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“The Ghost in Man, the Ghost that once was Man”. Die Bedeutung des modernen Spiritualismus im Viktorianischen England

Pavic, Kathrin. “The Ghost in Man, the Ghost that once was Man”. Die Bedeutung des modernen Spiritualismus im Viktorianischen England. 2008, Master Thesis, University of Basel, Faculty of Humanities and Social Sciences.

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Abstract

Die Menschheit war schon immer an okkulten Phänomenen interessiert. Auch der Glaube an Kommunikation mit den Verstorbenen war in verschiedenen Formen zu allen Zeiten und in allen Regionen der Welt verbreitet. In aussereuropäischen Kulturen erfolgte die Kommunikation mit den Geistern der Vorfahren durch die Vermittlung von Sehern oder Schamanen, die sowohl in der Praktizierung religiöser Rituale als auch medizinischer Praktiken eine wichtige Rolle spielten. Einige Parallelen zu diesen Praktiken und Vorstellungen lassen sich auch im so genannten „modern Spiritualism“, mit dem sich diese Arbeit auseinandersetzt, finden. So übernahm das Medium bis zu einem bestimmten Grad die Vermittlerrolle des Schamanen oder Sehers zwischen Diesseits und Jenseits. Beim modernen Spiritualismus handelte es sich um eine Bewegung, die um 1848 ihren Anfang in Nordamerika nahm und im Laufe der 1850er Jahr auch in England Verbreitung fand. Mit dem Zusatz „modern“ wollte man sich von abergläubischen Vorstellungen wie Zauberei, Hexerei und dämonischer Besessenheit abgrenzen. Auf diese Weise sollte zum Ausdruck gebracht werden, dass es sich beim modernen Spiritualismus um eine innovative Bewegung handelte, die mit modernen Vorstellungen nicht nur vereinbar war, sondern neue religiöse, philosophische und gar wissenschaftliche Erkenntnisse lieferte. Im Gegensatz zu ähnlichen Vorstellungen im Mittelalter und der Frühen Neuzeit oder bei anderen Kulturen legte der moderne Spiritualismus seinen Schwerpunkt auf Beweise. Es wurde nicht einfach „nur“ geglaubt, sondern man wollte die Phänomene, die ihm innewohnten, wissenschaftlich verifizieren. Der Schwerpunkt dieser Arbeit liegt denn auch auf der Untersuchung des Verhältnisses von Wissenschaft und Spiritualismus und der sozialen und kulturellen Bedeutung der spiritualistischen Bewegung in der Viktorianischen Gesellschaft.Das fundamentale Prinzip, auf dem der Spiritualismus beruhte, war der Glaube, dass die Seele den körperlichen Tod überlebe und dass darüber hinaus ein Verkehr zwischen Toten und Lebenden möglich sei. Für die Kommunikation zwischen Lebenden und Toten war die Anwesenheit einer Person mit medialen Fähigkeiten von zentraler Bedeutung. Die Kontaktaufnahme mit dem Geist Verstorbener erfolgte in einer Séance: Einer Gruppensitzung, die meist in einem verdunkelten Raum stattfand und in deren Mittelpunkt sich das Medium befand, das die Botschaften der Geister kommunizierte. Dabei traten teilweise spektakuläre paranormale Phänomene auf, wie beispielsweise Materialisationen, Klopfgeräusche und Levitationen. Auf der theoretischen Ebene richtete sich der Spiritualismus gegen den religionskritischen Materialismus des 19. Jahrhunderts. Es war folglich eine Bewegung, die sich mitten im Spannungsfeld zwischen Religion und Wissenschaft befand. Der Spiritualismus verband religiöse Vorstellungen mit wissenschaftlichem Vorgehen. Die spiritualistische Bewegung löste Kontroversen und Diskurse zwischen Befürwortern und Skeptikern aus Wissenschaft, Kirche und Literatur aus. Zu den Befürwortern des Spiritualismus gehörten unter anderem Persönlichkeiten wie die Schriftsteller Arthur Conan Doyle und Elizabeth Barett-Browning, der sozialistische Politiker Robert Owen und der Chemiker William Crookes.Im Laufe dieser Arbeit hat sich gezeigt, dass die meisten Medien zwielichtige Gestalten waren, deren Wahrhaftigkeit keineswegs über alle Zweifel erhaben war. So wurden bekannte Medien wie Florence Cook und Eusapia Palladino beim Betrügen erwischt. Selbst die Ehrlichkeit des „Mediums der Könige“, D. D. Home, wurde von mehreren Zeugen in Frage gestellt, auch wenn er nie direkt beim Mogeln ertappt worden ist. Einzig Leonara Pipers mediale Fähigkeiten schienen über jeden Zweifel erhaben. Bis heute ist man sich jedoch uneins darüber, ob es sich bei Piper nun wirklich um ein ausserordentlich begabtes Medium oder schlicht um eine schlaue Betrügerin gehandelt habe.Es wäre sicherlich pauschalisierend zu behaupten, alle Medien wären Betrüger gewesen, die die Sitzungsteilnehmer bewusst hinters Licht führten. Es ist aber auffällig, wie viele von ihnen letztendlich beim Betrügen ertappt worden sind. Eine interessante Frage ist, welche Gründe so genannte „Medien“ überhaupt zum Betrug bewogen haben mögen. In manchen Fällen war sicher Habgier von besonderer Bedeutung. Die Trauer und der Schmerz von Menschen, die jemanden verloren haben, wurden ausgenützt, um sich persönlich zu bereichern. Ein anderer Faktor war sicherlich der Drang nach Profilierung. Medien wurde viel öffentliche Aufmerksamkeit und Bewunderung entgegengebracht. Gerade weibliche Medien konnten sich so aus ihrer traditionellen Frauenrolle lösen und sich auf diese Weise anders ausleben als dies als Hausfrau oder Mutter möglich gewesen wäre und ins Rampenlicht der Öffentlichkeit treten. Ein Punkt, der sicher noch weiterer Untersuchungen bedarf.Man muss jedoch davon ausgehen, dass einige durchaus überzeugt waren, übersinnliche Fähigkeiten zu haben. Ob dieser Glaube nun auf Hysterie oder Geisteskrankheit beruhte, darauf gibt es keine allgemeingültige Antwort. Nimmt man jedoch an, dass Medien über paranormale Fähigkeiten verfügten, wäre der Leistungsdruck eine mögliche Erklärung für die gehäuften Betrugsvorfälle. Medien griffen zu Tricks, wenn sie einen schlechten Tag hatten, um die Erwartungen der Sitzungsteilnehmer dennoch zu erfüllen. Trotz ihrer Zwielichtigkeit erfreuten sich Medien im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts einer enormen Popularität. Ihnen wurde zwar mit vielen Zweifeln und Kritik begegnet, dennoch übten sie eine grosse Anziehung auf die Menschen aus. Die Ursache dafür war, dass der moderne Spiritualismus sowohl auf der gesellschaftlichen wie auf der persönlichen Ebene gewisse Bedürfnisse befriedigen konnte. Der Spiritualismus richtete sich in erster Linie gegen den damals vorherrschenden Materialismus. Er erfüllte die Menschen in einer Zeit der religiösen Verunsicherung mit neuer Hoffnung, indem er einen Beweis für die Existenz eines Jenseits zu liefern schien, und zwar jenseits von einer konfliktgeschüttelten Kirche. Dies gab den „Victorians“ einen Teil ihrer verloren geglaubten Spiritualität zurück. Genauer betrachtet nahm die spiritualistische Bewegung eine Sonderstellung zwischen Religion und Wissenschaft ein, was sicher ein Teil ihres Erfolges ausmachte. Sie vermittelte einen religiös geprägten Inhalt, aber mit einem Verweis auf wissenschaftliche Nachprüfbarkeit. Auf der persönlichen Ebene versprach die spiritualistische Bewegung all jenen Menschen Trost, die geliebte Menschen verloren hatten. Die unüberwindbare Grenze zwischen Lebenden und Toten schien zu schwinden, denn nun war eine Kommunikation zwischen dem Diesseits und Jenseits möglich. Aber auch wenn der Spiritualismus bei manchen Personen schon fast den Platz einer Ersatzreligion einnahm, darf man nicht vergessen, dass sein Erfolg zu einem grossen Teil auf seinem Unterhaltungswert basierte. So wurden in der besseren Gesellschaft Séancen und Tischrücken als Zeitvertreib betrieben. Aber auch die Mittelschicht und die Arbeiterklasse besuchten öffentliche Veranstaltungen von Medien, die eher darauf ausgerichtet waren, das Publikum in Erstaunen zu versetzen als spirituell zu bereichern. Durch soziale Verbesserungen während der Viktorianischen Ära kam ein immer grösserer Teil der Bevölkerung in den Genuss von Freizeit. Man besuchte „Recreation Gardens“ und „Music Halls“. Das von den „Music Halls“ gebotene Variétéprogramm erfreute sich vor allem gegen Ende des 19. Jahrhunderts einer grossen Beliebtheit. Auftritte von Zauberkünstlern waren schon in den 1840er Jahren populär. Die Tricks, die die Zauberer vorführten, wurden von betrügerischen Medien übernommen, um die Teilnehmer an Séancen zu täuschen. Wahrscheinlich hatten die Zaubershows sogar einen erheblichen Einfluss auf den Erfolg, den der Spiritualismus ab 1853 in England erzielte.Die spiritualistische Bewegung war bei weitem nicht nur ein Phänomen der Mittelklasse und Oberschicht, sondern durchdrang alle sozialen Klassen gleichermassen. Die verschiedenen sozialen Klassen verfolgten ihre spiritualistischen Aktivitäten aber streng voneinander getrennt. Während sich die Arbeiterschaft in Versammlungshallen traf, kam die Oberschicht in privaten Salons zusammen. Die Spiritualistischen Aktivitäten der verschiedenen sozialen Schichten unterschieden sich jedoch nicht nur in den Versammlungsorten, sondern nahmen auch unterschiedliche Ausrichtungen an. So nahm der Spiritualismus in der Arbeiterschaft eine deutliche sozialistische und anti-christliche Orientierung an. Ihm wurde eine revolutionäre Kraft zugeschrieben, die schliesslich zu einer Verbesserung der Gesellschaft führen sollte. In der Mittelklasse hingegen überwog der so genannte christliche Spiritualismus. In der Kommunikation mit den Geistern sah man die Bestätigung der christlichen Lehren. Beim modernen Spiritualismus handelte es sich also offensichtlich um eine flexible Bewegung, die Spielraum für verschiedene Strömungen und Auslegungen liess. Folglich war der Spiritualismus im Allgemeinen eine demokratische Bewegung. Menschen verschiedener Klassen, politischer Meinung und religiöser Ausrichtung konnten daran teilnehmen. Im Gegensatz zu den okkulten Zirkeln des fin-de-siècle, die der bürgerlichen Elite vorbehalten waren und stark selektiv geprägt waren. Auch die „Psychical Research“, deren Ziel es war, unerklärliche Phänomene und Vorkommnisse mit wissenschaftlichen Methoden zu untersuchen, wurde deutlich von der intellektuellen Mittelschicht dominiert. Die Mitglieder der SPR (Society for Psychical Research) waren zumeist Akademiker, Literaten, Juristen und Geistliche. Ziel der Gesellschaft war es, durch ihre Untersuchungen der „Psychical Research“ eine wissenschaftliche Legitimation zu verschaffen. Der Bezug auf wissenschaftliche Nachweisbarkeit war ein zentraler Aspekt des Spiritualismus. Seit Beginn der Bewegung im Jahre 1848 waren Naturwissenschaftler darum bemüht, die Ursachen für die Phänomene und Manifestationen zu ergründen. Dabei widerspiegelten die Erklärungsmodelle die wissenschaftliche Entwicklung der jeweiligen Dekade. Angefangen beim Mesmerismus mit seinem Bezug auf den magnetischen Fluss, was die Faszination des 18. Jahrhunderts für ominöse Fluida reflektierte, bis zu physikalischen Thesen, die versuchten eine Analogie zwischen elektrischen und magnetischen Kräften und den Fähigkeiten von Medien herzustellen. Zu Beginn des Spiritualismus suchte die Wissenschaft die Erklärung für dessen Phänomene in äusseren Faktoren, also beispielsweise in physikalischen Kräften oder übersinnlichen Mächten. Danach folgten Hypothesen über unbekannte Kräfte, die vom Medium selbst ausgingen. Man sprach von einer „psychic force“ oder „odic power“. Der Physiologe Carpenter war zwar auch der Ansicht, die Phänomene würden vom Individuum selbst ausgelöst, er bezog sich aber nicht auf irgendeine unbekannte Kraft, sondern auf natürlich erklärbare mentale Reflexe. Es fand also eine Verlagerung statt von äusseren zu inneren Faktoren, die durch den zunehmenden Einfluss der Psychoanalyse noch verstärkt wurde. So setzten sich die Mitglieder der SPR neben der Telepathie vorwiegend mit Fragen nach dem menschlichen Unterbewusstsein auseinander. Sie zogen das bis anhin unbekannte Ausmass des Unterbewusstseins in ihre Untersuchungen mit ein und stellten Zusammenhänge zwischen psychischen Krankheiten wie Schizophrenie und Dissoziation und den verschiedenen „Persönlichkeiten“ eines Mediums her. Der Spiritualismus wurde aber nicht von allen Wissenschaftlern als wissenschaftlich untersuchenswert erachtet. So kam es zu Konflikten unter den Forschern selbst und zwar sowohl über den Sinn dieser Untersuchungen im Allgemeinen als auch über die verschiedenen Erklärungsansätze für sie. Letztlich handelte es sich um Diskurse über die Definition dessen, was in den Bereich der Wissenschaft gehört und was nicht. Die Parapsychologie sieht sich bis heute mit diesem Problem konfrontiert, da sie nicht vollumfänglich als eine wissenschaftliche Disziplin akzeptiert wird. Viele Fragen konnten nicht vollkommen geklärt werden, da der Spiritualismus eine Bewegung war, die sich im Grenzbereich zwischen Fakten und Fiktion, Wahrheit und Betrug und Wissen und Nicht-Wissen bewegte. Der Spiritualismus kann aber mit Bestimmtheit als ein Spiegel seiner Zeit betrachtet werden. Er ist vor allem als Gegenreaktion auf den Materialismus zu verstehen. Er reflektiert auf der einen Seite die Suche nach Spiritualität einer religiös verunsicherten und desillusionierten Gesellschaft. Auf der anderen Seite repräsentiert er aber auch deren wachsendes Vertrauen in die Allmacht der Wissenschaft, alles erklären zu können, auch das Übersinnliche. Es handelte sich folglich um eine Bewegung, die religiöse Züge trug, aber auch auf die wissenschaftliche Beweiskraft vertraute und philosophische Ideen miteinbezog.
Abb.: Das Medium Daniel Dunglas Home demonstriert vor einer erstaunten Gesellschaft eine Levitation. Aus: Encyclopedia of the Unexplained. Magic, Occultism and Parapsychology, Richard Cavendish (Hg.), London 1989, S. 134.
Advisors:Haumann, Heiko
Faculties and Departments:04 Faculty of Humanities and Social Sciences > Departement Geschichte > Ehemalige Einheiten Geschichte > Osteuropäische und neuere Geschichte (Haumann)
UniBasel Contributors:Haumann, Heiko
Item Type:Thesis
Thesis Subtype:Master Thesis
Thesis no:UNSPECIFIED
Thesis status:Complete
Last Modified:05 Apr 2018 17:39
Deposited On:06 Feb 2018 11:27

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