Wunderli, Rahel. Alpwirtschaft in Hospental: Nutzungsentwicklung und beteiligte Akteure während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. 2006, Master Thesis, University of Basel, Faculty of Humanities and Social Sciences.
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Official URL: https://edoc.unibas.ch/60763/
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Abstract
Fragestellung
Die Idee für das Thema meiner Lizarbeit entsteht während einer Wanderung durch verlassene Alpen im Urserntal, Kanton Uri. Ich bin fasziniert von diesen fast menschenleeren Gebieten, in denen noch deutliche Spuren von alpwirtschaftlicher Nutzung zu sehen sind: Verlassene Hütten, ehemalige Viehpfade, Lägerflora. Was ist hier geschehen? Welche Geschichte haben diese Weiden? Wie hat sich ihre Nutzung entwickelt? Während dem ersten, oberflächlichen Stöbern im Talarchiv Ursern in Andermatt wird mir bewusst, dass vielfältigste Interessen auf den kargen und nur wenige Monate schneefreien Alpweiden zusammengetroffen sind. Wer war in die Alpwirtschaft involviert? Welchen Einfluss hatten die Beteiligten auf die Nutzungsentwicklung der Alpgebiete? Wie muss ich mir die Beziehungen zwischen den Akteuren vorstellen? Ich entscheide mich, die Lizarbeit entlang der beiden Themenfelder Nutzung und Akteure auszurichten. Als Untersuchungsgebiet bieten sich die Alpgebiete von Hospental aufgrund ihrer starken Nutzungsschwankungen besonders an. Den Untersuchunsgzeitraum lege ich auf die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts fest. Akten aus dem Talarchiv Ursern und dem Staatsarchiv Uri in Altdorf dienen als Hauptquellen.
Ursern
Das Tal zwischen Gotthard-, Furka-, Oberalppass und Schöllenschlucht hat im 20. Jahrhundert eine wechselhafte Geschichte durchlebt. Der Bau des Eisenbahntunnels zwischen Göschenen und Airolo im Jahr 1882 machte die Säumerei über den Gotthard hinfällig. Das lukrative Geschäft brach innerhalb kurzer Zeit zusammen. Bis zur Zwischenkriegszeit spielte der Luxustourismus eine wichtige Rolle, danach wurde der Einfluss der Armee immer stärker. Seit einigen Jahrzehnten entwickelt sich das Tal zu einem Durchreisegebiet. Das Militär zieht sich zurück. Die Bedeutung der Land- und Alpwirtschaft in Ursern ist noch weitgehend unerforscht. Es ist aber davon auszugehen, dass sie in der Geschichte des Tals wichtige kulturelle, ökonomische und soziale Funktionen innehatten.
Neben den drei Gemeinden Andermatt, Hospental und Realp ist die Korporation Ursern als zentrale politische Institution im Tal zu nennen. Seit 1888 ist sie eine öffentlich-rechtliche Körperschaft mit direktdemokratischer Organisationsstruktur. Die Korporation Ursern ist Eigentümerin von über 90 Prozent des Talgebiets und bestimmt die Nutzungsvorschriften für die Allmend.
Alpnutzung
Für die Nutzungsintensität von Alpgebieten ist die Art der Infrastruktur – Gebäude, Wege und Brücken – entscheidend. Aber auch der Naturraum spielt eine wichtige Rolle: Futterqualität, Wasserverfügbarkeit und Naturgefahren beeinflussen den Weideertrag. Obwohl Alpen als extensive Nutzungsgebiete gelten, ist punktuell ein hoher Arbeitsaufwand nötig, um den Ertrag möglichst hoch zu halten. Zu den als Frondienst bezeichneten Reproduktionsarbeiten gehören das Erstellen und Instandhalten von Infrastruktur und die Weidepflege.
Um die Nutzungsentwicklung der Hospentaler Alpgebiete erfassen zu können, braucht es ein Verständnis für die Raumnutzung in Ursern. Diese lässt sich anhand von Verordnungen und Weidekarten nachzeichnen: Die Korporation unterteilte ihr Gebiet in verschiedene Kategorien mit spezifischen Nutzungsvorschriften. Es gab die Freiberge, Heukuhweiden, Alpen, Kuh- und Geissweid. Das Vieh weidete im Frühsommer und Herbst auf den ans Privatland angrenzenden Freibergen und ernährte sich während den Sommermonaten vom Futter in den höher gelegenen Alpen. Auf den viehfreien Flächen wurde Heu für den Winter gesammelt. Wer Allmendland nutzte, zahlte der Korporation Weidegeld und musste sich an die Weidevorschriften halten.
Mit Hilfe von Alpberichten und Dossiers zu Alpverbesserungsprojekten kann die Nutzungsgeschichte von drei ausgewählten Alpgebieten – Gams-Guspis, Isenmannsalp und Rossmettlen-Rinbort – rekonstruiert werden. Es zeigen sich erhebliche Nutzungsschwankungen sowohl innerhalb der einzelnen Flächen als auch zwischen den Gebieten. Einige Alpen wurden von den Bauern und Alpgenossenschaften besonders stark gefördert – durch Investitionen in die Infrastruktur (Gebäude, Strassen) und grössere Meliorationsprojekte (z.B. Flusslaufkorrektionen). Andere Gebiete wurden mit der Zeit aufgegeben und Ende der 40er-Jahre von der Kooperation an einen auswärtigen Schafbesitzer verpachtet. Die Gründe für die unterschiedlichen Entwicklungen sind nicht immer eindeutig zu bestimmen: Manchmal scheint der Naturraum eine entscheidende Rolle gespielt zu haben, in anderen Fällen war wahrscheinlich das Landnutzungssystem in Ursern die treibende Kraft. Auch der Einfluss der wirtschaftlichen Situation der Landwirtschaft darf nicht unterschätzt werden. Die heute weit verbreitete Vorstellung von einer ehemals konstanten und gleichmässig verteilten Bewirtschaftung der Allmenden erweist sich als Verzerrung. Vielmehr erscheint die räumlich differenzierte Nutzung als logische Konsequenz der vielfältigen Einwirkungen.
Akteure
Welche Gruppen und Institutionen waren in die Alpwirtschaft involviert? In welchem Umfeld standen sie? Welches waren ihre Rollen, Handlungsspielräume und Interessen in der Alpwirtschaft? Wie sah das Zusammenspiel zwischen den Akteuren aus? Was waren ihre Ziele und Strategien in Interaktionssituationen? Mittels Korrespondenzen und anhand der Protokollbände der Korporation Ursern lassen sich solche Fragen beantworten. Ich habe mich auf folgende Akteure beschränkt: Alpgenossenschaft Gams-Guspis, Korporation Ursern, Kantons- und Bundesbehörden, Schweizerischer Alpwirtschaftlicher Verein SAV, Alppersonal, Frauen und Militär.
Die Alpgenossenschaft Gams-Guspis wurde Anfang Jahrhundert auf Anregung der Korporation gegründet. Diese hatte sich zum Ziel gesetzt, die Ursner Alpen intensiver und moderner zu bewirtschaften und brauchte dafür ausführende Organe. Die Alpgenossenschaften im Tal waren zuständig für die Initiierung und Durchführung von Alpverbesserungsprojekten in den ihnen zugewiesenen Gebieten. Finanziert wurden sie vor allem durch Beiträge von Korporation, Bund und Kanton. Für die Entwicklung der einzelnen Alpgebiete spielten sie eine zentrale Rolle, denn neben den subventionierenden Behörden waren sie es, die festlegen, in welche Infrastruktur und Meliorationen investiert wurde. An der organisatorischen Entwicklung der Alpgenossenschaft Gams-Guspis lassen sich auch Nutzungsschwankungen und die damit verbundenen Konflikte innerhalb des Dorfes aufzeigen.
Die Korporation Ursern hatte als Besitzerin der Allmend ein starkes Interesse an der ertragreichen Bewirtschaftung ihres Gebiets, war dabei aber darauf angewiesen, dass die Alpnutzer ihre Ziele mittrugen und verwirklichten. Um sich talintern durchsetzen zu können, war Meinungsbildung ebenso gefragt wie die Fähigkeit, Initiativen aus der Bevölkerung aufzunehmen und entsprechend der eigenen Interessen zu lenken. Gegenüber auswärtigen Institutionen bot sich die Korporation als moderne und selbstbewusste Gesprächspartnerin an. Bei der Intensivierung und Modernisierung der Alpwirtschaft orientierte sie sich beispielsweise an den vom Schweizerischen Alpwirtschaftlichen Verein SAV propagierten Idealen. Auch den technischen Führungsanspruch der Kantons- und Bundesbehörden bei Alpverbesserungsprojekten anerkannte sie meist vorbehaltlos. Gleichzeitig markierter sie sowohl gegenüber den auswärtigen Experten als auch gegenüber der Talbevölkerung immer wieder die Autorität ihrer Rolle, indem sie Mitspracherechte forderte und Übertretungen ihrer Nutzungsvorschriften bestrafte.
Das Engagement der Kantonsbehörden in der Ursner Alpwirtschaft begann erst Anfang des 20. Jahrhunderts. Bekannteste Figur während der untersuchten Periode war der diplomierte Oberförster und SAV-Mitarbeiter Max Oechslin. Er plante und leitete die meisten Alpverbesserungsprojekte und war darum besorgt, beim Bund die nötige finanzielle Unterstützung einzutreiben. Seine Rolle war primär die eines Vermittlers zwischen Behörden, Korporation und Alpgenossenschaften. Im Gegensatz zum vertrauten Kantonsvertreter Oechslin blieb die Bundesbehörde für die lokalen Beteiligten ein wichtiger aber schattenhafter Geldgeber.
Der Schweizerische Alpwirtschaftliche Verein SAV hatte die Rolle einer Experteninstanz inne. Er bestand vorwiegend aus Wissenschaftern, Direktoren landwirtschaftlicher Schulen, regionalen und nationalen Politikern, Ingenieuren und Leitern landwirtschaftlicher Ämter. Der Verein hatte den Anspruch, die Bevölkerung und vor allem das Alppersonal über die Alpwirtschaft aufzuklären. Unter anderem erstellte er die viel beachtete Alpstatistik, welche der Korporation als Vorbild für einen Bericht über die Ursner Alpen diente. Der Blick des SAV auf die Alp- und Berglandwirtschaft war ambivalent: geprägt von einer ideologischen Überhöhung der Bergbauern und einer Sicht auf die Berge als wirtschaftliche Problemregion.
Das Alppersonal taucht in den schriftlichen Quellen kaum auf. Sein Einfluss auf die Alpwirtschaft ist deshalb schwierig abzuschätzen. Als Betreiber von Einzelalpen muss er erheblich gewesen sein. Auch über die Frauen schweigen sich die Akten weitgehend aus. Am ehesten lassen sich über die Befragung von Zeitzeugen und Zeitzeuginnen Hinweise in Erfahrung bringen. Von Hospental wird erzählt, dass hauptsächlich Frauen die Kühe auf den dorfnächsten Alpen gemolken und die Milch in die gemeinsame Sennerei getragen haben. Teilweise arbeiteten Frauen auch als Hirtinnen. Von den Alpverbesserungsarbeiten wurden sie jedoch mit zunehmender Reglementierung des Frondienstes ausgeschlossen. Auch als Enscheidungsträgerinnen tauchen sie in keiner Quelle auf.
Die Beziehung zwischen Militär und Alpwirtschaft war häufig von einer starken Konkurrenz geprägt, die nur deswegen nicht zu grossen Konflikten führte, weil die Armee für die Schäden an den Weiden, welche bei Schiessübungen auftraten, anstandslos Entschädigung zahlte. In einzelnen Fällen kam es aber auch zu Kooperationen – meist im Zusammenhang mit dem Aufbau oder Unterhalt von Infrastruktur. Hier zeigten sich die gemeinsamen Interessen von Alpwirtschaft und Armee.
Fazit
Ein zentrales Ergebnis meiner Lizarbeit ist die Einsicht, dass die alpwirtschaftliche Nutzung von einer Vielfalt gesellschaftlicher Kräfte und Mechanismen beeinflusst gewesen ist. Da wurde gestritten, kooperiert, beeinflusst, Autorität ausgespielt, nach Gemeinsamkeiten gesucht, belehrt, Kompetenz verteilt und vieles mehr. Die gesellschaftlichen Strukturen und Beziehungsmuster lassen sich an der Bewirtschaftung von Alpgebieten gut verdeutlichen. Das Nebeneinanderstellen der beiden Themenfelder Nutzung und Akteure ermöglicht zudem einen Blick auf die komplexen und vielschichtigen Wechselbeziehungen zwischen Natur und Gesellschaft in einer agrarischen Wirtschaftsform.
Die Idee für das Thema meiner Lizarbeit entsteht während einer Wanderung durch verlassene Alpen im Urserntal, Kanton Uri. Ich bin fasziniert von diesen fast menschenleeren Gebieten, in denen noch deutliche Spuren von alpwirtschaftlicher Nutzung zu sehen sind: Verlassene Hütten, ehemalige Viehpfade, Lägerflora. Was ist hier geschehen? Welche Geschichte haben diese Weiden? Wie hat sich ihre Nutzung entwickelt? Während dem ersten, oberflächlichen Stöbern im Talarchiv Ursern in Andermatt wird mir bewusst, dass vielfältigste Interessen auf den kargen und nur wenige Monate schneefreien Alpweiden zusammengetroffen sind. Wer war in die Alpwirtschaft involviert? Welchen Einfluss hatten die Beteiligten auf die Nutzungsentwicklung der Alpgebiete? Wie muss ich mir die Beziehungen zwischen den Akteuren vorstellen? Ich entscheide mich, die Lizarbeit entlang der beiden Themenfelder Nutzung und Akteure auszurichten. Als Untersuchungsgebiet bieten sich die Alpgebiete von Hospental aufgrund ihrer starken Nutzungsschwankungen besonders an. Den Untersuchunsgzeitraum lege ich auf die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts fest. Akten aus dem Talarchiv Ursern und dem Staatsarchiv Uri in Altdorf dienen als Hauptquellen.
Ursern
Das Tal zwischen Gotthard-, Furka-, Oberalppass und Schöllenschlucht hat im 20. Jahrhundert eine wechselhafte Geschichte durchlebt. Der Bau des Eisenbahntunnels zwischen Göschenen und Airolo im Jahr 1882 machte die Säumerei über den Gotthard hinfällig. Das lukrative Geschäft brach innerhalb kurzer Zeit zusammen. Bis zur Zwischenkriegszeit spielte der Luxustourismus eine wichtige Rolle, danach wurde der Einfluss der Armee immer stärker. Seit einigen Jahrzehnten entwickelt sich das Tal zu einem Durchreisegebiet. Das Militär zieht sich zurück. Die Bedeutung der Land- und Alpwirtschaft in Ursern ist noch weitgehend unerforscht. Es ist aber davon auszugehen, dass sie in der Geschichte des Tals wichtige kulturelle, ökonomische und soziale Funktionen innehatten.
Neben den drei Gemeinden Andermatt, Hospental und Realp ist die Korporation Ursern als zentrale politische Institution im Tal zu nennen. Seit 1888 ist sie eine öffentlich-rechtliche Körperschaft mit direktdemokratischer Organisationsstruktur. Die Korporation Ursern ist Eigentümerin von über 90 Prozent des Talgebiets und bestimmt die Nutzungsvorschriften für die Allmend.
Alpnutzung
Für die Nutzungsintensität von Alpgebieten ist die Art der Infrastruktur – Gebäude, Wege und Brücken – entscheidend. Aber auch der Naturraum spielt eine wichtige Rolle: Futterqualität, Wasserverfügbarkeit und Naturgefahren beeinflussen den Weideertrag. Obwohl Alpen als extensive Nutzungsgebiete gelten, ist punktuell ein hoher Arbeitsaufwand nötig, um den Ertrag möglichst hoch zu halten. Zu den als Frondienst bezeichneten Reproduktionsarbeiten gehören das Erstellen und Instandhalten von Infrastruktur und die Weidepflege.
Um die Nutzungsentwicklung der Hospentaler Alpgebiete erfassen zu können, braucht es ein Verständnis für die Raumnutzung in Ursern. Diese lässt sich anhand von Verordnungen und Weidekarten nachzeichnen: Die Korporation unterteilte ihr Gebiet in verschiedene Kategorien mit spezifischen Nutzungsvorschriften. Es gab die Freiberge, Heukuhweiden, Alpen, Kuh- und Geissweid. Das Vieh weidete im Frühsommer und Herbst auf den ans Privatland angrenzenden Freibergen und ernährte sich während den Sommermonaten vom Futter in den höher gelegenen Alpen. Auf den viehfreien Flächen wurde Heu für den Winter gesammelt. Wer Allmendland nutzte, zahlte der Korporation Weidegeld und musste sich an die Weidevorschriften halten.
Mit Hilfe von Alpberichten und Dossiers zu Alpverbesserungsprojekten kann die Nutzungsgeschichte von drei ausgewählten Alpgebieten – Gams-Guspis, Isenmannsalp und Rossmettlen-Rinbort – rekonstruiert werden. Es zeigen sich erhebliche Nutzungsschwankungen sowohl innerhalb der einzelnen Flächen als auch zwischen den Gebieten. Einige Alpen wurden von den Bauern und Alpgenossenschaften besonders stark gefördert – durch Investitionen in die Infrastruktur (Gebäude, Strassen) und grössere Meliorationsprojekte (z.B. Flusslaufkorrektionen). Andere Gebiete wurden mit der Zeit aufgegeben und Ende der 40er-Jahre von der Kooperation an einen auswärtigen Schafbesitzer verpachtet. Die Gründe für die unterschiedlichen Entwicklungen sind nicht immer eindeutig zu bestimmen: Manchmal scheint der Naturraum eine entscheidende Rolle gespielt zu haben, in anderen Fällen war wahrscheinlich das Landnutzungssystem in Ursern die treibende Kraft. Auch der Einfluss der wirtschaftlichen Situation der Landwirtschaft darf nicht unterschätzt werden. Die heute weit verbreitete Vorstellung von einer ehemals konstanten und gleichmässig verteilten Bewirtschaftung der Allmenden erweist sich als Verzerrung. Vielmehr erscheint die räumlich differenzierte Nutzung als logische Konsequenz der vielfältigen Einwirkungen.
Akteure
Welche Gruppen und Institutionen waren in die Alpwirtschaft involviert? In welchem Umfeld standen sie? Welches waren ihre Rollen, Handlungsspielräume und Interessen in der Alpwirtschaft? Wie sah das Zusammenspiel zwischen den Akteuren aus? Was waren ihre Ziele und Strategien in Interaktionssituationen? Mittels Korrespondenzen und anhand der Protokollbände der Korporation Ursern lassen sich solche Fragen beantworten. Ich habe mich auf folgende Akteure beschränkt: Alpgenossenschaft Gams-Guspis, Korporation Ursern, Kantons- und Bundesbehörden, Schweizerischer Alpwirtschaftlicher Verein SAV, Alppersonal, Frauen und Militär.
Die Alpgenossenschaft Gams-Guspis wurde Anfang Jahrhundert auf Anregung der Korporation gegründet. Diese hatte sich zum Ziel gesetzt, die Ursner Alpen intensiver und moderner zu bewirtschaften und brauchte dafür ausführende Organe. Die Alpgenossenschaften im Tal waren zuständig für die Initiierung und Durchführung von Alpverbesserungsprojekten in den ihnen zugewiesenen Gebieten. Finanziert wurden sie vor allem durch Beiträge von Korporation, Bund und Kanton. Für die Entwicklung der einzelnen Alpgebiete spielten sie eine zentrale Rolle, denn neben den subventionierenden Behörden waren sie es, die festlegen, in welche Infrastruktur und Meliorationen investiert wurde. An der organisatorischen Entwicklung der Alpgenossenschaft Gams-Guspis lassen sich auch Nutzungsschwankungen und die damit verbundenen Konflikte innerhalb des Dorfes aufzeigen.
Die Korporation Ursern hatte als Besitzerin der Allmend ein starkes Interesse an der ertragreichen Bewirtschaftung ihres Gebiets, war dabei aber darauf angewiesen, dass die Alpnutzer ihre Ziele mittrugen und verwirklichten. Um sich talintern durchsetzen zu können, war Meinungsbildung ebenso gefragt wie die Fähigkeit, Initiativen aus der Bevölkerung aufzunehmen und entsprechend der eigenen Interessen zu lenken. Gegenüber auswärtigen Institutionen bot sich die Korporation als moderne und selbstbewusste Gesprächspartnerin an. Bei der Intensivierung und Modernisierung der Alpwirtschaft orientierte sie sich beispielsweise an den vom Schweizerischen Alpwirtschaftlichen Verein SAV propagierten Idealen. Auch den technischen Führungsanspruch der Kantons- und Bundesbehörden bei Alpverbesserungsprojekten anerkannte sie meist vorbehaltlos. Gleichzeitig markierter sie sowohl gegenüber den auswärtigen Experten als auch gegenüber der Talbevölkerung immer wieder die Autorität ihrer Rolle, indem sie Mitspracherechte forderte und Übertretungen ihrer Nutzungsvorschriften bestrafte.
Das Engagement der Kantonsbehörden in der Ursner Alpwirtschaft begann erst Anfang des 20. Jahrhunderts. Bekannteste Figur während der untersuchten Periode war der diplomierte Oberförster und SAV-Mitarbeiter Max Oechslin. Er plante und leitete die meisten Alpverbesserungsprojekte und war darum besorgt, beim Bund die nötige finanzielle Unterstützung einzutreiben. Seine Rolle war primär die eines Vermittlers zwischen Behörden, Korporation und Alpgenossenschaften. Im Gegensatz zum vertrauten Kantonsvertreter Oechslin blieb die Bundesbehörde für die lokalen Beteiligten ein wichtiger aber schattenhafter Geldgeber.
Der Schweizerische Alpwirtschaftliche Verein SAV hatte die Rolle einer Experteninstanz inne. Er bestand vorwiegend aus Wissenschaftern, Direktoren landwirtschaftlicher Schulen, regionalen und nationalen Politikern, Ingenieuren und Leitern landwirtschaftlicher Ämter. Der Verein hatte den Anspruch, die Bevölkerung und vor allem das Alppersonal über die Alpwirtschaft aufzuklären. Unter anderem erstellte er die viel beachtete Alpstatistik, welche der Korporation als Vorbild für einen Bericht über die Ursner Alpen diente. Der Blick des SAV auf die Alp- und Berglandwirtschaft war ambivalent: geprägt von einer ideologischen Überhöhung der Bergbauern und einer Sicht auf die Berge als wirtschaftliche Problemregion.
Das Alppersonal taucht in den schriftlichen Quellen kaum auf. Sein Einfluss auf die Alpwirtschaft ist deshalb schwierig abzuschätzen. Als Betreiber von Einzelalpen muss er erheblich gewesen sein. Auch über die Frauen schweigen sich die Akten weitgehend aus. Am ehesten lassen sich über die Befragung von Zeitzeugen und Zeitzeuginnen Hinweise in Erfahrung bringen. Von Hospental wird erzählt, dass hauptsächlich Frauen die Kühe auf den dorfnächsten Alpen gemolken und die Milch in die gemeinsame Sennerei getragen haben. Teilweise arbeiteten Frauen auch als Hirtinnen. Von den Alpverbesserungsarbeiten wurden sie jedoch mit zunehmender Reglementierung des Frondienstes ausgeschlossen. Auch als Enscheidungsträgerinnen tauchen sie in keiner Quelle auf.
Die Beziehung zwischen Militär und Alpwirtschaft war häufig von einer starken Konkurrenz geprägt, die nur deswegen nicht zu grossen Konflikten führte, weil die Armee für die Schäden an den Weiden, welche bei Schiessübungen auftraten, anstandslos Entschädigung zahlte. In einzelnen Fällen kam es aber auch zu Kooperationen – meist im Zusammenhang mit dem Aufbau oder Unterhalt von Infrastruktur. Hier zeigten sich die gemeinsamen Interessen von Alpwirtschaft und Armee.
Fazit
Ein zentrales Ergebnis meiner Lizarbeit ist die Einsicht, dass die alpwirtschaftliche Nutzung von einer Vielfalt gesellschaftlicher Kräfte und Mechanismen beeinflusst gewesen ist. Da wurde gestritten, kooperiert, beeinflusst, Autorität ausgespielt, nach Gemeinsamkeiten gesucht, belehrt, Kompetenz verteilt und vieles mehr. Die gesellschaftlichen Strukturen und Beziehungsmuster lassen sich an der Bewirtschaftung von Alpgebieten gut verdeutlichen. Das Nebeneinanderstellen der beiden Themenfelder Nutzung und Akteure ermöglicht zudem einen Blick auf die komplexen und vielschichtigen Wechselbeziehungen zwischen Natur und Gesellschaft in einer agrarischen Wirtschaftsform.
Advisors: | Schaffner, Martin |
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Faculties and Departments: | 04 Faculty of Humanities and Social Sciences > Departement Geschichte > Ehemalige Einheiten Geschichte > Historisches Seminar |
UniBasel Contributors: | Wunderli Götschi, Rahel and Schaffner, Martin |
Item Type: | Thesis |
Thesis Subtype: | Master Thesis |
Thesis no: | UNSPECIFIED |
Thesis status: | Complete |
Last Modified: | 22 Apr 2018 04:33 |
Deposited On: | 06 Feb 2018 11:30 |
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