Schürmann, Jan. Prävention von moralischen Problemen in der Patientenversorgung. 2022, Doctoral Thesis, University of Basel, Faculty of Medicine.
|
PDF
Available under License CC BY (Attribution). 3692Kb |
Official URL: https://edoc.unibas.ch/90292/
Downloads: Statistics Overview
Abstract
Hintergrund und Zielsetzung: Gesundheitsfachpersonen sind in der Patientenversorgung regelmässig mit moralischen Problemen konfrontiert. Diese können die Qualität der Behandlung und die Patientensicherheit gefährden, bei Fachpersonen moralischen Distress auslösen oder bei Patient*innen und Angehörigen zu psychischen Belastungen und Unzufriedenheit führen. Die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften empfiehlt daher, an Gesund-heitsinstitutionen Strukturen zur klinischen Ethikunterstützung zu etablieren, die Behandelnde, Patient*innen und Angehörige bei der ethischen Entscheidungsfindung unterstützen können. Eine bisher in der Schweiz wenig implementierte und evaluierte Form ist die präventive Ethikunterstützung, deren Ziel es ist, moralische Probleme im Klinikalltag bereits in einem frühen Entwicklungsstadium zu erkennen und anzugehen. In dieser Arbeit wird ein Instrument zur Früherkennung und Frühintervention moralischer Probleme entwickelt, ein Prozessmodell zur präventiven Ethikunterstützung erarbeitet und dessen Kernelemente – insbesondere Risikofak-toren für moralische Probleme – werden empirisch untersucht.
Methoden: Die genannten Forschungsziele werden in drei separaten, aber aufeinander bezogenen Studien untersucht. In der ersten Studie wird auf der Basis einer systematischen Litera-turrecherche und einer Beobachtungsstudie auf der Abteilung Jugendforensik an den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel ein Instrument zur Früherkennung und -intervention erar-beitet. Die zweite Studie folgt einem Mixed-Methods-Design, wobei in halbstrukturierten Inter-views klinische Experten (n = 20) am Universitätsspital Basel und an den Universitären Psychiat-rischen Kliniken Basel zu ihren Erfahrungen mit der Prävention von moralischen Problemen befragt werden. In den Interviewleitfaden ist ein Likert-skalierter Fragebogen integriert, der deskriptiv-statistisch ausgewertet wird. In der dritten Studie werden in einem Scoping-Review Risikofaktoren für moralische Probleme in der Patientenversorgung zusammengetragen. Diese Risikofaktoren werden anschliessend anhand einer konsekutiven Fallserie von Ethikkonsultationen (n = 204) untersucht, die zwischen 2012 und 2020 an zwei universitären Spitälern in Basel durchgeführt wurden.
Resultate: In der ersten Studie wurden für die forensische Kinder- und Jugendpsychiatrie 24 moralische Problemfelder in den Bereichen Autonomie, Hilfeleisten und Nichtschaden, Gerechtigkeit, Moralkompetenz, Professionalität sowie Diagnostik und Einschätzung identifiziert. Besonders häufig treten dabei Fragen zum angemessenen Umgang mit Moralkompetenz und Moralerziehung, mit Regeln und Sanktionen, zu Chancen und Risken der Behandlung und zur Freiheit- und Privatsphäre der Jugendlichen auf. Das Instrument der Früherkennung und -intervention enthält spezifische Risikofaktoren und Indikatoren für moralische Probleme in der Jugendforensik sowie Verfahren zur Interventionsplanung und Entscheidungsfindung. Das in der zweiten Studie vorgestellte Prozessmodell der präventiven Ethikunterstützung integriert alle Kernelemente der Prävention: Phasen, Risikofaktoren und Indikatoren moralischer Probleme sowie Entscheidungsparametern, Folgen und präventive Massnahmen. Es wird eine Vielzahl an Risikofaktoren, Indikatoren, Entscheidungsparameter, Folgen und präventiven Interventionen identifiziert. Als besonders hilfreich werden frühzeitige Ethikgespräche mit Kolleg*innen, frühzeitige teaminterne ethische Fallbesprechungen, Ethik-Ansprechpersonen auf der Station, Ethikfortbildung, Ethikrichtlinien, Ad-hoc-Ethikberatung, proaktive Ethikkonsultationen, Ethikvisiten und Früherkennung sowie Projekte zur Verbesserung von Prozessen, Kommunikationswe-gen und ethischem Klima beurteilt. In der dritten Studie wurden 99 moralische Risikofaktoren in der Patientenversorgung identifiziert. Von diesen liegen 87 in den untersuchten Ethikkonsul-tationsfällen vor, wovon zehn hoch prävalent (≥ 50 %) sind: Patientenvulnerabilität, fehlende oder unklare Ethikrichtlinien, Schichtarbeit, unzureichende Verständigung zwischen Patient*innen und Behandelnden, unzureichende Kommunikation, Multimorbidität, Uneinigkeit zwischen Patient*innen und Behandelnden und mehrere Behandlungsteams. In allen medizinischen Fachbereichen gibt es darüber hinaus spezifische, hoch prävalente Risikofaktoren.
Schlussfolgerungen: Das integrative Modell der präventiven Ethikunterstützung umfasst ein breites Spektrum an präventiven Interventionen, um moralische Probleme proaktiv, frühzeitig, niederschwellig und systemisch anzugehen. Ein zentraler Bestandteil ist dabei die Früherkennung moralischer Probleme mittels geeigneter Risikofaktoren und früher Indikatoren, die in dieser Arbeit identifiziert werden. Exemplarisch für eine präventive Intervention wird ein Instrument zur Früherkennung und Frühintervention von moralischen Problemen in der Jugendforensik entwickelt. Die vorliegende Arbeit kann somit als Grundlage für die Etablierung neuer Angebote der Ethikunterstützung in der Gesundheitsversorgung und als Ausgangspunkt für weitere Forschung zur präventiven Ethikunterstützung dienen.
Methoden: Die genannten Forschungsziele werden in drei separaten, aber aufeinander bezogenen Studien untersucht. In der ersten Studie wird auf der Basis einer systematischen Litera-turrecherche und einer Beobachtungsstudie auf der Abteilung Jugendforensik an den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel ein Instrument zur Früherkennung und -intervention erar-beitet. Die zweite Studie folgt einem Mixed-Methods-Design, wobei in halbstrukturierten Inter-views klinische Experten (n = 20) am Universitätsspital Basel und an den Universitären Psychiat-rischen Kliniken Basel zu ihren Erfahrungen mit der Prävention von moralischen Problemen befragt werden. In den Interviewleitfaden ist ein Likert-skalierter Fragebogen integriert, der deskriptiv-statistisch ausgewertet wird. In der dritten Studie werden in einem Scoping-Review Risikofaktoren für moralische Probleme in der Patientenversorgung zusammengetragen. Diese Risikofaktoren werden anschliessend anhand einer konsekutiven Fallserie von Ethikkonsultationen (n = 204) untersucht, die zwischen 2012 und 2020 an zwei universitären Spitälern in Basel durchgeführt wurden.
Resultate: In der ersten Studie wurden für die forensische Kinder- und Jugendpsychiatrie 24 moralische Problemfelder in den Bereichen Autonomie, Hilfeleisten und Nichtschaden, Gerechtigkeit, Moralkompetenz, Professionalität sowie Diagnostik und Einschätzung identifiziert. Besonders häufig treten dabei Fragen zum angemessenen Umgang mit Moralkompetenz und Moralerziehung, mit Regeln und Sanktionen, zu Chancen und Risken der Behandlung und zur Freiheit- und Privatsphäre der Jugendlichen auf. Das Instrument der Früherkennung und -intervention enthält spezifische Risikofaktoren und Indikatoren für moralische Probleme in der Jugendforensik sowie Verfahren zur Interventionsplanung und Entscheidungsfindung. Das in der zweiten Studie vorgestellte Prozessmodell der präventiven Ethikunterstützung integriert alle Kernelemente der Prävention: Phasen, Risikofaktoren und Indikatoren moralischer Probleme sowie Entscheidungsparametern, Folgen und präventive Massnahmen. Es wird eine Vielzahl an Risikofaktoren, Indikatoren, Entscheidungsparameter, Folgen und präventiven Interventionen identifiziert. Als besonders hilfreich werden frühzeitige Ethikgespräche mit Kolleg*innen, frühzeitige teaminterne ethische Fallbesprechungen, Ethik-Ansprechpersonen auf der Station, Ethikfortbildung, Ethikrichtlinien, Ad-hoc-Ethikberatung, proaktive Ethikkonsultationen, Ethikvisiten und Früherkennung sowie Projekte zur Verbesserung von Prozessen, Kommunikationswe-gen und ethischem Klima beurteilt. In der dritten Studie wurden 99 moralische Risikofaktoren in der Patientenversorgung identifiziert. Von diesen liegen 87 in den untersuchten Ethikkonsul-tationsfällen vor, wovon zehn hoch prävalent (≥ 50 %) sind: Patientenvulnerabilität, fehlende oder unklare Ethikrichtlinien, Schichtarbeit, unzureichende Verständigung zwischen Patient*innen und Behandelnden, unzureichende Kommunikation, Multimorbidität, Uneinigkeit zwischen Patient*innen und Behandelnden und mehrere Behandlungsteams. In allen medizinischen Fachbereichen gibt es darüber hinaus spezifische, hoch prävalente Risikofaktoren.
Schlussfolgerungen: Das integrative Modell der präventiven Ethikunterstützung umfasst ein breites Spektrum an präventiven Interventionen, um moralische Probleme proaktiv, frühzeitig, niederschwellig und systemisch anzugehen. Ein zentraler Bestandteil ist dabei die Früherkennung moralischer Probleme mittels geeigneter Risikofaktoren und früher Indikatoren, die in dieser Arbeit identifiziert werden. Exemplarisch für eine präventive Intervention wird ein Instrument zur Früherkennung und Frühintervention von moralischen Problemen in der Jugendforensik entwickelt. Die vorliegende Arbeit kann somit als Grundlage für die Etablierung neuer Angebote der Ethikunterstützung in der Gesundheitsversorgung und als Ausgangspunkt für weitere Forschung zur präventiven Ethikunterstützung dienen.
Advisors: | Schmeck, Klaus |
---|---|
Committee Members: | Reiter-Theil, Stella and Marckmann, Georg |
Faculties and Departments: | 03 Faculty of Medicine > Bereich Psychiatrie (Klinik) > Kinder- und Jugendpsychiatrie UPK > Kinder- und Jugendpsychiatrie (Schmeck) 03 Faculty of Medicine > Departement Klinische Forschung > Bereich Psychiatrie (Klinik) > Kinder- und Jugendpsychiatrie UPK > Kinder- und Jugendpsychiatrie (Schmeck) |
UniBasel Contributors: | Schürmann, Jan and Schmeck, Klaus and Reiter-Theil, Stella |
Item Type: | Thesis |
Thesis Subtype: | Doctoral Thesis |
Thesis no: | 14845 |
Thesis status: | Complete |
Number of Pages: | 81 |
Language: | English |
Identification Number: |
|
edoc DOI: | |
Last Modified: | 23 Nov 2022 05:30 |
Deposited On: | 22 Nov 2022 12:46 |
Repository Staff Only: item control page