Weibel, Seraina Katharina. Schädelwachstum nach frühem Komplettverschluss einseitiger Lippen-Kiefer-Gaumen-Segelspalten in einer Operation mittels Stiellappen nach Veau. 2020, Doctoral Thesis, University of Basel, Faculty of Medicine.
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Abstract
Bei einer Lippen-Kiefer-Gaumen-Segelspalte (LKGS-Spalte) sind sowohl Lippe, Nasenboden, Kiefer, der harte und weiche Gaumen als auch die Uvula von einer Fehlbildung betroffen. Dabei können Weichteile und knöcherne Strukturen deformiert sein. Sie sind das Resultat einer fehlenden bzw. fehlerhaften Gewebeproliferation und fusion während der Embryogenese (Schumacher, 1997). Die Wiederherstellung der gesunden Anatomie und Funktion ist komplex und bedarf einer interdisziplinären Behandlung. Die Behandlung dieser Patienten erfolgt deshalb idealerweise an Behandlungszentren, an denen die Expertise aller beteiligter Disziplinen vorhanden ist. Diese Behandlungszentren werden umgangssprachlich auch als Spaltzentren bezeichnet.
An vielen grossen Spaltzentren werden Spaltfehlbildungen in mehreren Operationen verschlossen. Es erfolgt nach dem Verschluss der Lippenspalte im ersten Lebensjahr der Gaumen- und Kieferspaltverschluss zu einem späteren Zeitpunkt in weiteren Operationen (Shaw et al., 2000). Im Gegensatz dazu wird an einigen wenigen Spaltzentren die gesamte Spalte in einer Operation verschlossen, so auch seit dem Jahr 1991 am Spaltzentrum des Universitätsspitals Basel. Das sogenannte ,Basler Konzept einer ganzheitlichen Betrachtung‘ beinhaltet einen frühen chirurgischen Komplettverschluss der Spalte in einer Operation (einzeitig), um einerseits für die natürlichen Entwicklungsschritte optimale Voraussetzungen zu schaffen und um andererseits für Kind und Familie die Behandlungsbelastung zu reduzieren.
Kinder mit einer LKGS-Spalte weisen ein normales maxilläres Wachstumspotenzial auf (Shetye, 2004; Shetye & Evans, 2006). Gleichwohl kann dieses Wachstumspotenzial oftmals nicht ausgeschöpft werden, da die betroffenen anatomischen Strukturen durch die Spalte deformiert sind oder ein Gewebedefizit aufweisen und sich nach dem chirurgischen Spaltverschluss andere Gewebe- und Kraftverhältnisse einstellen, die das Wachstum vermindern können (Shetye & Evans, 2006). Patienten mit operierten LKGS-Spalten haben deshalb im Vergleich zu Gesunden die Tendenz, einen kleineren Oberkiefer zu haben, der gegenüber dem gesunden Unterkiefer eher zurückversetzt ist (Li, Shi, Song, Zuo & Zheng, 2006; Zuo, Shi, Deng & Zheng, 2001).
Um die negativen Begleiterscheinungen des Spaltverschlusses auf das Wachstum zu reduzieren, stehen zwei Aspekte im Vordergrund. Einerseits kann nach der Geburt eine abnehmbare Gaumenplatte angefertigt werden. Diese hilft, die Spalte zu überbrücken, führt zu einer normalen Lage der Zunge und zu einer Annäherung der Spaltseiten (Koželj, 1999). Durch die Annäherung der Geweberänder kann der Spaltverschluss schonender verlaufen (Grayson & Cutting, 2001). Andererseits kann durch eine Vermeidung mehrfacher Operationen eine gezielte Schnittführung angewendet werden (Honigmann, 1998). Dies führt zu einer Reduktion des Gewebetraumas und der Narbenbildung.
Das Schädelwachstum und somit auch das für die Beurteilung des Behandlungserfolges relevante Oberkieferwachstum lassen sich anhand der kephalometrischen Analyse von Fernröntgenseitenbildern messen und quantifizieren. Es wurden bereits in verschiedenen Studien kephalometrische Daten nach Verschluss einseitiger LKGS-Spalten veröffentlicht. Da Operationstechnik und Gesichtswachstum in Zusammenhang stehen, sind die Resultate anderer Studien lediglich begrenzt übertragbar und die Erhebung eigener Wachstumsdaten essenziell. In der Publikation von Mueller et al. (2012) wurde deshalb das Wachstum von Patienten untersucht, die von 1991‒2002 am Basler Spaltzentrum einen einzeitigen Spaltverschluss mit der Operationstechnik von PD Honigmann erhielten. In dieser Publikation erfolgte der Datenvergleich mit den kephalometrischen Daten des Eurocleft Projects, einer Multicenterstudie, die von Brattström, Mølsted, Prahl-Andersen, Semb und Shaw (2005) publiziert wurde und Daten mehrzeitiger Spaltverschlüsse zeigt. Zusätzlich wurden die Daten mit einer gesunden Kontrollgruppe, basierend auf den kephalometrischen Standartwerten der University of Michigan, verglichen (Riolo, Moyer, McNamara & Hunter, 1974).
Um die hier vorliegenden Daten der 2003‒2014 operierten Patienten am Basler Spaltzentrum mit der vorgängigen Studie von Mueller et al. (2012) im Sinne einer Qualitätssicherung vergleichen zu können, wurden die identischen Einschlusskriterien verwendet. Ab 2003 wurde weiterhin die einzeitige Operationstechnik mit gleicher Schnittführung angewendet, allerdings ohne gleichzeitige Knochenverpflanzung in den Kieferspalt; ausserdem rückte eine neue Operateurin (PD Schwenzer-Zimmerer) nach. Die vorliegende Arbeit soll veranschaulichen, wie sich das Wachstum in diesem neuen Patientenkollektiv entwickelt hat.
Es wurden ausschliesslich Daten nichtsyndromaler Patienten in der vorliegenden Studie einbezogen, die am Spaltzentrum Basel einen einzeitigen Verschluss ihrer durchgehenden einseitigen LKGS-Spalte erhalten haben. Zusätzlich zu den Studien- und Vergleichsdaten in der Publikation von Mueller et al. (2012) wurden neu auch kephalometrische Daten des Spaltzentrums in Warschau (Institute of Mother and Child), welche von Urbanova et al. (2016) als Teil einer Slavcleft-Intercenter-Studie publiziert wurden, herangezogen. Es erfolgte dort ebenfalls ein Spaltverschluss mit einer einzeitigen Operationstechnik (Urbanova et al., 2016). In Warschau wird indes auf eine Gaumenplattenvorbehandlung verzichtet und es wird eine andere Schnittführung praktiziert (Fudalej, Hortis-Dzierzbicka, Dudkiewicz & Semb, 2009).
Mit der vorliegenden Untersuchung konnte gezeigt werden, dass der einzeitige Verschluss einseitiger LKGS-Spalten keine schlechteren Ergebnisse hinsichtlich des Schädelwachstums anhand vermessener Fernröntgenseitenbilder im Vergleich zum mehrzeitigen Verschluss sowie zu anderen einzeitigen Operationsprotokollen aufweist. Die vorliegenden Daten bestätigen allerdings auch die in zum Vergleich herangezogenen Studien beschriebene Wachstumshemmung des Oberkiefers bei LKGS-Spalten im Vergleich zu Gesunden, die durch unterschiedliche oben veranschaulichte Faktoren beeinflusst werden können.
Ab dem Jahr 2015 erfolgte eine erneute Anpassung der einzeitigen Operationstechnik durch PD Müller. Die Schnittführung wurde so verändert, dass die Blutversorgung am vorderen Gaumen erhalten bleibt (Arteria nasopalatina) und am Ende der Operation an keiner Stelle offene Wundflächen zurückbleiben (reine Primärheilung), um unnötige Narben zu vermeiden. Mit einer besseren Durchblutung und einem narbenfreieren Gewebe besteht die Aussicht, die wachstumshemmenden Begleiterscheinungen des Spaltverschlusses erneut zu reduzieren. Die Auswertung dieser Daten wird Gegenstand einer zukünftigen Folgestudie.
An vielen grossen Spaltzentren werden Spaltfehlbildungen in mehreren Operationen verschlossen. Es erfolgt nach dem Verschluss der Lippenspalte im ersten Lebensjahr der Gaumen- und Kieferspaltverschluss zu einem späteren Zeitpunkt in weiteren Operationen (Shaw et al., 2000). Im Gegensatz dazu wird an einigen wenigen Spaltzentren die gesamte Spalte in einer Operation verschlossen, so auch seit dem Jahr 1991 am Spaltzentrum des Universitätsspitals Basel. Das sogenannte ,Basler Konzept einer ganzheitlichen Betrachtung‘ beinhaltet einen frühen chirurgischen Komplettverschluss der Spalte in einer Operation (einzeitig), um einerseits für die natürlichen Entwicklungsschritte optimale Voraussetzungen zu schaffen und um andererseits für Kind und Familie die Behandlungsbelastung zu reduzieren.
Kinder mit einer LKGS-Spalte weisen ein normales maxilläres Wachstumspotenzial auf (Shetye, 2004; Shetye & Evans, 2006). Gleichwohl kann dieses Wachstumspotenzial oftmals nicht ausgeschöpft werden, da die betroffenen anatomischen Strukturen durch die Spalte deformiert sind oder ein Gewebedefizit aufweisen und sich nach dem chirurgischen Spaltverschluss andere Gewebe- und Kraftverhältnisse einstellen, die das Wachstum vermindern können (Shetye & Evans, 2006). Patienten mit operierten LKGS-Spalten haben deshalb im Vergleich zu Gesunden die Tendenz, einen kleineren Oberkiefer zu haben, der gegenüber dem gesunden Unterkiefer eher zurückversetzt ist (Li, Shi, Song, Zuo & Zheng, 2006; Zuo, Shi, Deng & Zheng, 2001).
Um die negativen Begleiterscheinungen des Spaltverschlusses auf das Wachstum zu reduzieren, stehen zwei Aspekte im Vordergrund. Einerseits kann nach der Geburt eine abnehmbare Gaumenplatte angefertigt werden. Diese hilft, die Spalte zu überbrücken, führt zu einer normalen Lage der Zunge und zu einer Annäherung der Spaltseiten (Koželj, 1999). Durch die Annäherung der Geweberänder kann der Spaltverschluss schonender verlaufen (Grayson & Cutting, 2001). Andererseits kann durch eine Vermeidung mehrfacher Operationen eine gezielte Schnittführung angewendet werden (Honigmann, 1998). Dies führt zu einer Reduktion des Gewebetraumas und der Narbenbildung.
Das Schädelwachstum und somit auch das für die Beurteilung des Behandlungserfolges relevante Oberkieferwachstum lassen sich anhand der kephalometrischen Analyse von Fernröntgenseitenbildern messen und quantifizieren. Es wurden bereits in verschiedenen Studien kephalometrische Daten nach Verschluss einseitiger LKGS-Spalten veröffentlicht. Da Operationstechnik und Gesichtswachstum in Zusammenhang stehen, sind die Resultate anderer Studien lediglich begrenzt übertragbar und die Erhebung eigener Wachstumsdaten essenziell. In der Publikation von Mueller et al. (2012) wurde deshalb das Wachstum von Patienten untersucht, die von 1991‒2002 am Basler Spaltzentrum einen einzeitigen Spaltverschluss mit der Operationstechnik von PD Honigmann erhielten. In dieser Publikation erfolgte der Datenvergleich mit den kephalometrischen Daten des Eurocleft Projects, einer Multicenterstudie, die von Brattström, Mølsted, Prahl-Andersen, Semb und Shaw (2005) publiziert wurde und Daten mehrzeitiger Spaltverschlüsse zeigt. Zusätzlich wurden die Daten mit einer gesunden Kontrollgruppe, basierend auf den kephalometrischen Standartwerten der University of Michigan, verglichen (Riolo, Moyer, McNamara & Hunter, 1974).
Um die hier vorliegenden Daten der 2003‒2014 operierten Patienten am Basler Spaltzentrum mit der vorgängigen Studie von Mueller et al. (2012) im Sinne einer Qualitätssicherung vergleichen zu können, wurden die identischen Einschlusskriterien verwendet. Ab 2003 wurde weiterhin die einzeitige Operationstechnik mit gleicher Schnittführung angewendet, allerdings ohne gleichzeitige Knochenverpflanzung in den Kieferspalt; ausserdem rückte eine neue Operateurin (PD Schwenzer-Zimmerer) nach. Die vorliegende Arbeit soll veranschaulichen, wie sich das Wachstum in diesem neuen Patientenkollektiv entwickelt hat.
Es wurden ausschliesslich Daten nichtsyndromaler Patienten in der vorliegenden Studie einbezogen, die am Spaltzentrum Basel einen einzeitigen Verschluss ihrer durchgehenden einseitigen LKGS-Spalte erhalten haben. Zusätzlich zu den Studien- und Vergleichsdaten in der Publikation von Mueller et al. (2012) wurden neu auch kephalometrische Daten des Spaltzentrums in Warschau (Institute of Mother and Child), welche von Urbanova et al. (2016) als Teil einer Slavcleft-Intercenter-Studie publiziert wurden, herangezogen. Es erfolgte dort ebenfalls ein Spaltverschluss mit einer einzeitigen Operationstechnik (Urbanova et al., 2016). In Warschau wird indes auf eine Gaumenplattenvorbehandlung verzichtet und es wird eine andere Schnittführung praktiziert (Fudalej, Hortis-Dzierzbicka, Dudkiewicz & Semb, 2009).
Mit der vorliegenden Untersuchung konnte gezeigt werden, dass der einzeitige Verschluss einseitiger LKGS-Spalten keine schlechteren Ergebnisse hinsichtlich des Schädelwachstums anhand vermessener Fernröntgenseitenbilder im Vergleich zum mehrzeitigen Verschluss sowie zu anderen einzeitigen Operationsprotokollen aufweist. Die vorliegenden Daten bestätigen allerdings auch die in zum Vergleich herangezogenen Studien beschriebene Wachstumshemmung des Oberkiefers bei LKGS-Spalten im Vergleich zu Gesunden, die durch unterschiedliche oben veranschaulichte Faktoren beeinflusst werden können.
Ab dem Jahr 2015 erfolgte eine erneute Anpassung der einzeitigen Operationstechnik durch PD Müller. Die Schnittführung wurde so verändert, dass die Blutversorgung am vorderen Gaumen erhalten bleibt (Arteria nasopalatina) und am Ende der Operation an keiner Stelle offene Wundflächen zurückbleiben (reine Primärheilung), um unnötige Narben zu vermeiden. Mit einer besseren Durchblutung und einem narbenfreieren Gewebe besteht die Aussicht, die wachstumshemmenden Begleiterscheinungen des Spaltverschlusses erneut zu reduzieren. Die Auswertung dieser Daten wird Gegenstand einer zukünftigen Folgestudie.
Advisors: | Müller, Andreas A. |
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Committee Members: | Walter, Clemens |
Faculties and Departments: | 03 Faculty of Medicine > Bereich Operative Fächer (Klinik) > Kopfbereich > Cleft lip and palate surgery (Müller) 03 Faculty of Medicine > Departement Klinische Forschung > Bereich Operative Fächer (Klinik) > Kopfbereich > Cleft lip and palate surgery (Müller) |
UniBasel Contributors: | Müller, Andreas A. and Walter, Clemens |
Item Type: | Thesis |
Thesis Subtype: | Doctoral Thesis |
Thesis no: | 14013 |
Thesis status: | Complete |
Number of Pages: | xviii, 58 |
Language: | German |
Identification Number: |
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edoc DOI: | |
Last Modified: | 02 Mar 2021 05:30 |
Deposited On: | 01 Mar 2021 08:36 |
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