalige Einheiten Gesellschaftswissenschaften > Geschlechterforschung (Maihofer)
UniBasel Contributors:Weibel, Fleur and Maihofer, Andrea
Item Type:Thesis
Thesis Subtype:Doctoral Thesis
Thesis no:15301
Thesis status:Complete
Number of Pages:341
Language:German
Identification Number:
  • urn: urn:nbn:ch:bel-bau-diss153011
edoc DOI:
Last Modified:22 Mar 2024 15:11
Deposited On:13 Mar 2024 12:23

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