edoc

Geschichte, Geschichtsschreibung und Instrumentalisierung: Die Kontroverse um den Zagreber Erzbischof Alojzije Stepinac während des NDH und danach

Keigel, Nathalie. Geschichte, Geschichtsschreibung und Instrumentalisierung: Die Kontroverse um den Zagreber Erzbischof Alojzije Stepinac während des NDH und danach. 2010, Master Thesis, University of Basel, Faculty of Humanities and Social Sciences.

Full text not available from this repository.

Official URL: https://edoc.unibas.ch/60273/

Downloads: Statistics Overview

Abstract

Gegenstand der Arbeit bildet die Betrachtung einer der umstrittensten Persönlichkeiten Kroatiens während des Unabhängigen Staates Kroatien (Nezavisna Država Hrvatska, NDH 1941-1945), Alojzije Viktor Stepinac (1898-1960). Von den einen als «Heiligen Märtyrer» verehrt - 1998 wurde er vom Papst selig gesprochen -, verurteilen ihn andere als Helfershelfer Ante Pavelićs (1889-1959), des poglavnik («Führer») des NDH, der sich am italienischen und deutschen Faschismus orientierte. Es wurde dabei versucht, anhand einer mehrperspektivischen Betrachtung der Kontroverse um den Erzbischof über die Dauer seines zeitgenössischen Wirkens bis in die heutige Zeit, die Bedingungen von Kollaboration und Widerstand genauer zu bestimmen und schliesslich anhand der Beschaffenheit seiner Erinnerung innerhalb verschiedener Gruppen Rückschlüsse auf deren Funktion in den jeweiligen Nationsprozessen ziehen zu können.
Die Quellenlage war gut; ich konnte mich auf umfangreiche publizierte Quellenbestände der Kroatischen Katholischen Kirche (im Folgenden: KKK), des Vatikans, der Regierung und der faschistischen Ustaša-Bewegung und weiterer Institutionen stützen. Bedauerlicherweise ist es sowohl bei der Korrespondenz zwischen Stepinac und dem Vatikan, als auch seinen Tagebüchern bisher noch nicht zu einer Veröffentlichung gekommen. Die Versuche, eine Einsicht zu bekommen, führten nicht zum Erfolg. Gerade diese Zurückhaltung der Quellen durch die Kirche ist es jedoch, die einem Abbau um die nachträglich ambivalent geführte Debatte um den Erzbischof nicht zuträglich ist, sondern geradezu eine Grundvoraussetzung für das Ent- und Bestehen eines kontroversen Narrativs bildet.
Errichtung des NDH, Verfolgung von Juden und ambivalente Haltung des Erzbischofs
Nach der Errichtung des NDH am 10. April 1941 kam es zu einer Befürwortung der Staatserrichtung durch Stepinac in Form eines an den kroatischen Klerus gerichteten Rundschreibens, weil er auf eine starke Stellung der Kirche im neu ausgerufenen Staat hoffte. Dies geschah zu einer Zeit, in der die antijüdischen und antiserbischen Kampagnen bereits im Gange waren. Die geäusserte Hoffnung der KKK ist dabei im Kontext ihres historischen Selbstverständnisses zu begreifen, sich als Bollwerk des katholischen Christentums gegen den Islam im Osmanischen Reich und gegen die pravoslavische Orthodoxie Serbiens zu verstehen. Im ersten jugoslawischen Staat (1918-1929 kraljevina Srba, Hrvata i Slovenaca, Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen, 1929-1941 kraljevina Jugoslavija, Königreich Jugoslawien) wurden nationale Vorstellungen von der KKK bis hin zum Wunsch eines eigenen Staates unterstützt und gefördert. Dabei spielten die Vormachtsansprüche Serbiens und der Serbisch-Orthodoxen Kirche (im Folgenden: SOK) eine wesentliche Rolle, als sich die KKK und Stepinac an der Spitze zum «Träger des nationalkroatischen Interesses» erhoben und entsprechende nationale Symbole übernahmen. Stepinac` diesbezügliche Haltung wird deutlich in einer Verunglimpfung serbisch-orthodoxer und jüdischer Ärzte mit dem Vorwurf, diese würden Abtreibungen durchführen und so die direkte Verantwortung für das angeblich geringere Bevölkerungswachstum Kroatiens gegenüber Serbien tragen. Sich selbst sah er in diesem Zusammenhang auch als Bewahrer christlich-konservativer Werte gegen säkulare Tendenzen. Zahlreiche Geistliche kollaborierten indes mit der Ustaša-Bewegung. Allerdings kam es bald zu Enttäuschungen über die Politik des NDH; territoriale Abtretungen und die immer stärker werdende Bindung zum Dritten Reich stiessen beim Erzbischof auf Ablehnung. Er begann, sich vom Regime zu distanzieren, näherte sich den Westalliierten und favorisierte vorübergehend einen föderalistischen jugoslawischen Staat. Es ist möglich, dass er sogar den antifaschistischen Widerstand unterstützte.
Infolge des erklärten Zieles der Ustaša, ein «ethnisch reines kroatisches Territorium» zu schaffen, sollten Serben, Juden und Roma vertrieben werden, wobei man ihre «Eliminierung» nicht ausschloss. Für einen Teil der Serben hielt man die Bekehrung zum Katholizismus möglich, für die Juden wurde diese Massnahme ausgeschlossen, wobei die KKK einzelne Übertritte erlaubt zu haben scheint. Die Haltung von Erzbischof Stepinac angesichts der Ereignisse gestaltet sich ambivalent; Er setzte sich wie viele andere Geistliche Würdenträger für zum Katholizismus konvertierte Menschen jüdischer Herkunft und «Nicht-Ariern» in Mischehen ein und äusserte 1941, dass niemandem, weder Juden noch Serben, die «menschliche Würde» genommen werden solle. Auf der anderen Seite lassen sich bei ihm antijüdische Vorurteile feststellen, auch noch in der Zeit, in der er im Verlauf des Krieges energischere Protestworte gegen Gewalt und verübte Greueltaten fand. Nach neueren Quellen soll sich Erzbischof Stepinac persönlich für den Schutz zahlreicher Juden eingesetzt haben. Seinen Verzicht auf einen öffentlichen Prozess kann mit der Politik des Vatikans begründet werden, nach dessen Aussage eine öffentliche Verurteilung der nationalsozialistischen Völkermordpolitik den Betroffenen nicht helfen, sondern die Verfolgungen nur ausweiten und dabei auch mehr Katholiken treffen würde. So kam es zu einer Stützung des bestehenden Regimes, das in der Bevölkerung keineswegs nur auf Zustimmung stiess. Aus verschiedenen Briefen, im Besonderen aus einem Schreibens vom 24. Mai 1943, lässt sich die Haltung des Erzbischofs ablesen, dass er zwar bereit war, einzelnen Menschen zu helfen, aber trotzdem eine antijüdische Gesetzgebung und damit auch den NDH rechtfertigte. Eine ähnliche Haltung des Erzbischofs lässt sich in Bezug auf die Massnahmen gegen orthodoxe Serben ablesen; er plädierte zwar für eine «humane Behandlung», leistete der antiserbischen Politik aber keinen Widerstand. Die KKK betrachtete die serbische Orthodoxie als vom wahren Glauben abgefallen und als eine Gefahr für die Kirche. Nur wer zum katholischen Glauben konvertierte, unterstand dem Schutz der KKK. Bei der «Konvertierungspraxis» waren sich KKK und das Regime nicht einig, Versuche des Staates, die Übertritte zu erleichtern oder der Plan einer Gründung einer Kroatisch Orthodoxen Kirche 1942, vermutlich um der weitläufigen Reaktion der orthodoxen Serben, zu den Partisanen über zu laufen, entgegen zu wirken, stiessen bei der KKK auf Ablehnung. Sie bestand auf der inneren Überzeugung bei den Konvertiten, bekämpfte eine Indienstnahme der Konfession zu nationalpolitischen Zwecken durch das Regime und strebte stattdessen eine Einheit von kirchlichen Überzeugungen und nationalen Inhalten an. Auf diese Weise stand sie dem NDH allerdings wieder nahe, der eine «Sakralisierung der Nation» vornahm. Diese bestehende Ambivalenz macht eine Interpretation des Verhaltens der KKK schwierig.
Den Kommunisten ein willkommener Feind, oder: wie Erzbischof Stepinac zum kroatischen Märtyrer wurde
Nach Kriegsende und der Gründung der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien (Federativna Narodna Republika Jugoslavija, FNRJ), wurde Stepinac im September 1946 vor Gericht gestellt, mit dem Vorwurf, mit den Ustaša kollaboriert und die Zwangskonversion von Serben unterstützt zu haben. Obwohl er sich für unschuldig erklärte und die Haltbarkeit der Vorwürfe nur teilweise bewiesen werden konnte, wurde er am 11. Oktober 1946 zu 16 Jahren Haft und Zwangsarbeit verurteilt. Ende 1951 wurde das Urteil auf Hausarrest umgewandelt. Der Prozess gegen Stepinac war von der Kommunistischen Partei inszeniert worden wegen seiner Opposition gegen die FNRJ, viele Serben hielten ihn für einen Befürworter der antiserbischen Politik des NDH, viele Kroaten für einen Verteidiger des Kroatentums und einen christlichen Märtyrer. Im Verlauf der Geschichte waren SOK und KKK zu Trägern eines nationalen Ersatzmediums, der Konfession und so fester Bestandteil in der nationalen Identitätsfindung geworden. In der Zeit reformkommunistischer Vorstellungen 1970/71, in deren Zuge es zur Wiederbelebung eines zunehmend nationalen Diskurses kommen sollte, trat die Kirche abermals als «Trägerin des kroatischen Nationalgedankens» auf. Seit Stepinac` Tod hatten sich die Beziehungen zwischen dem Vatikan und Jugoslawien «normalisiert». Nun konnte es zur Inszenierung eines regelrechten Stepinac-Kult kommen, den die Kirche über eine Form «zeremonieller Kommunikation» vermittelte. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wurde Stepinac zu einer kirchlichen und nationalen Bewahrer- und Trägerfigur. Die Behandlung des Themas Stepinac in der serbischen und kroatischen Historiographie belief sich zwischen Ende 1980er Jahre bis zum Ausbruch der Zerfallskriege auf eine Schwarz-, bzw. Weissmalerei der historischen Figur im Rahmen des jeweiligen Opfermythos. In jüngster Zeit werden differenzierte Darstellungen zur Kenntnis genommen. Diese können sich jedoch, angesichts der verfestigten öffentlichen Meinung nur schwer durchsetzen.
Advisors:Haumann, Heiko
Faculties and Departments:04 Faculty of Humanities and Social Sciences > Departement Geschichte > Ehemalige Einheiten Geschichte > Osteuropäische und neuere Geschichte (Haumann)
UniBasel Contributors:Haumann, Heiko
Item Type:Thesis
Thesis Subtype:Master Thesis
Thesis no:UNSPECIFIED
Thesis status:Complete
Last Modified:05 Apr 2018 17:38
Deposited On:06 Feb 2018 11:26

Repository Staff Only: item control page