Müller, Andreas. Expo.nentielle Imagi.nation: Die Mediendiskussion zur Entstehungsgeschichte der Expo.02 (1993-2002). Ein Beitrag zur historischen Erinnerungskultur und Identitätsdebatte in der Schweiz der 90er Jahre. 2005, Master Thesis, University of Basel, Faculty of Humanities and Social Sciences.
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Official URL: https://edoc.unibas.ch/60424/
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Abstract
Ein Expo – Diskurs als Brennpunkt nationaler Selbstreflexion der Deutschschweiz
Im Mai des Jahres 2002 wurde in der Schweiz die sechste Landesausstellung feierlich eröffnet, nachdem ihre Entstehungsgeschichte die mediale Öffentlichkeit über Jahre hinweg beschäftigt hatte. In Anbetracht der Tatsache, dass sich nationale Manifestationen in den 80er und 90er Jahren nicht mehr auf einen breiten Konsens stützen konnten, hatte auch das jüngste Expo–Projekt einen schweren Stand. Überdies brachten organisatorische Probleme, fehlende Sponsoringeinnahmen und ein in den Medien geführter Streit um Personen und Inhalte die Expo an den Rand des Scheiterns.
Die wechselvolle Entstehungsgeschichte der jüngsten Landesausstellung zeigte, wie sehr die Schweiz an der Schwelle zum dritten Jahrtausend offenbar Mühe hatte, sich selbst darzustellen. Eine ganze Reihe bedeutsamer Entwicklungen und Ereignisse hatte in den 80er und 90er Jahren das traditionelle Selbstverständnis des Landes erschüttert. Die Herausbildung der EU, die Globalisierung und das Ende des Kalten Krieges stellten das Land vor neue Herausforderungen. Die wachsenden Gegensätze zwischen den Generationen, den einzelnen Landesteilen sowie auch zwischen städtischen und ländlichen Gebieten sorgten für Verunsicherung. Überdies zerstörte der neue Blick auf die Geschichte der Schweiz im Zweiten Weltkrieg den Mythos des wehrhaften und unabhängigen Kleinstaates. Das heroische Geschichtsbild der Schweiz, das man noch an den Diamantfeiern von 1989 inszeniert hatte, sowie auch das historische Verständnis einer kontinuierlichen Entwicklung des Sonderfalls Schweiz, das 1939, 1964 und noch 1991 beschworen worden war, konnte nicht mehr aufrecht erhalten werden.
Angesichts dieser Situation, die häufig auch als Identitätskrise der Schweiz beschrieben wurde, galt es, über die Bücher zu gehen. Der Versuch, an der Schwelle zum dritten Jahrtausend eine neuerliche Landesausstellung auf die Beine zu stellen, geriet somit zum Brennpunkt einer Phase nationaler Selbstreflexion. Diskutiert wurden nicht nur die gegenwärtige Identitätsproblematik und das Verhältnis zwischen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in der postnationalen Gesellschaft der Gegenwart, sondern auch die historische Bedeutung der Landesausstellungen für das Selbstverständnis der Schweiz zu verschiedenen Zeiten. Ferner entwickelte sich ein interessanter Diskurs zur jüngsten historischen Entwicklung der Schweiz aus der Sicht der 90er Jahre. Diesen verästelten Diskurs zur Erinnerungskultur und dem Wandel des nationalen Selbstverständnisses in der Schweiz stellte ich ins Zentrum meiner Arbeit. Genau genommen habe ich die Entstehungsgeschichte der Expo.02 fokussiert, um herauszufinden, welche Bedeutung die Geschichte, respektive die Auseinandersetzung mit historischen Themen und Ereignissen in der medialen Berichterstattung erlangt hat.
Um diesem Anspruch gerecht werden zu können, anerbot sich ein diskursanalytisches Verfahren, das in einem ersten Schritt zunächst jene historischen Ereignisse und Entwicklungen zusammenträgt und analysiert, auf die im Verlaufe der jüngsten Expo–Debatte immer wieder Bezug genommen wurden. Ausgewertet wurden in diesem Zusammenhang die gängigsten Deutschschweizer Tageszeitungen und Wochenblätter der Jahre 1993–2002. In einem zweiten Schritt habe ich dann untersucht, welche Bedeutung die einzelnen Themen konkret erlangt haben, respektive auf welche Art und Weise sie im Diskurs zur Entstehungsgeschichte der jüngsten Landesausstellung beschrieben wurden. In einem weiteren Schritt ging es mir darum, die Frage nach der Bedeutung der Geschichte am Beispiel einzelner Exponenten der Expo.02 zu reflektieren, zumal sich in den medialen Darstellungen dieser Personen jeweils ein spezifisches Geschichtsbewusstsein manifestierte.
Die quantitative Analyse der Zeitungsartikel zur Entstehungsgesichte der Expo.02 zeigte deutlich, dass die historische Erinnerung im jüngsten Diskurs zum Thema Landesausstellungen nur eine marginale Rolle spielte. Aktuelle technische, personelle und inhaltliche Fragen standen stets im Vordergrund der öffentlichen Debatte, während historische Ereignisse und nationale Mythen in diesem Diskurs zwar präsent waren, aber keine hervorstechende Bedeutung erlangten. Selbst unmittelbar zurückliegende Ereignisse, die wie beispielsweise die Schatten des Zweiten Weltkriegs oder auch der Fichen–Skandal für die Selbstwahrnehmung der Schweiz von enormer Wichtigkeit gewesen waren und auch für entsprechendes Aufsehen gesorgt hatten, blieben eher im Hintergrund, obwohl sich das historische Gedächtnis der berücksichtigten Zeitungen primär auf die jüngste Vergangenheit konzentrierte. Allein mehr als die Hälfte der in den Pressartikeln thematisierten historischen Ereignisse sowie der grösste Teil des insgesamt evaluierten Erinnerungsvolumens konzentrierte sich auf den Zeitraum der 80er und 90er Jahre. Eine Ausnahme bildeten Bezugnahmen auf frühere Landesausstellungen. Hierbei stand häufig eine sachlogische, sich am Anlass orientierende Erinnerung im Vordergrund. Offenbar wollte man dem Leser anhand einer Rückschau auf die Geschichte und Tradition der Schweizer Landesausstellungen einen leichteren Zugang zum Thema bieten. Auffallend ist aber, dass in diesem Zusammenhang primär auf die Lausanner Expo von 1964 Bezug genommen wurde. Die frühen Landesausstellungen der Jahre 1883, 1896 und 1914 spielten kaum eine Rolle. Selbst die Zürcher Landi von 1939 stand im Schatten der Lausanner Expo. Letzteres ist bemerkenswert, zumal die Zürcher Landi als Inbegriff der Geistigen Landesverteidigung im kollektiven Gedächtnis der Nachkriegszeit einen hohen Stellenwert besass und Gegenstand zahlreicher Aufsätze und Publikationen wurde.
Die qualitative Auseinandersetzung mit den Presseartikeln zur Expo.02 machte deutlich, dass es in den 90er Jahren um das Verhältnis zur jüngeren Schweizer Geschichte nicht sehr gut bestellt war. Beispielsweise wurde die kulturelle, politische und wirtschaftliche Entwicklung des Landes in den 80er und 90er Jahren sehr ambivalent und kritisch betrachtet. Die Identitätskrise der Schweiz, respektive ihr gespaltenes Verhältnis gegenüber den traditionellen Werten aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs und der Nachkriegszeit, spiegelte sich vor allem auch in der Auseinandersetzung mit den Schweizer Mythen und den Jubiläumsfeiern der 80er und 90er Jahre. Unter anderem erschienen Mitte der 90er Jahre, vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung mit den Schatten des Zweiten Weltkriegs, die Diamantfeiern, welche als Bekenntnis zur bewaffneten Neutralität und der Aktivgeneration bereits 1989 die Geschichte der Schweiz im Zweiten Weltkrieg aufs Tapet gebracht hatten, als verpasste Chance, die Aufarbeitung dunkler Kapitel der Schweizer Geschichte rechtzeitig an die Hand genommen zu haben. Auch die 700–Jahr–Feier von 1991 wurde als rückwärtsgewandte, nicht mehr zeitgemässe Feier betrachtet, welche die Entwicklung in den 80er Jahren offenbar völlig ignoriert hatte und das traditionelle Selbstverständnis der Nachkriegszeit inszenierte, als ob nichts gewesen wäre. Das Jubiläum zum 150–jährigen Bestehen des Bundesstaates galt demgegenüber als Eingeständnis völliger Orientierungslosigkeit. Die Schweiz, so urteilten die Zeitungen, hätte es nicht geschafft, die Erschütterung des traditionellen Selbstverständnisses in einem positiven Sinne zu kompensieren und dem Bedürfnis nach einem unbelasteten, identitätsstiftenden Schweizbild gerecht zu werden.
Hinzu kommt, dass ein Grossteil des Schweizer Mythenschatzes, insbesondere aber das Bild der heroischen Schweiz, die stets wehrhaft ihre Unabhängigkeit und ihre Freiheit verteidigt hatte, im Diskurs über die Entstehungsgeschichte der jüngsten Landesausstellung gar keine Rolle mehr spielte. Einzig der Mythos der Willensnation und der Schweizer Sonderfall wurden diskutiert. Während sich im Mythos des Sonderfalls das überholte Selbstverständnis der Nachkriegszeit spiegelte und entsprechend kritisiert wurde, verkörperte die Idee der Willensnation jene moderne, leistungsfähige, weltoffene und kreative Schweiz, welche die Organisatoren der jüngsten Landesausstellung zu Beginn des dritten Jahrtausends zeigen wollten. Die Idee der Willensnation wurde als identitätsstiftender Mythos wahrgenommen, der Gegenwart und Zukunft genauso verkörperte wie die historische Tradition, ohne dabei dem Prinzip des überkommenen Sonderfalls zu huldigen.
Die starke Personalisierung der jüngsten Landesausstellung, die sich in einer intensiven Beschäftigung der Zeitungen mit den führenden Persönlichkeiten der Expo–Organisation niederschlug, stand nicht zuletzt im Zeichen einer personalen Repräsentation des Schweizer Selbstverständnisses. In diesem Zusammenhang verkörperten sämtliche in dieser Arbeit fokussierten Personen einen für die Schweizer Gesellschaft typischen Habitus. Francis Matthey repräsentierte beispielsweise die überforderte und entscheidungsschwache Schweiz, die vor drängenden Problemen die Augen verschliesst, Jacqueline Fendt hingegen die „andere Schweiz“ der altlinken Visionäre aus den 70er Jahren, die danach strebten, die etablierten Machtstrukturen im Lande auszuhebeln. Martin Heller und Franz Steinegger verkörperten darüber hinaus die Kontinuität des bestehenden bürgerlichen Systems, das aber dem Wandel der Zeit Rechnung trägt und Veränderungen gegenüber durchaus aufgeschlossen begegnet, während Nelly Wenger und Pipilotti Rist den Wertewandel der vergangenen Jahrzehnte im Sinne eines aufgeschlossenen, dezidiert femininen und unverkrampften Heimatbezuges zum Ausdruck brachten.
Aus dem Streit um die Personen der Expo–Führung angesichts der grossen Krise von 1999 gingen Sieger und Verlierer hervor. Die in diesem Zusammenhang entstandenen Kräfteverhältnisse spiegelten nicht zuletzt auch die Verhältnisse in der Schweiz zur Zeit der 90er Jahre. Eine breite, konsensfähige Koalition des bürgerlichen Liberalismus und der gemässigten Linken stand nicht nur an der Spitze der Expo, sondern teilte sich auch die Macht im Lande. In den Spitzenpositionen der Wirtschaft und Politik fand man pragmatische Traditionalisten wie Franz Steinegger oder gemässigte Linksliberale wie Martin Heller. In relevanten politischen Fragen, so beispielsweise in der Europa–Thematik, existierte ein sozial– liberaler Konsens. Die Tatsache, dass zudem stets eine Frau an der Spitze der Expo–Direktion stand, zeigt überdies, welchen Stellenwert in der Schweiz die Integration der Frauen im politischen und wirtschaftlichen Leben erlangt hatte. Nachdem hierfür überhaupt erst spät, nämlich mit der Einführung des Frauenstimmrechts im Jahre 1971, der Grundstein gelegt worden war, hatte in den 80er und 90er Jahren die Frage, wie man möglichst rasch vom patriarchalischen Modell der Geschlechterrollen wegkommen kann, an Bedeutung gewonnen. Vor diesem Hintergrund zeigte die Expo.02 in Martin Heller, Franz Steinegger und Nelly Wenger eine moderne und weltoffene Schweiz, die sich in den 70er, 80er und 90er Jahren aufgrund einer Vielzahl von Ereignissen gewandelt hatte, und in der es nun auch zum Konsens gehörte, dass Frauen auf höchster Ebene Verantwortung übernahmen.
Zu den Verlierern gehörten dagegen Francis Matthey und Jacqueline Fendt. Letztere scheiterte nicht, weil sie eine Frau war, sondern weil sie die Haltung der altlinken, antitraditionalistischen Schweizkritiker vertrat, die sich aufgrund mangelnder Konsensfähigkeit ins Abseits manövriert hatten. Francis Matthey dagegen verkörperte die Niederlage der entscheidungsschwachen, unbeweglichen und unentschlossenen Schweiz, welche die Chance zur Integration in Europa verpasst und die unrühmlichen Kapitel der Schweizer Geschichte zu lange verdrängt hatte. Überdies ist interessant, dass die reaktionär–konservative SVP im Rahmen der Expo–Geschichte ebenfalls auf verlorenem Posten stand, obschon sie im Verlaufe der 90er Jahre zur stärksten Partei in der Schweiz aufsteigen konnte. Zwar brachte die Expo für die SVP keinen politischen Rückschlag, doch bedeutete sie auf kultureller Ebene eine klare Niederlage. Nachdem die SVP auf der politischen Ebene den Heimatdiskurs quasi für sich allein vereinnahmen konnte, erhielt sie nun Konkurrenz. Die geplante Landesausstellung zeigte einen anderen, kreativen und weltoffenen Patriotismus, mit dem sich die SVP nicht identifizieren konnte. Die Expo stand in den Augen der SVP für jene bürgerlich–linksliberale Konsenspolitik, gegen die sie stets rebellierte.
Obschon ich über 700 Presseartikel zur Entstehungsgeschichte der Expo.02 untersucht habe und einige interessante Beobachtungen zum Thema Erinnerungskultur und Selbstwahrnehmung in der Schweiz der 90er Jahre sammeln konnte, blieb der Blick auf das Thema meiner Arbeit sehr akzentuiert. Das benutzte Quellenkorpus deckte nur einen Teil der Schweizer Medienlandschaft ab. Inwieweit nun die Entstehungsgeschichte der Expo.02 in den einzelnen Landesteilen unterschiedlich wahrgenommen wurde und divergierende Erinnerungsprozesse ausgelöst hat, konnte somit genauso wenig untersucht werden wie die weiterführende Fragestellung, ob nicht überhaupt die Auseinandersetzung mit dem Selbstverständnis der Schweiz in der Westschweiz oder im Tessin in den 90er Jahren anders ausfiel als in der Deutschschweiz. Selbst die Ergebnisse für die Deutschschweiz sind nur bedingt repräsentativ, zumal Zeitungen nur einen Teil der medialen Wirklichkeit abbilden.
Im Mai des Jahres 2002 wurde in der Schweiz die sechste Landesausstellung feierlich eröffnet, nachdem ihre Entstehungsgeschichte die mediale Öffentlichkeit über Jahre hinweg beschäftigt hatte. In Anbetracht der Tatsache, dass sich nationale Manifestationen in den 80er und 90er Jahren nicht mehr auf einen breiten Konsens stützen konnten, hatte auch das jüngste Expo–Projekt einen schweren Stand. Überdies brachten organisatorische Probleme, fehlende Sponsoringeinnahmen und ein in den Medien geführter Streit um Personen und Inhalte die Expo an den Rand des Scheiterns.
Die wechselvolle Entstehungsgeschichte der jüngsten Landesausstellung zeigte, wie sehr die Schweiz an der Schwelle zum dritten Jahrtausend offenbar Mühe hatte, sich selbst darzustellen. Eine ganze Reihe bedeutsamer Entwicklungen und Ereignisse hatte in den 80er und 90er Jahren das traditionelle Selbstverständnis des Landes erschüttert. Die Herausbildung der EU, die Globalisierung und das Ende des Kalten Krieges stellten das Land vor neue Herausforderungen. Die wachsenden Gegensätze zwischen den Generationen, den einzelnen Landesteilen sowie auch zwischen städtischen und ländlichen Gebieten sorgten für Verunsicherung. Überdies zerstörte der neue Blick auf die Geschichte der Schweiz im Zweiten Weltkrieg den Mythos des wehrhaften und unabhängigen Kleinstaates. Das heroische Geschichtsbild der Schweiz, das man noch an den Diamantfeiern von 1989 inszeniert hatte, sowie auch das historische Verständnis einer kontinuierlichen Entwicklung des Sonderfalls Schweiz, das 1939, 1964 und noch 1991 beschworen worden war, konnte nicht mehr aufrecht erhalten werden.
Angesichts dieser Situation, die häufig auch als Identitätskrise der Schweiz beschrieben wurde, galt es, über die Bücher zu gehen. Der Versuch, an der Schwelle zum dritten Jahrtausend eine neuerliche Landesausstellung auf die Beine zu stellen, geriet somit zum Brennpunkt einer Phase nationaler Selbstreflexion. Diskutiert wurden nicht nur die gegenwärtige Identitätsproblematik und das Verhältnis zwischen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in der postnationalen Gesellschaft der Gegenwart, sondern auch die historische Bedeutung der Landesausstellungen für das Selbstverständnis der Schweiz zu verschiedenen Zeiten. Ferner entwickelte sich ein interessanter Diskurs zur jüngsten historischen Entwicklung der Schweiz aus der Sicht der 90er Jahre. Diesen verästelten Diskurs zur Erinnerungskultur und dem Wandel des nationalen Selbstverständnisses in der Schweiz stellte ich ins Zentrum meiner Arbeit. Genau genommen habe ich die Entstehungsgeschichte der Expo.02 fokussiert, um herauszufinden, welche Bedeutung die Geschichte, respektive die Auseinandersetzung mit historischen Themen und Ereignissen in der medialen Berichterstattung erlangt hat.
Um diesem Anspruch gerecht werden zu können, anerbot sich ein diskursanalytisches Verfahren, das in einem ersten Schritt zunächst jene historischen Ereignisse und Entwicklungen zusammenträgt und analysiert, auf die im Verlaufe der jüngsten Expo–Debatte immer wieder Bezug genommen wurden. Ausgewertet wurden in diesem Zusammenhang die gängigsten Deutschschweizer Tageszeitungen und Wochenblätter der Jahre 1993–2002. In einem zweiten Schritt habe ich dann untersucht, welche Bedeutung die einzelnen Themen konkret erlangt haben, respektive auf welche Art und Weise sie im Diskurs zur Entstehungsgeschichte der jüngsten Landesausstellung beschrieben wurden. In einem weiteren Schritt ging es mir darum, die Frage nach der Bedeutung der Geschichte am Beispiel einzelner Exponenten der Expo.02 zu reflektieren, zumal sich in den medialen Darstellungen dieser Personen jeweils ein spezifisches Geschichtsbewusstsein manifestierte.
Die quantitative Analyse der Zeitungsartikel zur Entstehungsgesichte der Expo.02 zeigte deutlich, dass die historische Erinnerung im jüngsten Diskurs zum Thema Landesausstellungen nur eine marginale Rolle spielte. Aktuelle technische, personelle und inhaltliche Fragen standen stets im Vordergrund der öffentlichen Debatte, während historische Ereignisse und nationale Mythen in diesem Diskurs zwar präsent waren, aber keine hervorstechende Bedeutung erlangten. Selbst unmittelbar zurückliegende Ereignisse, die wie beispielsweise die Schatten des Zweiten Weltkriegs oder auch der Fichen–Skandal für die Selbstwahrnehmung der Schweiz von enormer Wichtigkeit gewesen waren und auch für entsprechendes Aufsehen gesorgt hatten, blieben eher im Hintergrund, obwohl sich das historische Gedächtnis der berücksichtigten Zeitungen primär auf die jüngste Vergangenheit konzentrierte. Allein mehr als die Hälfte der in den Pressartikeln thematisierten historischen Ereignisse sowie der grösste Teil des insgesamt evaluierten Erinnerungsvolumens konzentrierte sich auf den Zeitraum der 80er und 90er Jahre. Eine Ausnahme bildeten Bezugnahmen auf frühere Landesausstellungen. Hierbei stand häufig eine sachlogische, sich am Anlass orientierende Erinnerung im Vordergrund. Offenbar wollte man dem Leser anhand einer Rückschau auf die Geschichte und Tradition der Schweizer Landesausstellungen einen leichteren Zugang zum Thema bieten. Auffallend ist aber, dass in diesem Zusammenhang primär auf die Lausanner Expo von 1964 Bezug genommen wurde. Die frühen Landesausstellungen der Jahre 1883, 1896 und 1914 spielten kaum eine Rolle. Selbst die Zürcher Landi von 1939 stand im Schatten der Lausanner Expo. Letzteres ist bemerkenswert, zumal die Zürcher Landi als Inbegriff der Geistigen Landesverteidigung im kollektiven Gedächtnis der Nachkriegszeit einen hohen Stellenwert besass und Gegenstand zahlreicher Aufsätze und Publikationen wurde.
Die qualitative Auseinandersetzung mit den Presseartikeln zur Expo.02 machte deutlich, dass es in den 90er Jahren um das Verhältnis zur jüngeren Schweizer Geschichte nicht sehr gut bestellt war. Beispielsweise wurde die kulturelle, politische und wirtschaftliche Entwicklung des Landes in den 80er und 90er Jahren sehr ambivalent und kritisch betrachtet. Die Identitätskrise der Schweiz, respektive ihr gespaltenes Verhältnis gegenüber den traditionellen Werten aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs und der Nachkriegszeit, spiegelte sich vor allem auch in der Auseinandersetzung mit den Schweizer Mythen und den Jubiläumsfeiern der 80er und 90er Jahre. Unter anderem erschienen Mitte der 90er Jahre, vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung mit den Schatten des Zweiten Weltkriegs, die Diamantfeiern, welche als Bekenntnis zur bewaffneten Neutralität und der Aktivgeneration bereits 1989 die Geschichte der Schweiz im Zweiten Weltkrieg aufs Tapet gebracht hatten, als verpasste Chance, die Aufarbeitung dunkler Kapitel der Schweizer Geschichte rechtzeitig an die Hand genommen zu haben. Auch die 700–Jahr–Feier von 1991 wurde als rückwärtsgewandte, nicht mehr zeitgemässe Feier betrachtet, welche die Entwicklung in den 80er Jahren offenbar völlig ignoriert hatte und das traditionelle Selbstverständnis der Nachkriegszeit inszenierte, als ob nichts gewesen wäre. Das Jubiläum zum 150–jährigen Bestehen des Bundesstaates galt demgegenüber als Eingeständnis völliger Orientierungslosigkeit. Die Schweiz, so urteilten die Zeitungen, hätte es nicht geschafft, die Erschütterung des traditionellen Selbstverständnisses in einem positiven Sinne zu kompensieren und dem Bedürfnis nach einem unbelasteten, identitätsstiftenden Schweizbild gerecht zu werden.
Hinzu kommt, dass ein Grossteil des Schweizer Mythenschatzes, insbesondere aber das Bild der heroischen Schweiz, die stets wehrhaft ihre Unabhängigkeit und ihre Freiheit verteidigt hatte, im Diskurs über die Entstehungsgeschichte der jüngsten Landesausstellung gar keine Rolle mehr spielte. Einzig der Mythos der Willensnation und der Schweizer Sonderfall wurden diskutiert. Während sich im Mythos des Sonderfalls das überholte Selbstverständnis der Nachkriegszeit spiegelte und entsprechend kritisiert wurde, verkörperte die Idee der Willensnation jene moderne, leistungsfähige, weltoffene und kreative Schweiz, welche die Organisatoren der jüngsten Landesausstellung zu Beginn des dritten Jahrtausends zeigen wollten. Die Idee der Willensnation wurde als identitätsstiftender Mythos wahrgenommen, der Gegenwart und Zukunft genauso verkörperte wie die historische Tradition, ohne dabei dem Prinzip des überkommenen Sonderfalls zu huldigen.
Die starke Personalisierung der jüngsten Landesausstellung, die sich in einer intensiven Beschäftigung der Zeitungen mit den führenden Persönlichkeiten der Expo–Organisation niederschlug, stand nicht zuletzt im Zeichen einer personalen Repräsentation des Schweizer Selbstverständnisses. In diesem Zusammenhang verkörperten sämtliche in dieser Arbeit fokussierten Personen einen für die Schweizer Gesellschaft typischen Habitus. Francis Matthey repräsentierte beispielsweise die überforderte und entscheidungsschwache Schweiz, die vor drängenden Problemen die Augen verschliesst, Jacqueline Fendt hingegen die „andere Schweiz“ der altlinken Visionäre aus den 70er Jahren, die danach strebten, die etablierten Machtstrukturen im Lande auszuhebeln. Martin Heller und Franz Steinegger verkörperten darüber hinaus die Kontinuität des bestehenden bürgerlichen Systems, das aber dem Wandel der Zeit Rechnung trägt und Veränderungen gegenüber durchaus aufgeschlossen begegnet, während Nelly Wenger und Pipilotti Rist den Wertewandel der vergangenen Jahrzehnte im Sinne eines aufgeschlossenen, dezidiert femininen und unverkrampften Heimatbezuges zum Ausdruck brachten.
Aus dem Streit um die Personen der Expo–Führung angesichts der grossen Krise von 1999 gingen Sieger und Verlierer hervor. Die in diesem Zusammenhang entstandenen Kräfteverhältnisse spiegelten nicht zuletzt auch die Verhältnisse in der Schweiz zur Zeit der 90er Jahre. Eine breite, konsensfähige Koalition des bürgerlichen Liberalismus und der gemässigten Linken stand nicht nur an der Spitze der Expo, sondern teilte sich auch die Macht im Lande. In den Spitzenpositionen der Wirtschaft und Politik fand man pragmatische Traditionalisten wie Franz Steinegger oder gemässigte Linksliberale wie Martin Heller. In relevanten politischen Fragen, so beispielsweise in der Europa–Thematik, existierte ein sozial– liberaler Konsens. Die Tatsache, dass zudem stets eine Frau an der Spitze der Expo–Direktion stand, zeigt überdies, welchen Stellenwert in der Schweiz die Integration der Frauen im politischen und wirtschaftlichen Leben erlangt hatte. Nachdem hierfür überhaupt erst spät, nämlich mit der Einführung des Frauenstimmrechts im Jahre 1971, der Grundstein gelegt worden war, hatte in den 80er und 90er Jahren die Frage, wie man möglichst rasch vom patriarchalischen Modell der Geschlechterrollen wegkommen kann, an Bedeutung gewonnen. Vor diesem Hintergrund zeigte die Expo.02 in Martin Heller, Franz Steinegger und Nelly Wenger eine moderne und weltoffene Schweiz, die sich in den 70er, 80er und 90er Jahren aufgrund einer Vielzahl von Ereignissen gewandelt hatte, und in der es nun auch zum Konsens gehörte, dass Frauen auf höchster Ebene Verantwortung übernahmen.
Zu den Verlierern gehörten dagegen Francis Matthey und Jacqueline Fendt. Letztere scheiterte nicht, weil sie eine Frau war, sondern weil sie die Haltung der altlinken, antitraditionalistischen Schweizkritiker vertrat, die sich aufgrund mangelnder Konsensfähigkeit ins Abseits manövriert hatten. Francis Matthey dagegen verkörperte die Niederlage der entscheidungsschwachen, unbeweglichen und unentschlossenen Schweiz, welche die Chance zur Integration in Europa verpasst und die unrühmlichen Kapitel der Schweizer Geschichte zu lange verdrängt hatte. Überdies ist interessant, dass die reaktionär–konservative SVP im Rahmen der Expo–Geschichte ebenfalls auf verlorenem Posten stand, obschon sie im Verlaufe der 90er Jahre zur stärksten Partei in der Schweiz aufsteigen konnte. Zwar brachte die Expo für die SVP keinen politischen Rückschlag, doch bedeutete sie auf kultureller Ebene eine klare Niederlage. Nachdem die SVP auf der politischen Ebene den Heimatdiskurs quasi für sich allein vereinnahmen konnte, erhielt sie nun Konkurrenz. Die geplante Landesausstellung zeigte einen anderen, kreativen und weltoffenen Patriotismus, mit dem sich die SVP nicht identifizieren konnte. Die Expo stand in den Augen der SVP für jene bürgerlich–linksliberale Konsenspolitik, gegen die sie stets rebellierte.
Obschon ich über 700 Presseartikel zur Entstehungsgeschichte der Expo.02 untersucht habe und einige interessante Beobachtungen zum Thema Erinnerungskultur und Selbstwahrnehmung in der Schweiz der 90er Jahre sammeln konnte, blieb der Blick auf das Thema meiner Arbeit sehr akzentuiert. Das benutzte Quellenkorpus deckte nur einen Teil der Schweizer Medienlandschaft ab. Inwieweit nun die Entstehungsgeschichte der Expo.02 in den einzelnen Landesteilen unterschiedlich wahrgenommen wurde und divergierende Erinnerungsprozesse ausgelöst hat, konnte somit genauso wenig untersucht werden wie die weiterführende Fragestellung, ob nicht überhaupt die Auseinandersetzung mit dem Selbstverständnis der Schweiz in der Westschweiz oder im Tessin in den 90er Jahren anders ausfiel als in der Deutschschweiz. Selbst die Ergebnisse für die Deutschschweiz sind nur bedingt repräsentativ, zumal Zeitungen nur einen Teil der medialen Wirklichkeit abbilden.
Advisors: | Mooser, Josef |
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Faculties and Departments: | 04 Faculty of Humanities and Social Sciences > Departement Geschichte > Ehemalige Einheiten Geschichte > Neuere Allgemeine Geschichte (Mooser) |
UniBasel Contributors: | Mooser, Josef |
Item Type: | Thesis |
Thesis Subtype: | Master Thesis |
Thesis no: | UNSPECIFIED |
Thesis status: | Complete |
Last Modified: | 05 Apr 2018 17:38 |
Deposited On: | 06 Feb 2018 11:27 |
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