Kimmich, Daniela. "Der Krieg kann nur ein Ausnahmezustand sein und daher dürfen ihm unsre letzten Gedanken nicht gelten". Das Kriegserlebnis des Feldgeistlichen Siegfried Engelmann und seiner Frau Gertrud im Weltkreig 1914-1918 anhand von Feldpostbriefen und Tagebüchern. 2009, Master Thesis, University of Basel, Faculty of Humanities and Social Sciences.
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Abstract
Der 1. Weltkrieg war der erste Krieg, der als Gemeinschaftserlebnis verstanden wurde, weil nicht nur die Soldaten an der Front davon betroffen waren, sondern auch die Bevölkerung in der Heimat darin eingebunden war, indem sie für die Kriegswirtschaft arbeitete. Der Krieg führte für Menschen aller sozialer Schichten und jeden Alters zu einer Unterbrechung der bisher gewohnten Lebensabläufe. In allen kriegsführenden Ländern gab es bis Kriegsende kaum eine Familie, die nicht mit dem Tod des Ehemannes, Sohnes oder Vaters konfrontiert wurde. Im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit steht das Kriegserlebnis des Ehepaars Gertrud und Siegfried Engelmann aus Dresden, das anhand von Feldpostbriefen und Tagebüchern für die ganze Kriegsdauer gut dokumentiert ist. Siegfried erlebte den Krieg als evangelischer Feldgeistlicher an der Front zuerst in Frankreich, danach an der Ostfront in Litauen. Gertrud verbrachte die Kriegsjahre grösstenteils als Hausfrau und Mutter in Dresden.Mit dem Aufkommen der Mentalitäts- und Alltagsgeschichte Mitte der 1980er Jahre rückte die «Geschichte von unten» vermehrt in das Interesse der Forschung. Die Sicht des «kleinen Mannes» und sein Alltag waren das noch fehlende Element in der Erforschung des Krieges. Diese Sicht ist ein Forschungsgegenstand, der nicht unmittelbar zugänglich ist wie etwa die Bestimmungen eines historischen Vertragswerkes. Die Erlebnisebene muss aus persönlichen Texten wie Feldpostbriefen und Tagebüchern rekonstruiert werden. Die Briefe waren Mittler zwischen Front und Heimat. Angesichts der monate-, teilweise auch jahrelangen Trennung von Familien war der regelmässige Austausch von Feldpostbriefen für die Soldaten an der Front wie für die Angehörigen in der Heimat für die emotionale Stabilisierung extrem wichtig. Briefe waren das einzige vorhandene Kommunikationsmittel und somit lebenswichtiger Verbindungsfaden zwischen Front und Heimat. Den Soldaten gaben sie inneren Halt, Hoffnung und einen (Über-)Lebenssinn, den Verwandten ein Lebenszeichen ihrer Lieben an der Front. Über die Briefe musste auch viel Organisatorisches kommuniziert werden, seien es Geldfragen oder Arbeitsanweisungen auf dem Bauernhof.In den vier Kriegsjahren 1914-1918 wurden allein für das Deutsche Reich geschätzte 28,7 Milliarden Postsachen – Briefe, Postkarten und Pakete – von der Heimat an die Front und umkehrt befördert. Grundsätzlich sind mehr Briefe von der Front als aus der Heimat erhalten, weil die Soldaten diese nicht bei sich tragen konnten und sie bei deren Tod meist verloren gingen, während die Briefe in der Heimat sorgfältig gesammelt und aufbewahrt wurden, dies auch, weil sie oft das letzte Lebenszeichen der Männer waren. Der Nachlass der Familie Engelmann ist somit ein Glücksfall, weil er über weite Strecken des Krieges die Briefe beider Seiten sowie Siegfrieds Tagebücher enthält. «Der Krieg kann nur ein Ausnahmezustand sein und daher dürfen ihm unsre letzten Gedanken nicht gelten.» Dieses Zitat aus dem Brief vom 10. Februar 1915 von Siegfried an Gertrud verbindet in knapp zwei Zeilen viele Themen, die im Laufe der Arbeit angesprochen werden: Den Krieg als Ausnahmezustand für die Männer an der Front, aber auch für die Frauen in der Heimat, aber auch in der Beziehung zwischen Siegfried und Gertrud. Die letzten Gedanken, die nicht dem Krieg gelten sollten, sondern der gemeinsamen Zukunft und der Liebe zwischen Siegfried und Gertrud, und die doch immer wieder vom Kriegsalltag dominiert wurden.Das Hauptgewicht der Arbeit liegt bei Siegfrieds Kriegserfahrungen als Feldgeistlicher ab 1914 in Frankreich und ab Juli 1916 an der Ostfront in Litauen, das im ersten Kapitel behandelt wird. Neben einer Einführung zur Geschichte und Organisation der evangelischen Militärseelsorge geht es vor allem um den Arbeitsalltag von Feldgeistlichen. Diese waren zwar sehr nah am Geschehen, nahmen aber in einer anderen Form daran teil. Zu den täglichen Arbeiten gehörten die kirchlichen Feiern für die Truppen, aber auch Krankenbesuche und Beerdigungen. Ein weiterer wichtiger Aspekt war die Korrespondenz mit den Angehörigen bei Verwundung, Krankheit und Tod der Männer. Neben dem Alltag werden auch die Unterschiede zwischen der ereignisreicheren Westfront und der ruhigeren Ostfront thematisiert, wo sich Siegfried für den Aufbau einer Divisions-Bücherei und die Gründung von Soldatenheimen einsetzte und vermehrt übergeordnete Aufgaben übernahm. In seinen Briefen an Gertrud ist Siegfried immer wieder von Selbstzweifeln in Bezug auf seine Arbeit geplagt, wobei erwähnt sein muss, dass auf diese Ebene des Kriegserlebnisses nur am Rande eingegangen werden konnte. Das zweite Kapitel betrachtet Gertruds Kriegserlebnis als Hausfrau und Mutter. Bis zur Hochzeit im Dezember 1915 war Gertrud als Hauslehrerin bei einer adeligen Familie in der Lausitz tätig. Erst mit der Geburt des ersten gemeinsamen Kindes Erich im Oktober 1916 gründete Gertrud einen eigenen Haushalt und war fortan mit den Herausforderungen an der sogenannten «Heimatfront» konfrontiert. Während der Kriegsjahre verschlechterte sich die Situation in der Heimat immer mehr, vor allem das Beschaffen von Lebensmitteln und Gegenständen des täglichen Gebrauchs wurde immer schwieriger. Durch Siegfrieds Position als Offizier und Feldgeistlicher war Gertrud finanziell gut abgesichert, wertvoll war aber auch, dass er vor allem an der Ostfront Lebensmittel und knappe Güter kaufen konnte, die er in die Heimat schickte. Eine andere wertvolle Bezugsquelle für landwirtschaftliche Erzeugnisse waren auch Gertruds Kontakte in die Lausitz. Auch wenn Gertrud immer wieder mit gesundheitlichen und psychischen Problemen zu kämpfen hatte, darunter eine Fehlgeburt im Mai 1917, hatte sie alles in allem ein komfortableres Leben als manch andere Soldatenfrau und musste nie Not leiden, so dass sie sich der intensiven Lektüre, den täglichen Briefen an Siegfried und vor allem ihrem Sohn widmen konnte. Aus der Konstellation des Nachlasses ergibt sich ein weiteres Kapitel über die Kommunikation zwischen den Eheleuten. Hier wird der Frage nach Mustern und Ritualen der Kommunikation, aber auch immer wiederkehrenden Themen nachgegangen. Gertrud und Siegfried schrieben sich wenn möglich jeden Tag, berichteten über das Geschehen, beredeten Organisatorisches wie Steuern und Kohlenversorgung oder schickten sich auch nur einen kurzen Gruss, in dem sie ihre Liebe zum Ausdruck brachten. Einen grossen Teil der Berichterstattung in Gertruds Briefen nimmt Sohn Erich ein, mit der sie Siegfried in seiner Abwesenheit an der Entwicklung des Kindes teilhaben lässt. Der Blick in die Vergangenheit, aber auch in die Zukunft, gab den Eheleuten den Halt und die Kraft, die ungewisse Gegenwart durchzustehen. Siegfried und Gertrud tauschten sich auch rege über Theologie und Literatur aus. Die beiden Eheleute waren intellektuell auf derselben Augenhöhe. Das zeigt sich mitunter darin, dass Siegfried seine gehaltenen Predigten jeweils an Gertrud schickte, um sie von ihr korrigieren und kommentieren zu lassen.Nach Ende des Krieges, der an der Ostfront mit dem Frieden von Brest-Litowsk schon im Dezember 1917 zu Ende war, und dem Zusammenbruch des deutschen Reiches im November 1918 kehrte Siegfried am 29. Dezember 1918 zu seiner Familie zurück, nur wenige Tage vor der Geburt des zweiten Sohnes Hans-Heinrich.
Advisors: | Mooser, Josef |
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Faculties and Departments: | 04 Faculty of Humanities and Social Sciences > Departement Geschichte > Ehemalige Einheiten Geschichte > Neuere Allgemeine Geschichte (Mooser) |
UniBasel Contributors: | Mooser, Josef |
Item Type: | Thesis |
Thesis Subtype: | Master Thesis |
Thesis no: | UNSPECIFIED |
Thesis status: | Complete |
Last Modified: | 05 Apr 2018 17:38 |
Deposited On: | 06 Feb 2018 11:26 |
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