edoc

Von der Kunst sich unsichtbar zu machen und anderen «Gaukeleien». Zwei Kinderhexenfälle aus dem Bistum Basel im 16. und 17. Jahrhundert

Nünlist, Nadia. Von der Kunst sich unsichtbar zu machen und anderen «Gaukeleien». Zwei Kinderhexenfälle aus dem Bistum Basel im 16. und 17. Jahrhundert. 2010, Master Thesis, University of Basel, Faculty of Humanities and Social Sciences.

Full text not available from this repository.

Official URL: https://edoc.unibas.ch/60449/

Downloads: Statistics Overview

Abstract

Am Anfang meiner Lizentiatsarbeit steht das scheinbar harmlose Kinderspiel eines elsässischen Jungen aus dem 16. Jahrhundert: Der elfjährige Jacob Omeisen bastelte sich mit  einer Spielgefährtin ein Reitseil und ritt darauf, bis er plötzlich verschwand und damit seiner Kameradin einen gehörigen Schrecken einjagte. Dass dieser Kinderstreich den Auftakt zu einem Bericht voller phantastischer Begebenheiten bildet und letztlich sogar ein Hexereiverfahren ins Rollen brachte, ahnte ich noch nicht, als ich im fürstbischöflichen Archiv in Porrentruy auf dieses Dokument stiess. Dass Hexenverfolgungen ein Phänomen der Frühen Neuzeit waren und nicht nur, wie man heute oft hört, im «düsteren Mittelalter» stattfanden, war mir zwar bewusst, doch dass auch Kinder verfolgt und gar hingerichtet wurden, war eine neue Erkenntnis. Als sich bei der Suche nach näheren Informationen herausstellte, dass Kinderhexen in der ansonsten zur Zeit boomenden Hexenforschung höchstens als Randerscheinung auftreten, fasste ich den Entschluss, etwas zu unternehmen, um diese «Wissenslücke» zu füllen.
Per Zufall stiess ich auf einen weiteren Kinderhexenfall, der ebenfalls im Bistum Basel, im heutigen Elsass, situiert war und sich nur vierundzwanzig Jahre nach dem ersten Fall ereignet hatte. Die beiden Fälle der Jungen Jacob Omeisen von 1589 und Marx Hopff von 1613 stehen im Zentrum meiner Arbeit. Anhand ihrer Verfahren konnte ich exemplarisch vorführen, wie Kinderhexenprozesse entstanden, was sie ausmachte und warum wir uns auch heute noch damit beschäftigen sollten.
Die beiden FallstudienJacob Omeisen stammte aus Oberburnhaupten im heutigen Elsass und fiel dadurch auf, dass er beim Spielen auf dem Reitseil plötzlich von ebendiesem verschwand und damit seinen SpielkameradInnen einen gehörigen Schrecken einjagte. Auf die Frage, wo er denn gewesen sei, sagte er, er sei zum Teufel gefahren und sei mit diesem eine Wette eingegangen. Diese Geschichte veranlasste die Obrigkeit von Thann, eine Inquisition einzuleiten, in der der sich herausstellte, dass der elfjährige Junge seine Kunststücke von der kürzlich verstorbenen Grossmutter erlernt hatte. Jacob wurde sofort von seinen AltersgenossInnen entfernt, also in Verwahrung genommen, und über einen Zeitraum von ca. 3 Monaten verhört. Laut der Inquisitionsakte soll er an Hexenversammlungen teilgenommen haben, obwohl er mit seinen elf Jahren eigentlich noch zu jung dafür war. Der Teufel habe ihm Pulver gegeben, um das Vieh krank zu machen und ihm gezeigt, wie man Regen machen könne. Zudem habe der Teufel ihn dazu angestiftet, ihm junge Mädchen zu bringen, die er verführen könne. Als er einmal aus der Kirche gekommen sei, habe er ihm damit gedroht, ihn zu schlagen, wenn er noch einmal beten gehe.
Ob durch Jacobs Aussagen noch andere Kinder unter Verdacht gerieten, kann leider nicht mehr eruiert werden. Auch Jacobs eigenes weiteres Schicksal liegt im Dunkeln, weil die weitere Korrespondenz zwischen dem Bischof von Basel und der Obrigkeit von Thann unauffindbar ist. In der Missive, die der Bischof an den Schaffner und auch an den Pfarrer geschrieben hat, ordnet er an, dass der Junge durch Beten und Kirchenbesuche zurück in den Schoss der Kirche geführt werden sollte.
Der zweite Fall des elfjährigen Marx Hopff aus Ensisheim beginnt ähnlich, endet aber für den Jungen wenige Jahre später tödlich. Marx, der Sohn des Buchbinders von Ensisheim wurde in der Schule «in flagranti» erwischt, wie er mit verborgenen Künsten prahlte, die er seinen Mitschülern aus dem Büchlein des «Doktor Faust» lehren wollte. Umgehend wurde der Junge aus der Schule entfernt; ein Verfahren wurde aber noch nicht eröffnet. Stattdessen arbeitete er in der Werkstatt seines Vaters. Doch schon im folgenden Jahr reichte ein Mann Klage gegen Marx ein, der angeblich sein Mädchen dem Teufel «zugeführt» haben soll. Der Junge wurde daraufhin in Arrest genommen und von der Obrigkeit befragt, wobei er freiwillig, ohne die Androhung von Folter, von allerhand Teufelswerken erzählte. Obwohl die Befrager seine Geschichten als Lügen und Fabeln abtun wollten, beharrte der Junge auf seinem Geständnis. Dieses lässt sich nur noch aus der Zusammenfassung des Schultheissen ersehen, da die Inquisitionsakte verschollen ist. Marx gestand, dass in einer Nacht, als er im Büchlein von Doktor Faust gelesen hatte, eine alte Hexe zu ihm gekommen sei und ihn mit zu einer Versammlung genommen habe, wo sich der Junge dem Teufel verschrieb. Marx behauptete, er könne Hagel und Regen machen und er gestand, er habe einen Bettler vergiftet, Zwietracht zwischen Eheleute gestreut und Rindvieh getötet. Belastend kam noch dazu, dass man am Schenkel des Jungen ein schmerzunempfindliches Mal entdeckte - ein untrügliches Hexenzeichen. Während der Inquisition befand sich der Junge im Haus des Schultheissen in Verwahrung, doch auch dort trieb er sein Unwesen weiter. Er kam daraufhin in die Obhut der Kapuziner, was aber auch nicht fruchtete. Als schliesslich Marx selbst um seine Enthauptung bat, da ihm anders nicht geholfen werden könne, richtete sich der Schultheiss hilfesuchend an den Bischof von Basel. Der Bischof lehnte aufgrund des jungen Alters des Knaben eine sofortige Hinrichtung ab und versprach, jemanden zu schicken, der sich der Sache annehmen würde. Damit endet die auffindbare Korrespondenz zwischen Ensisheim und dem Bischof von Basel und für fünf Jahre blieb sein weiteres Schicksal im Dunkeln.
Doch dann, im Jahr 1618, tauchte er plötzlich im Malefizprotokoll der Stadt Ensisheim wieder auf. Leider ist die Inquisitionsakte nicht mehr vorhanden, sondern nur noch Marx' Verzicht (Geständnis). Offenbar hatte er erneut Kindern das Hexen beibringen wollen. Marx gestand diesmal, dass er sich einige Jahre zuvor schon mit dem Teufel eingelassen hatte, folglich eine «Teufelsbuhlschaft» eingegangen war, worauf die Todesstrafe stand. Ausserdem gab er zu, einen kleinen Jungen auf Geheiss des Teufels umgebracht zu haben und auch Tiere geschädigt zu haben. Schliesslich gestand er, dass er wenige Wochen zuvor erneut eine Liaison mit dem Teufel eingegangen sei, worauf er zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt wurde, denn nun schützte ihn sein Alter nicht mehr.
ErgebnisseBei der Beschäftigung mit den Kinderhexenprozessen hat sich gezeigt, dass Kinderhexen einerseits ein weit verbreitetes Phänomen waren, doch andererseits handelt es sich gerade um ein Phänomen, das sich durch seine Heterogenität auszeichnet. Man kann weder einen prototypischen Kinderhexenfall konstruieren, noch die typische Kinderhexe charakterisieren. Diese Tatsache lässt sich darauf zurückführen, dass nur schon die Ausgangslagen für die Kinderhexenprozesse sehr verschieden sein konnten. Die Kinder stammen aus den unterschiedlichsten Familienverhältnissen und sozialen Schichten. Es waren also nicht ausschliesslich arme Kinder oder Bettler, die in den Verdacht der Hexerei geraten konnten, sondern auch Kinder aus etwas besser gestellten Handwerker- oder gar Pfarrersfamilien wie in Salem. Einige Kinder lebten noch in ihrer Familie, andere in fremden Haushalten. Oft hatten die Kinderhexen ein oder sogar beide Elternteile verloren. Was die Bildung betrifft, so wurde wahrscheinlich allen Kinderhexen eine religiöse Erziehung zuteil, während die Schulbildung noch nicht flächendeckend verbreitet war.
Wendet man sich den Hexenprozessen selbst zu, ergeben sich unzählige weitere unterschiedliche Varianten. Nur schon bei der Denunziation gab es ein breites Spektrum an Möglichkeiten: Die Kinder konnten durch kursierende Gerüchte ins Visier der Inquisition geraten, aber auch wenn sie «in flagranti» erwischt wurden oder einen Verwandten denunzierten und die Anklage auf sie selbst zurückfiel. Kam eine Inquisition erst einmal ins Rollen, gab es auch verschiedenartige Geständnisse. Einige Kinder gestanden die ganze Palette an Malefizverbrechen, bei anderen waren die Verbrechen noch relativ harmlos. In einigen Fällen denunzierten sich die Kinder selbst, in anderen Fällen zogen sie noch andere Kinder und Erwachsene mit in den Prozess, so dass es zu regelrechten Prozesswellen kam. Auch bei der Beurteilung der Kinderhexen durch die Richter ist ein grosser Handlungsspielraum erkennbar. Im Grunde genommen konnte jeder Fall individuell bewertet werden, da es für minderjährige Hexen keine genauen Richtlinien gab.
Das Charakteristische an Kinderhexen scheint also gerade darin zu liegen, dass sie nicht einheitlich charakterisiert werden können. Dennoch gibt es auch eine Reihe von Gemeinsamkeiten bei den Kinderhexenfällen. In allen Fällen, mit denen ich im Rahmen meiner Recherchen konfrontiert wurde, haben die Kinder neben dem Kontakt zum Teufel selbst noch einen eigenen Teufel oder Dämon, der sich ausschliesslich um sie kümmert. Dieser war für sie offenbar häufig wie ein Freund, konnte aber im Verlauf der «Hexenlaufbahn» zum persönlichen Buhlen werden. Ausserdem lösten Kinderhexen auf jeden Fall Diskussionen zu ihrer rechtlichen Behandlung aus. Dies beweist unter anderem, dass Kinder in der Frühen Neuzeit schon als etwas Besonderes betrachtet wurden, und anders als Erwachsene behandelt werden mussten. Ausserdem ist allen Kinderhexen, egal ob sie hingerichtet wurden oder nur zur christlichen Erziehung verurteilt wurden, gemeinsam, dass sie Opfer waren. Bei den Kindern, die zum Tode verurteilt wurden, ist dies offensichtlich; doch auch Kinder, die wieder freikamen, sind als Opfer zu betrachten. Häufig waren sie monatelang eingesperrt gewesen, isoliert von ihren Familien und beschäftigten sich mit nichts anderem als teuflischen Hexereien. Abgesehen davon, dass sie und ihre Familien wohl auch nach dem Freispruch argwöhnisch beobachtet wurden, hatte dies sicherlich auch bleibende psychische Folgen für die Kinder, die heute natürlich nicht mehr nachgewiesen werden können.
Auch jene Kinder, die scheinbar aus Bosheit Verwandte und Bekannte auf den Scheiterhaufen brachten, können als Opfer betrachtet werden. Denn auch diese Kinder waren trotz ihrer gezielten Lügen Opfer der Umstände, in die sie hineingeboren wurden. Sie lebten in einer Zeit, in der die Existenz von Hexen eine Tatsache darstellte und sie von allen Seiten mit dem Wissen über das Hexenwesen konfrontiert wurden. Die Eltern, die Schule und die Kirche drohten mit dem Teufel und lieferten den Kindern das nötige Wissen, das sie bei den Verhören überzeugend auftreten liess. Ihre Lebensumstände waren zudem geprägt von den Krisen der Zeit, die durch die kleine Eiszeit verursacht wurden, so dass Hunger und Armut häufig zum Alltag gehörten. Darüber hinaus fehlte den Erwachsenen das Verständnis für die Phantasie und die Spiele der Kinder, in denen sich der Hexenglauben niederschlug. Alle diese Elemente bildeten zusammen die Grundlage für die Kinderhexenprozesse.
Einige Fragen sind aber dennoch offen geblieben. Ob die Kinder wirklich glaubten, was sie erzählten, oder ob sie bewusst logen, kann im Einzelfall wohl kaum noch eruiert werden. Ich halte es für wahrscheinlich, dass sich auch für Kinder der Frühen Neuzeit die Realität mit der Phantasie vermischte und aus ihren Kinderspielen plötzlich dämonische Handlungen werden konnten.
Der Wert der Quellen und der Umgang mit ihnen gibt auch zu einigen Gedanken Anstoss. Natürlich kommen, in diesen Quellen für einmal Kinder zu Wort, von denen es sonst aus der Frühen Neuzeit nichts zu «hören» gibt. Aber man darf nicht ausser Acht lassen, dass aus diesen Quellen nicht die Kinder direkt sprechen, sondern ihre Aussagen einerseits durch die Inquisitoren beeinflusst waren und andererseits bei der Niederschrift auch noch von den Schreibern gefiltert wurden. Daher zeigt sich in den Kinderhexeninquisitionen eher das Bild, das die Obrigkeit von den Kinderhexen hatte, als das Selbstverständnis der Befragten. Gerade in den beiden hier untersuchten Fallstudien gaben die vorliegenden Quellen nicht sehr viel über das Alltagsleben der Hexenjungen her. Es wäre also nötig, noch zusätzliche Quellen herbeizuziehen, was allerdings schwierig ist, da Kinder ja eben sonst keine bleibenden Spuren für uns HistorikerInnen hinterlassen haben. Es wäre sicherlich spannend, in den Archiven von Colmar oder auch in Innsbruck und Wien nach weiteren Kinderhexenprozessen für das Gebiet des Elsass zu suchen. Doch wie die beiden vorliegenden Fallstudien gezeigt haben, stösst man häufig aus purem Zufall auf solche Quellen.
Advisors:von Greyerz, Kaspar
Faculties and Departments:04 Faculty of Humanities and Social Sciences > Departement Geschichte > Ehemalige Einheiten Geschichte > Geschichte der frühen Neuzeit (von Greyerz)
UniBasel Contributors:Von Greyerz, Kaspar
Item Type:Thesis
Thesis Subtype:Master Thesis
Thesis no:UNSPECIFIED
Thesis status:Complete
Last Modified:05 Apr 2018 17:38
Deposited On:06 Feb 2018 11:27

Repository Staff Only: item control page