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Foro M. Der Umgang mit der Erinnerungslandschaft des Foro Mussolini (Foro Italico) in Rom

Miozzari, Claudio Reto. Foro M. Der Umgang mit der Erinnerungslandschaft des Foro Mussolini (Foro Italico) in Rom. 2005, Master Thesis, University of Basel, Faculty of Humanities and Social Sciences.

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Abstract

Paolo Di Canio, Aushängeschild des römischen Fussballvereins SS Lazio, macht keinen Hehl aus seiner politischen Gesinnung. Auf dem Oberarm trägt er ein Tatoo mit den Buchstaben DUX und wiederholt hat er denselben Arm zum Faschistengruss vor der rassistischen Fankurve des Clubs gestreckt.
DUX – das heisst soviel wie Führer oder italienisch Duce und bezieht sich auf Hitlers italienischen Allierten Benito Mussolini. Di Canios Verhalten wird getadelt und gebüsst. Gleich ausserhalb des Orts des Geschehens – vor dem Stadio Olimpico in Rom – bestehen aber Mosaike, Inschriften und Denkmäler, die genau dieselbe Sprache sprechen wie das Tattoo des Spielers: Die grosse weisse Marmornadel gleich beim Tiber verkündet in grossen Kapitalen MUSSOLINI DUX, als wäre die Herrschaft der Faschisten in Italien nie zu Ende gegangen. Wie ist es möglich, dass die Symbole des Faschismus in Rom all die Jahrzehnte über nicht zerstört und beseitigt wurden? Was für eine Rolle spielten die faschistischen Ursprünge der Sportstätten bei deren Verwendung, beispielsweise anlässlich der olympischen Spiele von 1960? Und wie soll man heute mit dem Erbe umgehen? Diesen Fragen ist die Untersuchung der Erinnerungslandschaft des Foro Italico gewidmet.
Das Foro Mussolini oder Foro Italico ist eine Erinnerungslandschaft innerhalb der grossen Erinnerungsstadt Rom. Es besteht aus einer Reihe von Bauwerken (Stadien, Gebäuden, Plätzen, Statuen und Denkmälern) und aus einer landschaftlichen und urbanen Umgebung (dem Tiber, dem Monte Mario, alten Bauten im Umkreis wie der Villa Madama, Strassen und dem Gesamtkontext der Stadt). Die Erinnerungslandschaft des Foro hat sich in den gut 70 Jahren seit dem Bau des ersten Gebäudes ständig gewandelt. Dieser Wandel entspricht den Änderungen des italienischen kulturellen Gedächtnisses. Vordergründig war und blieb das Foro immer eine Objektivation eines im Scheitelpunkt seiner Macht stehenden faschistischen Staates. Hintergründig haben aber alle darauf folgenden Epochen durch den Umgang mit einzelnen Erinnerungen auf dem Foro ihre spezifischen Zeichen gesetzt, sich in einen Bezug zu den faschistischen Symbolen gesetzt, die Erinnerungslandschaft Foro verändert und sie damit immer wieder neu begründet.
Im Foro spiegelt sich die Geschichte Italiens wieder. Ein kurzes Panorama der Entwicklungen im Umgang mit dem Foro, wie es hier in der Zusammenfassung entworfen wird, verschafft Überblick über die Arbeit: Aufstieg und Schaffenseuphorie des Faschismus haben eine Erinnerungslandschaft kreiert, die äusserst explizit über die Selbstwahrnehmung der Bewegung Auskunft gibt. Der Mythos der Erweckung des antiken Imperiums, die Erziehung der Italienerinnen und Italiener zu einem neuen Volk, die Verklärung des Faschismus zu einer nationalen Religion sowie der absolute Führerkult sind im weissen Marmor des Foro festgeschrieben. Mit dem Niedergang des faschistischen Italiens im Krieg verschwand der Glanz des Foro. Vorbei waren die gross inszenierten Einweihungen und Grundsteinlegungen durch den Duce und die Besuche illustrer Gäste wie Hitler und Himmler. Dafür quartierten sich schon bald die alliierten Truppen auf dem Foro ein. Es wurde zum Rest Center, das grosse Stadion zum Parkplatz für die Armeefahrzeuge. Nach den Alliierten hielt auf dem Foro jenes Italien der Nachkriegszeit Einzug, das sich schwer tat mit der Aufarbeitung der Vergangenheit. Der Faschismus wurde mit der deutschen Fremdherrschaft verwechselt, die zwanzig Jahre des Regimes des Duce verdrängt. Auf dem Foro wurden verschiedene Gebäude renoviert und fertig gestellt. Sie erhielten meist ihre alten Funktionen zurück. Die Monumente wurden nicht von ihrer faschistischen Symbolik befreit und das Personal des Foro blieb in entscheidenden Fällen dasselbe. Besonders deutlich wurde dies im Jahr 1960 mit den olympischen Spielen auf dem Foro. Die Spiele lenkten die Aufmerksamkeit der ganzen Welt auf das Foro, beinahe so, wie sich das die Erbauer, welche die Sportareale für die Olympischen Spiele 1944 nutzen wollten, vorgestellt hatten. Nach der Mitarbeit an internationalen Verträgen, wie jenen von Rom, die den Grundstein für die Europäische Union legten und nach der Veranstaltung der Olympischen Spiele durfte sich Italien Ende der 60er Jahre im internationalen Kontext als rehabilitiert ansehen. Erst jetzt, von einem Generationenwechsel und sozialen Veränderungen gefördert, begann man einen kritischeren Blick auf die eigene Vergangenheit zu werfen. Architektonische Relikte aus dem faschistischen Ventennio wurden als ideologische Manifeste des Faschismus abgelehnt. Trotzdem bewahrte man die architektonische Substanz des Foro. Denn der ideologische Gehalt der Bauten auf dem Foro wurde von Vielen ignoriert. Entsprechend verwahrlost waren die Bauten und Mosaiken: Steine lösten sich, Gebäude litten Schaden oder wurden für neue Zwecke umgebaut. Die Casa delle Armi beispielsweise wurde zur „Aula Bunker“, dem Gerichtssaal für die Mörder von Aldo Moro. 1990 fand im Stadio Olimpico auf dem Foro der Final der Fussballweltmeisterschaften statt. Dafür war das Stadion umgebaut und überdacht worden. Für die Einweihung kam Papst Johannes Paul II. in den Sporttempel. Doch nicht alle waren glücklich mit dem neuen Olimpico. Architekten meldeten Proteste an. Sie nahmen das Areal als historisch wertvolles architektonisches Erbe wahr, das durch die Massenveranstaltungen seiner Seele beraubt würde. Vom ideologischen Schandfleck hatte sich das Foro in der Wahrnehmung zu einem wertvollen Kunstwerk gewandelt. Eine vorbehaltslose Betrachtung der Bauten auf dem Foro ist noch heute unmöglich. In einem Land, das eine erbitterte Auseinandersetzung über die Interpretation der Geschichte, des Faschismus und besonders des Antifaschismus führt, kann das Foro kein apolitisches Kunstwerk sein. Nicht nur Historiker, sondern auch Politiker auf höchster Ebene beschuldigen sich gegenseitig des Revisionismus oder des Kommunismus. Mit der Partei der Postfaschisten (AN) in der Regierung, die das Nationalfest der Befreiung vom 25. April wegen den Morden durch die Antifaschisten am Ende des Zweiten Weltkrieges ablehnen, erhielt der Umgang mit den Relikten des Faschismus während der Regierung Berlusconi besondere Aufmerksamkeit.
In der Analyse wird deutlich, wieso die faschistischen Symbole, anders als in Deutschland, auf dem Foro stehen blieben. Es waren die diesbezüglich in Italien entgegengesetzen Auswirkungen der Präsenz der Alliierten, die Verdrängung der politischen Symbole des Foro und die Existenz einer mehr oder minder verborgenen politischen Lobby, die sich für den Erhalt einsetzte. Noch heute entwickelt sich die Leseart des Foro weiter. Auf jene Grundhaltung, die im Foro ein wichtiges (kunst-) historisches Dokument sieht und die auch in dieser Arbeit vertreten wird, mögen Zeiten folgen, in welchen ganz andere Dimensionen des Areals zu interessieren beginnen – oder in dem man es einfach unbesorgt abreisst.  
Advisors:Haumann, Heiko
Faculties and Departments:04 Faculty of Humanities and Social Sciences > Departement Geschichte > Ehemalige Einheiten Geschichte > Osteuropäische und neuere Geschichte (Haumann)
UniBasel Contributors:Haumann, Heiko
Item Type:Thesis
Thesis Subtype:Master Thesis
Thesis no:UNSPECIFIED
Thesis status:Complete
Last Modified:05 Apr 2018 17:38
Deposited On:06 Feb 2018 11:27

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