Mischke, Jürgen. Prolegommena zu einer Hygienegeschichte der mittelalterlichen Stadt Basel. 2009, Master Thesis, University of Basel, Faculty of Humanities and Social Sciences.
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Abstract
«[...] dennoch türmte sich der Unrat allenthalben, und die spätmittelalterliche Stadt [Basel] haben wir uns eingehüllt in den stinkenden Dunst von Exkrementen, Dreck und Gewerbeabfällen vorzustellen.» Dieses kurze Zitat aus einer jüngeren Stadtgeschichte Basels (Meyer, Werner: Basel im Spätmittelalter, in: Basel – Geschichte einer städtischen Gesellschaft, hrsg. von Georg Kreis und Beat von Wartburg, Basel 2000, S. 52.) zeichnet prägnant jenes Bild der mittelalterlichen Stadt nach, welches wohl zu den vordergründigsten und verbreitetsten gehört, wenn heute an die Verbindung der Begriffe Mittelalter und Stadt gedacht wird. Seine Feststellung hat für das in seiner historischen Wirklichkeit darzustellende Objekt der spätmittelalterlichen Stadt sicherlich einen Wahrheitsgehalt. Gleichzeitig offenbart diese Stelle aber auch die methodischen und theoretischen Schwierigkeiten, bei Gedanken über Hygiene im Mittelalter und jeder anderen Epoche, die hier einleitend kurz angeschnitten werden sollen. Mit der Aufforderung, dass «wir» es uns vorzustellen hätten, wird der Entfaltungsraum, die Manifestation des Ekels vor «Unreinheit» in den Rezipienten der zitierten Historiographie verlegt. Unsere Vorstellung von Gestank und die damit verbundene Emotionalität wird zum Argument für hygienische Missstände eingesetzt. Unbeachtet bleibt dabei aber einerseits die kulturell und damit auch historisch konstituierte Ebene des Ekels als Gefühl. Andererseits besticht hier deutlicher als bei manch anderen Geschichtsschreibungen die gegenwartsbezogene Perspektivität jeglicher Historiographie und die Dimension der Fiktionalität von historischen Fakten. Das was unsere Gesellschaft als hygienisch und sauber empfindet, ist bestimmt durch das Wirken verschiedener Diskurse, von denen heute der naturwissenschaftlich-medizinische eine führende Rolle einnimmt. Obwohl kaum jemand behaupten kann er habe mit seinen Augen ein «wirkliches» Bakterium gesehen und nicht nur Bilder davon, normieren wir unseren Umgang mit Reinheit und Unreinheit stark am Diskurs um solch Unsichtbares. Wenn wir unsere Handlungen danach richten, nennen wir diese hygienisch und damit gesund, resp. gesundheitserhaltend. Gleichzeitig nehmen wir diese Handlungsweise als selbstverständlich und vernünftig wahr, ohne die Konstitutionen dieser Mentalität zu realisieren. Dreck nehmen wir wahr durch eine «Brille», die mächtig aufgeladen ist. Der sanitäre Erfolg dieser Methode will die vorliegende Arbeit natürlich nicht anzweifeln. Doch es gilt vor Augen zu führen, dass, wenn man dieses Bewertungsschema an das Verhalten und die Lebenswelt des mittelalterlichen Menschen anlegt, fast zwangsläufig das Prädikat «unhygienisch» entsteht, das wiederum durch seine Verschränkung mit dem medizinischen Diskurs zur Kritik «ungesund» führen muss. Deshalb überrascht die abfällige Beurteilung in einer anderen jüngst erschienenen Stadtgeschichte (Habicht, Peter: Basel - Mittendrin am Rande. Eine Stadtgeschichte, Basel 2008, S. 56) über die mittelalterliche Bevölkerung in Basel nicht: «Über Hygiene wussten die Menschen im Mittelalter herzlich wenig und über Bakterien und Viren gar nichts.» Ist eine solche Bewertung aber für die kritische Auseinandersetzung historischer Zustände zulässig?
Es war ein Ziel dieser Lizentiatsarbeit, nicht moderne medizinische Massstäbe an mittelalterliche Verhältnisse zu legen, sondern einen Hygienebegriff zu entwickeln, der die positivistische Perspektive einer modernen biophysikalischen Medizin überwindet. Es gilt deshalb aus den zeitgenössischen Diskursen über Gesundheit heraus die Massnahmen, Umstände und Probleme im Umgang mit Unreinheit und Ungesundheit zu bewerten. Die Stadt bildet einen besonderen Lebens- und Gemeinschaftsraum, der sich in der Abgrenzung zum Land konstituiert. Die Gemeinschaft dieses Lebensraumes ist in jeder historischen Epoche mit der Verschmutzung desselben durch sich selbst konfrontiert. Wie sich die zivilisatorische Problematik der Verschmutzung in diesem sich im Laufe des Mittelalters entwickelnden Gebilde manifestiert und wie es im menschlichen Umgang darauf reagiert bildet einen zentralen Aspekt des Interesses dieser Arbeit. Die Darstellung dieser Geschichte vollzieht sich also sowohl auf der Ebene der Individuen und ihrer privaten Lebenswelt, auf der Ebene der überindividuellen Umwelt des gesellschaftlichen Raumes Stadt, als auch in der Verknüpfung dieser Räume und den Handlungen darin mit zeitgenössischen Gesundheitsdiskursen. Letztendlich wird deshalb im konstruktivistischen Spannungsfeld von historischer Umwelt, Wahrnehmung, Deutung und Handlung der Mensch, nicht nur in seinem physiologischen, sondern auch in seinem phantastischen Wesen, seiner mentalen Disposition, seiner Vorstellungswelt in den Blick geraten. Das Erkenntnisinteresse dieser Untersuchung lag aber weniger in den zeitgenössischen Subjekten, als in den «Brillen» die sie tragen und den Handlungen die sie unternehmen im Kontext eines Raumes in dem sie leben. Der «tatsächliche» Kontext für den Versuch dieser Untersuchung von «Unstofflichem» wie Vorstellungen, Selbstverständlichkeiten, Wahrnehmungen und Deutungen bildet exemplarisch die Stadt Basel und ihre Bewohner, so wie die schriftlichen Aussagen, die ihre Wirkung auf irgend eine Weise im Baslerischen Raum entfaltet haben könnten. Die groben chronologischen Eckpfeiler für dieses Unterfangen waren dabei die Jahreszahlen 1200 und 1500.
Des Weiteren verbirgt sich in der Chronologie das Problem der Periodisierung. Wenn wir nun nochmals zum einleitenden Zitat zurückkehren, vernehmen wir, dass darin von einem Zustand gesprochen wird, der für die spätmittelalterliche Stadt zutreffen soll. Dies impliziert, dass, betreffend der Problematik einer Verschmutzung, für diese Periode eine mehr oder weniger gleich bleibende oder zumindest eine sich langsam verändernde Situation vorhanden gewesen sei. Können wir aber wirklich annehmen, dass sich im Verlauf des 13. bis 15. Jahrhunderts keine Veränderungen bezüglich einer gesundheitsbeeinflussenden Umwelt in der Stadt eingestellt hatten? Um diese Frage beantworten zu können, habe ich mit dem Blick auf aktuelle Gesundheitsdebatten und Krankheitsmodelle zu klären versucht, welche Faktoren nach heutiger Sicht überhaupt ausschlaggebend für eine städtische Gesundheit sein können und wie diese historisch bewertet werden dürfen. Zentral gilt es dabei die verwendete Begrifflichkeit zu klären und zu fragen:
Was ist Hygiene, was Gesundheit?In welchem Verhältnis steht dazu die Kategorie Umwelt?
Mir war ausserdem daran gelegen, die Darstellung vom evokativen Überbegriff Mittelalter oder Spätmittelalter zu lösen und die Problematik in einer Entwicklung vorzuführen, in der die Stadt einer unsteten, systemischen und keiner teleologischen Entwicklung unterliegt, wie sie üblicherweise in Form von populären Fortschrittsgeschichten skizziert wird. Der Fragekatalog, der in dieser argumentativen Reihenfolge versucht wurde einzulösen, lässt sich folgendermassen aufzählen:Welche methodologisch-theoretischen Überlegungen müssen beim geschichtswissenschaftlichen Umgang mit Hygiene beachtet werden? Welche Diskurse können für die Dispositionen zeitgenössischer Hygienepraktiken festgestellt werden? Wie verändert sich die Umwelt in der mittelalterlichen Stadt Basel zwischen 1200 und 1500? Welche Hygienegeschichte liesse sich durch die Verknüpfung dieser diskursgestützten und umweltgeschichtlichen Ergebnisse erzählen?
Deutlich gemacht werden soll hier nochmals, dass diese Untersuchung nicht die Absicht hatte, die Aussage des einleitenden Zitats zu widerlegen. Es sei nicht bestritten, dass man in der mittelalterlichen Stadt wohl tatsächlich oft strenge Gerüche angetroffen hat. Doch wird in der Literatur oft der Kurzschluss unternommen oder der Eindruck hervorgerufen, dass der mittelalterliche Mensch diesen Zuständen gleichgültig gegenübergestanden hätte. Weiter werden hygienische Missstände des 19. Jahrhunderts durch rückwärtige Extrapolation unter dem Credo «Vormoderne» ins Mittelalter gesteigert, ohne eine methodologisch-theoretische Auseinandersetzung mit den Begriffen Sauberkeit, Hygiene und Gesundheit in ihrer historischen Dimension einzugehen. Dadurch wird für die moderne Geschichtsschreibung die verschmutzte, ungesunde Stadt zu einer zivilisatorischen Rezension zwischen Antike und Neuzeit stilisiert und zum Charakteristikum des Mittelalters schlechthin erhoben von dem sich die Menschen in die Moderne weiterentwickeln hätten müssen. Dabei entsteht der Eindruck, dass der Mensch im Sinne einer teleologischen Fortschrittsidee, einfach noch nicht so weit (wie die Gegenwart) gewesen sei. Einige theoretisch-methodologische Überlegungen zum Phänomen Hygiene haben zwar für die Geschichte des 19. Jahrhunderts stattgefunden, doch für das Mittelalter blieben sie grösstenteils aus. Diese Auseinandersetzung hat diese Untersuchung für die mittelalterliche Stadt Basel durchgeführt. Der Gegenstand dieser Arbeit ist deshalb nur bedingt in den die Gesundheit betreffenden Realien der mittelalterlichen Stadt, also in einer «historischen Wirklichkeit» zu suchen, sondern sie beschäftigte sich ebenso, weil Sauberkeit und Gesundheit keine Realie ist, sowohl mit deren Konstitutionsmechanismen, als auch mit der Problematik von deren Deutung.
Wie habe ich dieses Vorhaben durchgeführt? Grob lässt sich die Arbeit in vier argumentative Teile gliedern:
1. Methodologischtheoretisch, 2. Diskursiv-sprachlich, 3. Deskriptiv-realistisch, 4. Synthetisch-induktiv. Deren einzelne Inhalte seien nun knapp folgendermassen umschrieben.
1.) In einem ersten Schritt galt es einsteigend die verschiedenen Forschungsleistungen und -ansätze zur Thematik aufzuzeigen, um die Situierung dieser Arbeit in der Forschungslandschaft akzentuieren zu können. Grundlegend für weitere Ausführungen musste im Anschluss die Begrifflichkeit geklärt werden. Dabei wurde die Problematik diskutiert, die die Verwendung der Begriffe Hygiene und Gesundheit für historiographische Darstellungen hat. Daraus folgend habe ich danach das methodische Vorgehen vorskizziert, mit dem im weiteren Verlauf der Arbeit versucht wurde der Fragestellung gerecht zu werden.
2.) Die zweite Einheit hatte zum Ziel jene Diskurse aufzuzeigen, die im Verlauf des Mittelalters zur zeitgenössischen Disposition der Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsschemata bezüglich Schmutz und Gesundheit in Basel beigetragen haben könnten. Hierbei wurde versucht mit einem möglichst breiten Quellenkorpus mittelalterliche Aspekte der Wahrnehmung und Deutung von Gesund- und Krankheit zu erfassen, um zeitgenössische Aussagen bezüglich privater und öffentlicher Gesundheitserhaltung in der Auseinandersetzung mit Unreinheit festmachen zu können. Diese Untersuchung sollte in vier Schichten erfolgen, deren diskursive Schärfe aber nicht unbedingt gewährleistet werden konnte. Als Erstes sind die theologischen und religiösen Aussagen in den Blick geraten. Über das medizinisch-professionelle Feld wendete ich mich danach der narrativen Literatur zu, bevor zum Abschluss repräsentative und normative Aussagen mit direkterem Stadtbezug das Ensemble abgerundet und gegen den anschliessenden umweltgeschichtlichen Teil geöffnet haben. Die direkte Analysekategorie bei diesem Vorgehen ist hier freilich nicht eine Mentalität, sondern es ist eine Sammlung von sprachlichen Aussagen aus verschiedenen Diskursen, von denen dieses Feld der Diskurse aber nur eine endliche Anzahl zulässt. Rückschlüsse auf eine Geschichte von Mentalitäten könnten erst in der Gegenüberstellung von Diskursen und Handlungsdispositionen unternommen werden, da sich Mentalitäten in Handlungen zu manifestieren pflegen.
3.) Mit der räumlichen, personellen und technischen Disposition von Sauberkeit, Hygiene und Gesundheit in der mittelalterlichen Stadt beschäftigte sich der dritte Teil. Hier wurde der handelnde Mensch in der Umwelt Stadt und der Lebensraum Stadt um den handelnden Menschen jeweils historisch entwickelt dargestellt. Im Kontext der ganzstädtischen Veränderungen wie Bevölkerungsdichte und bauliche Siedlungsentwicklung sind, neben der Lokalisation und der diachronen Betrachtung von medizinischen Dienstleistungen, städtische Gesundheitsaspekte wie Abfall, private und öffentliche Lebenswelt, Wasserversorgung, sowie regulierende Massnahmen der Obrigkeiten thematisiert worden. Einerseits liessen sich für diese Untersuchung die Ergebnisse von Forschungsarbeiten der Vergangenheit heranziehen, andererseits wurde im Staatsarchiv Basel-Stadt eine ausgedehnte Recherche nach geeigneten handschriftlichen Quellen bezüglich der Thematik unternommen. Fündig wurde ich in Ratsbücher, Verordnungen, Vereidigungen, Urkunden etc., die zwar teilweise in der Forschungsliteratur schon aufgeführt wurden, doch der methodische Anspruch der Arbeit machte eine erneute und gründliche Sichtung der Originaldokumente notwendig. In dieser Arbeit fungierten die normativen Quellen als Bindeglied zwischen Diskurs- und Umweltgeschichte. Weiter mussten für die siedlungsgeschichtliche Entwicklung der Stadt archäologische Erkenntnisse herangezogen werden. Anthropologische Befunde können nur ausblickhaft angeführt werden.
4.) Das abschliessende Element der Arbeit bildet eine hypothetische Synthesis aus den vorangegangenen Schritten. In einer reflektierten und kritischen Zusammenführung der theoretischen Überlegungen mit den diskursiven und deskriptiven Argumentationseinheiten zu einer Gesamtbetrachtung und –beurteilung, wurde eine Perspektive dafür entwickelt, wie eine Hygienegeschichte der Stadt Basel im Mittelalter mit dieser Methode aussehen könnte.
Durch die Erweiterung des methodischen Ansatzes in der Parallelführung von Diskurs- und Umweltgeschichte konnte der Erforschung von Hygiene im Mittelalter eine Methode geschaffen werden, die vielen Problemen der postmodernen Herausforderungen entgegentritt. Sie stellt deshalb ein Versuch dar, trotz Akzeptanz konstruktivistischer Konzepte in der Geschichtswissenschaft «fröhlichen Positivismus» betreiben zu können.
Es war ein Ziel dieser Lizentiatsarbeit, nicht moderne medizinische Massstäbe an mittelalterliche Verhältnisse zu legen, sondern einen Hygienebegriff zu entwickeln, der die positivistische Perspektive einer modernen biophysikalischen Medizin überwindet. Es gilt deshalb aus den zeitgenössischen Diskursen über Gesundheit heraus die Massnahmen, Umstände und Probleme im Umgang mit Unreinheit und Ungesundheit zu bewerten. Die Stadt bildet einen besonderen Lebens- und Gemeinschaftsraum, der sich in der Abgrenzung zum Land konstituiert. Die Gemeinschaft dieses Lebensraumes ist in jeder historischen Epoche mit der Verschmutzung desselben durch sich selbst konfrontiert. Wie sich die zivilisatorische Problematik der Verschmutzung in diesem sich im Laufe des Mittelalters entwickelnden Gebilde manifestiert und wie es im menschlichen Umgang darauf reagiert bildet einen zentralen Aspekt des Interesses dieser Arbeit. Die Darstellung dieser Geschichte vollzieht sich also sowohl auf der Ebene der Individuen und ihrer privaten Lebenswelt, auf der Ebene der überindividuellen Umwelt des gesellschaftlichen Raumes Stadt, als auch in der Verknüpfung dieser Räume und den Handlungen darin mit zeitgenössischen Gesundheitsdiskursen. Letztendlich wird deshalb im konstruktivistischen Spannungsfeld von historischer Umwelt, Wahrnehmung, Deutung und Handlung der Mensch, nicht nur in seinem physiologischen, sondern auch in seinem phantastischen Wesen, seiner mentalen Disposition, seiner Vorstellungswelt in den Blick geraten. Das Erkenntnisinteresse dieser Untersuchung lag aber weniger in den zeitgenössischen Subjekten, als in den «Brillen» die sie tragen und den Handlungen die sie unternehmen im Kontext eines Raumes in dem sie leben. Der «tatsächliche» Kontext für den Versuch dieser Untersuchung von «Unstofflichem» wie Vorstellungen, Selbstverständlichkeiten, Wahrnehmungen und Deutungen bildet exemplarisch die Stadt Basel und ihre Bewohner, so wie die schriftlichen Aussagen, die ihre Wirkung auf irgend eine Weise im Baslerischen Raum entfaltet haben könnten. Die groben chronologischen Eckpfeiler für dieses Unterfangen waren dabei die Jahreszahlen 1200 und 1500.
Des Weiteren verbirgt sich in der Chronologie das Problem der Periodisierung. Wenn wir nun nochmals zum einleitenden Zitat zurückkehren, vernehmen wir, dass darin von einem Zustand gesprochen wird, der für die spätmittelalterliche Stadt zutreffen soll. Dies impliziert, dass, betreffend der Problematik einer Verschmutzung, für diese Periode eine mehr oder weniger gleich bleibende oder zumindest eine sich langsam verändernde Situation vorhanden gewesen sei. Können wir aber wirklich annehmen, dass sich im Verlauf des 13. bis 15. Jahrhunderts keine Veränderungen bezüglich einer gesundheitsbeeinflussenden Umwelt in der Stadt eingestellt hatten? Um diese Frage beantworten zu können, habe ich mit dem Blick auf aktuelle Gesundheitsdebatten und Krankheitsmodelle zu klären versucht, welche Faktoren nach heutiger Sicht überhaupt ausschlaggebend für eine städtische Gesundheit sein können und wie diese historisch bewertet werden dürfen. Zentral gilt es dabei die verwendete Begrifflichkeit zu klären und zu fragen:
Was ist Hygiene, was Gesundheit?In welchem Verhältnis steht dazu die Kategorie Umwelt?
Mir war ausserdem daran gelegen, die Darstellung vom evokativen Überbegriff Mittelalter oder Spätmittelalter zu lösen und die Problematik in einer Entwicklung vorzuführen, in der die Stadt einer unsteten, systemischen und keiner teleologischen Entwicklung unterliegt, wie sie üblicherweise in Form von populären Fortschrittsgeschichten skizziert wird. Der Fragekatalog, der in dieser argumentativen Reihenfolge versucht wurde einzulösen, lässt sich folgendermassen aufzählen:Welche methodologisch-theoretischen Überlegungen müssen beim geschichtswissenschaftlichen Umgang mit Hygiene beachtet werden? Welche Diskurse können für die Dispositionen zeitgenössischer Hygienepraktiken festgestellt werden? Wie verändert sich die Umwelt in der mittelalterlichen Stadt Basel zwischen 1200 und 1500? Welche Hygienegeschichte liesse sich durch die Verknüpfung dieser diskursgestützten und umweltgeschichtlichen Ergebnisse erzählen?
Deutlich gemacht werden soll hier nochmals, dass diese Untersuchung nicht die Absicht hatte, die Aussage des einleitenden Zitats zu widerlegen. Es sei nicht bestritten, dass man in der mittelalterlichen Stadt wohl tatsächlich oft strenge Gerüche angetroffen hat. Doch wird in der Literatur oft der Kurzschluss unternommen oder der Eindruck hervorgerufen, dass der mittelalterliche Mensch diesen Zuständen gleichgültig gegenübergestanden hätte. Weiter werden hygienische Missstände des 19. Jahrhunderts durch rückwärtige Extrapolation unter dem Credo «Vormoderne» ins Mittelalter gesteigert, ohne eine methodologisch-theoretische Auseinandersetzung mit den Begriffen Sauberkeit, Hygiene und Gesundheit in ihrer historischen Dimension einzugehen. Dadurch wird für die moderne Geschichtsschreibung die verschmutzte, ungesunde Stadt zu einer zivilisatorischen Rezension zwischen Antike und Neuzeit stilisiert und zum Charakteristikum des Mittelalters schlechthin erhoben von dem sich die Menschen in die Moderne weiterentwickeln hätten müssen. Dabei entsteht der Eindruck, dass der Mensch im Sinne einer teleologischen Fortschrittsidee, einfach noch nicht so weit (wie die Gegenwart) gewesen sei. Einige theoretisch-methodologische Überlegungen zum Phänomen Hygiene haben zwar für die Geschichte des 19. Jahrhunderts stattgefunden, doch für das Mittelalter blieben sie grösstenteils aus. Diese Auseinandersetzung hat diese Untersuchung für die mittelalterliche Stadt Basel durchgeführt. Der Gegenstand dieser Arbeit ist deshalb nur bedingt in den die Gesundheit betreffenden Realien der mittelalterlichen Stadt, also in einer «historischen Wirklichkeit» zu suchen, sondern sie beschäftigte sich ebenso, weil Sauberkeit und Gesundheit keine Realie ist, sowohl mit deren Konstitutionsmechanismen, als auch mit der Problematik von deren Deutung.
Wie habe ich dieses Vorhaben durchgeführt? Grob lässt sich die Arbeit in vier argumentative Teile gliedern:
1. Methodologischtheoretisch, 2. Diskursiv-sprachlich, 3. Deskriptiv-realistisch, 4. Synthetisch-induktiv. Deren einzelne Inhalte seien nun knapp folgendermassen umschrieben.
1.) In einem ersten Schritt galt es einsteigend die verschiedenen Forschungsleistungen und -ansätze zur Thematik aufzuzeigen, um die Situierung dieser Arbeit in der Forschungslandschaft akzentuieren zu können. Grundlegend für weitere Ausführungen musste im Anschluss die Begrifflichkeit geklärt werden. Dabei wurde die Problematik diskutiert, die die Verwendung der Begriffe Hygiene und Gesundheit für historiographische Darstellungen hat. Daraus folgend habe ich danach das methodische Vorgehen vorskizziert, mit dem im weiteren Verlauf der Arbeit versucht wurde der Fragestellung gerecht zu werden.
2.) Die zweite Einheit hatte zum Ziel jene Diskurse aufzuzeigen, die im Verlauf des Mittelalters zur zeitgenössischen Disposition der Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsschemata bezüglich Schmutz und Gesundheit in Basel beigetragen haben könnten. Hierbei wurde versucht mit einem möglichst breiten Quellenkorpus mittelalterliche Aspekte der Wahrnehmung und Deutung von Gesund- und Krankheit zu erfassen, um zeitgenössische Aussagen bezüglich privater und öffentlicher Gesundheitserhaltung in der Auseinandersetzung mit Unreinheit festmachen zu können. Diese Untersuchung sollte in vier Schichten erfolgen, deren diskursive Schärfe aber nicht unbedingt gewährleistet werden konnte. Als Erstes sind die theologischen und religiösen Aussagen in den Blick geraten. Über das medizinisch-professionelle Feld wendete ich mich danach der narrativen Literatur zu, bevor zum Abschluss repräsentative und normative Aussagen mit direkterem Stadtbezug das Ensemble abgerundet und gegen den anschliessenden umweltgeschichtlichen Teil geöffnet haben. Die direkte Analysekategorie bei diesem Vorgehen ist hier freilich nicht eine Mentalität, sondern es ist eine Sammlung von sprachlichen Aussagen aus verschiedenen Diskursen, von denen dieses Feld der Diskurse aber nur eine endliche Anzahl zulässt. Rückschlüsse auf eine Geschichte von Mentalitäten könnten erst in der Gegenüberstellung von Diskursen und Handlungsdispositionen unternommen werden, da sich Mentalitäten in Handlungen zu manifestieren pflegen.
3.) Mit der räumlichen, personellen und technischen Disposition von Sauberkeit, Hygiene und Gesundheit in der mittelalterlichen Stadt beschäftigte sich der dritte Teil. Hier wurde der handelnde Mensch in der Umwelt Stadt und der Lebensraum Stadt um den handelnden Menschen jeweils historisch entwickelt dargestellt. Im Kontext der ganzstädtischen Veränderungen wie Bevölkerungsdichte und bauliche Siedlungsentwicklung sind, neben der Lokalisation und der diachronen Betrachtung von medizinischen Dienstleistungen, städtische Gesundheitsaspekte wie Abfall, private und öffentliche Lebenswelt, Wasserversorgung, sowie regulierende Massnahmen der Obrigkeiten thematisiert worden. Einerseits liessen sich für diese Untersuchung die Ergebnisse von Forschungsarbeiten der Vergangenheit heranziehen, andererseits wurde im Staatsarchiv Basel-Stadt eine ausgedehnte Recherche nach geeigneten handschriftlichen Quellen bezüglich der Thematik unternommen. Fündig wurde ich in Ratsbücher, Verordnungen, Vereidigungen, Urkunden etc., die zwar teilweise in der Forschungsliteratur schon aufgeführt wurden, doch der methodische Anspruch der Arbeit machte eine erneute und gründliche Sichtung der Originaldokumente notwendig. In dieser Arbeit fungierten die normativen Quellen als Bindeglied zwischen Diskurs- und Umweltgeschichte. Weiter mussten für die siedlungsgeschichtliche Entwicklung der Stadt archäologische Erkenntnisse herangezogen werden. Anthropologische Befunde können nur ausblickhaft angeführt werden.
4.) Das abschliessende Element der Arbeit bildet eine hypothetische Synthesis aus den vorangegangenen Schritten. In einer reflektierten und kritischen Zusammenführung der theoretischen Überlegungen mit den diskursiven und deskriptiven Argumentationseinheiten zu einer Gesamtbetrachtung und –beurteilung, wurde eine Perspektive dafür entwickelt, wie eine Hygienegeschichte der Stadt Basel im Mittelalter mit dieser Methode aussehen könnte.
Durch die Erweiterung des methodischen Ansatzes in der Parallelführung von Diskurs- und Umweltgeschichte konnte der Erforschung von Hygiene im Mittelalter eine Methode geschaffen werden, die vielen Problemen der postmodernen Herausforderungen entgegentritt. Sie stellt deshalb ein Versuch dar, trotz Akzeptanz konstruktivistischer Konzepte in der Geschichtswissenschaft «fröhlichen Positivismus» betreiben zu können.
Advisors: | Freiherr von Müller, Achatz |
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Faculties and Departments: | 04 Faculty of Humanities and Social Sciences > Departement Geschichte > Ehemalige Einheiten Geschichte > Geschichte des Mittelalters (Freiherr von Müller) |
UniBasel Contributors: | Freiherr von Müller, Achatz |
Item Type: | Thesis |
Thesis Subtype: | Master Thesis |
Thesis no: | UNSPECIFIED |
Thesis status: | Complete |
Last Modified: | 22 Apr 2018 04:32 |
Deposited On: | 06 Feb 2018 11:27 |
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