Einander zuhören, erzählen und verändern. Ein Einblick in Praxis und Transformationspotenziale von Selbsterfahrungsgruppen der Neuen Frauenbewegung in den 1970er Jahren

Die Masterarbeit «Einander zuhören, erzählen und verändern» beschäftigt sich mit Gruppengesprächspraktiken, wie sie in den USA unter dem Namen «Consciousness-Raising-Groups» fast schon zu Synonymen des feministischen Aufbruchs der späten 60er und 70er Jahre wurden, und verfolgt einige Erscheinungsformen dieser Praxis in der Neuen Frauenbewegung der Schweiz in den 1970er Jahren. Auf der Grundlage ein-gehender Archivrecherchen und acht Oral-History-Interviews mit damals beteiligten Frauen werden sowohl die grosse Vielfalt solcher oftmals unter dem Titel «Selbster-fahrungsgruppe» durchgeführten Treffen sichtbar, als auch durchgehende, einigende Momente, wie eine antihierarchische Grundhaltung oder die Achtung einer ungestör-ten Artikulation. Trotz der therapeutischen Assoziationen des Selbsterfahrungsbegriffs können somit auch im Schweizer Kontext feministische Selbsterfahrungsgruppen als eine eigenständige Praxis geltend gemacht werden. Statt um die individuelle Psyche der Teilnehmerinnen ging es vielmehr um das gemeinsame Auffächern einer Erfah-rungscollage, die zwischen Individuen und dem Kollektiv vermittelte und ein Kollektiv als Solidarzusammenhang entstehen liess. Die zeitgenössisch mit solchen Gruppen in Verbindung gebrachten Transformationshoffnungen hin zu befreiten feministischen Subjekten erwiesen sich zwar oft als zu ambitioniert, mithilfe der Interviews kann aber in dieser Arbeit gezeigt werden, dass durch solche Gruppen im Bereich zwischen-menschlicher Beziehungen und der eigenen Verortung in Gruppe und Gesellschaft un-erwartete Veränderungen eintraten. Das intime, offene Gespräch zwischen und vor nicht einmal eng befreundeten Frauen wurde möglich und so dennoch eine gewisse Transformation realisiert.
The master's thesis «Einander zuhören, erzählen und verändern» deals with group dis-cussion practices, which became almost synonymous with the feminist awakening of the late 1960s and 1970s in the USA under the name "Consciousness-Raising Groups", and traces some manifestations of this practice in the New Women's Movement in Switzerland in the 1970s. Based on in-depth archival research and eight oral history interviews with women involved at the time, it reveals both the great diversity of such meetings, often conducted under the title of "Selbsterfahrungsgruppe" as well as con-sistent, unifying moments, such as an anti-hierarchical basic attitude or respect for un-disturbed articulation. Despite the therapeutic associations of the concept of self-awareness, feminist “Selbsterfahrungsgruppen” can thus be claimed as a unique prac-tice in the Swiss context as well. Rather than being concerned with the individual psy-che of the participants, they were focused on creating an experiential collage that me-diated between individuals and the collective and created a collective as a context of solidarity. The transformational hopes for liberated feminist subjects associated with such groups at the time often proved to be too ambitious, but with the help of the in-terviews it can be shown in this work that unexpected changes occurred in the area of interpersonal relationships and one's own location in group and society. The intimate, open conversation between women who were not even close friends became possible and thus a certain transformation was nonetheless realized.