Topkaya, Yigit. Von der Einsamkeit und Rekonstruktion des Andreas Ryff. 2006, Master Thesis, University of Basel, Faculty of Humanities and Social Sciences.
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Official URL: https://edoc.unibas.ch/60679/
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Abstract
Die vorliegende Lizentiatsarbeit ist ein Beitrag zur neueren historischen Biographik, sowie zur historischen Selbstzeugnisforschung. Untersuchungsgegenstand sind die Texte des in der Forschung nicht unbekannten Kaufmanns und Ratsherren Andreas Ryff (1550-1603). Die Texte werden ausgehend von Michel Foucaults Überlegungen über die „Sorge um sich“ und Karl Jaspers Konzept der „Einsamkeit“ einer Relektüre unterzogen. Die Arbeit vertritt eine für die Darstellung einer Biographie eigenständige theoretisch-konzeptuelle Position, die als „Sorge um die Einsamkeit“ bezeichnet und im einleitenden Kapitel ausführlich besprochen wird.
Die Texte Ryffs, in vier Kapiteln erörtert, werden nicht als schriftliche Abbildungen des vorschriftlich Erlebten, sondern als biographische Handlungen analysiert. Entsprechend stehen Fragen nach Textgestaltung, Gattung, Rhetorik und Textstrategien im Zentrum, wodurch der historische Kontext, d.h. die Einordnungskategorien der untersuchten Texte nicht Handlungs-, Struktur- und Erfahrungszusammenhänge sind, sondern ihre Textualität und Referentialität. Eine so gerichtete Perspektive auf die Quellen hat zur Folge, dass die untersuchten Texte nicht als funktionale Träger einer Botschaft oder Handlung verstanden werden, sondern als immer schon in Transformation begriffene Medien der Dialogizität und Intertextualität der betreffenden, biographisierten Person. Diese eignet sich mit dem Verfassen der autobiographischen Texte eine für ihre Zeit etablierte soziale Praxis an und kommuniziert dadurch mit ihrer Umwelt, einer antizipierten Lesergemeinschaft. Die autobiographischen Schriften Ryffs werden in diesem Sinne als „sprachliche und kommunikative Handlungen“ (Eva Kormann) interpretiert und zugleich als Selbstthematisierungen gedeutet, die es dem Autor erlauben, sich um sich selbst, seine Einsamkeit zu sorgen.
Unter Einsamkeit wird in der Arbeit die Möglichkeitsbedingung des Selbstbezugs verstanden, in der eine Person auf konstitutive Art auf ihr Selbst einwirken kann. Dieser Selbstbezug stellt jedoch kein geschlossenes System dar, er bedarf vielmehr der Vermittlung. Für die Selbstkonzeption des Subjekts bedeutet das, dass Einsamkeit und Kommunikation – mit sich und mit der Umwelt – auf wesentliche Art miteinander verflochten sind, so dass Einsamkeit stets ein Konstrukt bleibt, das kommunikativ hergestellt werden muss, worin zugleich die Einbruchstelle des Selbstbezugs zu verorten ist. „Wer einsam ist, ist zugleich eingelassen in eine Welt.“ Indem das Subjekt sich kulturelle Techniken und Praktiken der Selbstbetrachtung aneignet, ordnet es sich zugleich in ein allgemeines Geschehen ein. Autobiographische Texte stellen solche kulturelle Techniken dar, die herangezogen werden, um sich um das Selbst zu sorgen. In der Arbeit wird dafür der Ausdruck „Sorge um die Einsamkeit“ gebraucht, um einerseits das Persönliche, welches stets einen gewissen Anspruch auf Authentizität des Dargestellten erhebt, andererseits das Konstruierte der Selbstkonzeption hervorzuheben. Autobiographischen Texten ist im weiteren eigentümlich, dass sie durch den retrospektiven Blick eine Zeitdifferenz (zur eigenen Vergangenheit) herstellen, die in der Darstellung überbrückt werden muss, wobei der Selbstbezug als zeitliche Distanz zu sich selbst erst durch die rückblickende Konstruktion hergestellt wird. Dieser in sich differenten Selbstbezug eines sich um seine Einsamkeit sorgenden Subjektes – in der Arbeit als Konzept für das Verfassen einer Biographie wie auch als gemeinsamer Nenner autobiographischer Texte genutzt - stellt ein rekonstruktives Vorgehen dar, womit autobiographische Texte in die Nähe historischer Darstellungen rücken, deren Gemeinsamkeit in der Arbeit mit dem zweiten zentralen Begriff der Untersuchung, der „Rekonstruktion“, erörtert wird. Wenn im gängigen Verständnis Rekonstruktion als eine Wiederherstellung eines in der Vergangenheit liegenden und in der Gegenwart nicht mehr erhaltenen Originals, als eine Vergegenwärtigung des Vergangenen – im Idealfall ohne Verlust - verstanden wird, so wird in der Arbeit in Abgrenzung dazu und in Anlehnung an Rancières Ausführungen über die Homonymie des Begriffs „Geschichte“ und Derridas Bemerkungen zur iterativen Struktur der Schrift Rekonstruktion neu konzeptualisiert – als Wiederholung des Vergangenen, das aktuell neu entworfen wird. In dieser Aktualität der schriftlichen Darstellung stellt sich auch der Bruch mit dem ein, dessen Geschichte erzählt werden soll. Mit anderen Worten: der Kreis der lebensgeschichtlichen Erzählung, welche sich durch die Rekonstruktion eigentlich schliessen sollte, öffnet sich dadurch erst recht. Diese konstitutive Offenheit autobiographischer Texte, dies ergaben die Analysen der Texte Ryffs, zeigt sich an der Figur des Lesers am deutlichsten. Durch den Leser, der die kommunikative Handlung der autobiographischen Texte mit der Umwelt des Autors repräsentiert, wird ein endgültiger Selbstbezug, als introspektive Vollendung der Selbsterkenntnis, negiert und aufgeschoben. Die Figur des Lesers spiegelt sich aber ebenfalls im Verfasser und zwar in doppelter Hinsicht: einerseits als Leser anderer Texte, auf die Ryff in seinem Schreiben referiert, andererseits als Leser seiner eigenen Texte, der im Dialog mit seinem zu erzählenden Gegenstand steht. Gerade die Eröffnungspassagen der untersuchten Werke zeigen das Eingelassensein der Texte in zeitgenössische, soziokulturelle Diskurse. Zugleich äussert sich in den autobiographischen Schriften Ryffs, als historische Texte, eine „Sorge um die Geschichte“, die sich in ihren diskursiven Momenten an die Überlieferung anschliesst, aber diese mit Bezug auf das Persönliche neu schreibt. Als historische Texte nehmen die Schriften Ryffs daher teil an der Geschichte, die sie lesend neu schreiben, rückblickend neu konstruieren.
Die Texte Ryffs, in vier Kapiteln erörtert, werden nicht als schriftliche Abbildungen des vorschriftlich Erlebten, sondern als biographische Handlungen analysiert. Entsprechend stehen Fragen nach Textgestaltung, Gattung, Rhetorik und Textstrategien im Zentrum, wodurch der historische Kontext, d.h. die Einordnungskategorien der untersuchten Texte nicht Handlungs-, Struktur- und Erfahrungszusammenhänge sind, sondern ihre Textualität und Referentialität. Eine so gerichtete Perspektive auf die Quellen hat zur Folge, dass die untersuchten Texte nicht als funktionale Träger einer Botschaft oder Handlung verstanden werden, sondern als immer schon in Transformation begriffene Medien der Dialogizität und Intertextualität der betreffenden, biographisierten Person. Diese eignet sich mit dem Verfassen der autobiographischen Texte eine für ihre Zeit etablierte soziale Praxis an und kommuniziert dadurch mit ihrer Umwelt, einer antizipierten Lesergemeinschaft. Die autobiographischen Schriften Ryffs werden in diesem Sinne als „sprachliche und kommunikative Handlungen“ (Eva Kormann) interpretiert und zugleich als Selbstthematisierungen gedeutet, die es dem Autor erlauben, sich um sich selbst, seine Einsamkeit zu sorgen.
Unter Einsamkeit wird in der Arbeit die Möglichkeitsbedingung des Selbstbezugs verstanden, in der eine Person auf konstitutive Art auf ihr Selbst einwirken kann. Dieser Selbstbezug stellt jedoch kein geschlossenes System dar, er bedarf vielmehr der Vermittlung. Für die Selbstkonzeption des Subjekts bedeutet das, dass Einsamkeit und Kommunikation – mit sich und mit der Umwelt – auf wesentliche Art miteinander verflochten sind, so dass Einsamkeit stets ein Konstrukt bleibt, das kommunikativ hergestellt werden muss, worin zugleich die Einbruchstelle des Selbstbezugs zu verorten ist. „Wer einsam ist, ist zugleich eingelassen in eine Welt.“ Indem das Subjekt sich kulturelle Techniken und Praktiken der Selbstbetrachtung aneignet, ordnet es sich zugleich in ein allgemeines Geschehen ein. Autobiographische Texte stellen solche kulturelle Techniken dar, die herangezogen werden, um sich um das Selbst zu sorgen. In der Arbeit wird dafür der Ausdruck „Sorge um die Einsamkeit“ gebraucht, um einerseits das Persönliche, welches stets einen gewissen Anspruch auf Authentizität des Dargestellten erhebt, andererseits das Konstruierte der Selbstkonzeption hervorzuheben. Autobiographischen Texten ist im weiteren eigentümlich, dass sie durch den retrospektiven Blick eine Zeitdifferenz (zur eigenen Vergangenheit) herstellen, die in der Darstellung überbrückt werden muss, wobei der Selbstbezug als zeitliche Distanz zu sich selbst erst durch die rückblickende Konstruktion hergestellt wird. Dieser in sich differenten Selbstbezug eines sich um seine Einsamkeit sorgenden Subjektes – in der Arbeit als Konzept für das Verfassen einer Biographie wie auch als gemeinsamer Nenner autobiographischer Texte genutzt - stellt ein rekonstruktives Vorgehen dar, womit autobiographische Texte in die Nähe historischer Darstellungen rücken, deren Gemeinsamkeit in der Arbeit mit dem zweiten zentralen Begriff der Untersuchung, der „Rekonstruktion“, erörtert wird. Wenn im gängigen Verständnis Rekonstruktion als eine Wiederherstellung eines in der Vergangenheit liegenden und in der Gegenwart nicht mehr erhaltenen Originals, als eine Vergegenwärtigung des Vergangenen – im Idealfall ohne Verlust - verstanden wird, so wird in der Arbeit in Abgrenzung dazu und in Anlehnung an Rancières Ausführungen über die Homonymie des Begriffs „Geschichte“ und Derridas Bemerkungen zur iterativen Struktur der Schrift Rekonstruktion neu konzeptualisiert – als Wiederholung des Vergangenen, das aktuell neu entworfen wird. In dieser Aktualität der schriftlichen Darstellung stellt sich auch der Bruch mit dem ein, dessen Geschichte erzählt werden soll. Mit anderen Worten: der Kreis der lebensgeschichtlichen Erzählung, welche sich durch die Rekonstruktion eigentlich schliessen sollte, öffnet sich dadurch erst recht. Diese konstitutive Offenheit autobiographischer Texte, dies ergaben die Analysen der Texte Ryffs, zeigt sich an der Figur des Lesers am deutlichsten. Durch den Leser, der die kommunikative Handlung der autobiographischen Texte mit der Umwelt des Autors repräsentiert, wird ein endgültiger Selbstbezug, als introspektive Vollendung der Selbsterkenntnis, negiert und aufgeschoben. Die Figur des Lesers spiegelt sich aber ebenfalls im Verfasser und zwar in doppelter Hinsicht: einerseits als Leser anderer Texte, auf die Ryff in seinem Schreiben referiert, andererseits als Leser seiner eigenen Texte, der im Dialog mit seinem zu erzählenden Gegenstand steht. Gerade die Eröffnungspassagen der untersuchten Werke zeigen das Eingelassensein der Texte in zeitgenössische, soziokulturelle Diskurse. Zugleich äussert sich in den autobiographischen Schriften Ryffs, als historische Texte, eine „Sorge um die Geschichte“, die sich in ihren diskursiven Momenten an die Überlieferung anschliesst, aber diese mit Bezug auf das Persönliche neu schreibt. Als historische Texte nehmen die Schriften Ryffs daher teil an der Geschichte, die sie lesend neu schreiben, rückblickend neu konstruieren.
Advisors: | Burghartz, Susanna |
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Faculties and Departments: | 04 Faculty of Humanities and Social Sciences > Departement Geschichte > Ehemalige Einheiten Geschichte > Renaissance und frühe Neuzeit (Burghartz) |
UniBasel Contributors: | Burghartz, Susanna |
Item Type: | Thesis |
Thesis Subtype: | Master Thesis |
Thesis no: | UNSPECIFIED |
Thesis status: | Complete |
Last Modified: | 05 Apr 2018 17:39 |
Deposited On: | 06 Feb 2018 11:29 |
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