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Streitige Bürgerrechtsverleihungen an uneheliche Kinder und Findelkinder im Kanton Baselland im 19. Jahrhundert

Keller, Franziska. Streitige Bürgerrechtsverleihungen an uneheliche Kinder und Findelkinder im Kanton Baselland im 19. Jahrhundert. 2007, Master Thesis, University of Basel, Faculty of Humanities and Social Sciences.

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Official URL: https://edoc.unibas.ch/60276/

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Abstract

Diese Lizentiatsarbeit hat die Bürgerrechtsverleihungen an uneheliche Kinder und Findelkinder im 19. Jahrhundert zum Thema. Im Zentrum stehen sechs Fälle aus dem Kanton Baselland, bei denen sich die Heimatgemeinden und -kantone der Eltern nicht über den Bürgerort der betreffenden Kinder einigen konnten. Zur Klärung dieser Fälle stellt die Lizentiatsarbeit zunächst die rechtlichen und sozialpolitischen Hintergründe der Zeit dar, in der sich die Fälle abspielten. In einem zweiten Schritt beleuchtet sie die sechs Fälle genauer, indem sie die Argumentation der einzelnen Instanzen wie Gemeinde, Kanton, Eltern oder Bund aufzeigt und die Fälle in den Zusammenhang der rechtlichen und sozialpolitischen Hintergründe stellt.Rechtliche Grundlage der Bürgerrechtsverleihung im 19. Jahrhundert war das ius sanguinis, die erbliche Übertragung des Bürgerrechts, bei der das Bürgerrecht vom Vater auf das Kind übertragen wurde. In der Schweiz besteht das Bürgerrecht seit der ersten Bundesverfassung von 1848 aus drei Teilen. Existierten vorher nur das Kantons- und Gemeindebürgerrecht, kam 1848 zusätzlich das Schweizerbürgerrecht hinzu. Ein neugeborenes Kind erbte in der Schweiz nach 1848 also jeweils drei Bürgerrechte. Das Prinzip des ius sanguinis zur Regelung der Bürgerrechtsübertragung deckte die Fälle von illegitimen Kindern nicht ab. Hier bedurfte es einer zusätzlichen Regelung. Der Kanton Baselland hatte sich in seinem ersten Bürgerrechtsgesetz von 1835 auf den so genannten „gemilderten Maternitätsgrundsatz“ geeinigt. Laut diesem erlangte ein ausserehelich gezeugtes Kind grundsätzlich das Bürgerrecht in der Heimatgemeinde und im Heimatkanton der Mutter, allerdings unter der Bedingung, dass das Kind nicht „irgendwie“ in der Heimatgemeinde des Vaters eingebürgert werden konnte. Bei einer nachträglichen Heirat der Eltern erlangte das Kind das Bürgerrecht in der väterlichen Heimat unter der Voraussetzung, dass es vom Vater rechtlich anerkannt wurde. Der „gemilderte Maternitätsgrundsatz“ wurde in jener Zeit in mehreren Kantonen praktiziert, jedoch gab es auch Kantone, die andere Grundsätze kannten.Für Findelkinder existierte im Bürgerrechtsgesetz des Kantons Baselland von 1835 keine spezifische gesetzliche Regelung für die Erlangung des Bürgerrechts. Auch in anderen Kantonen fehlte diesbezüglich ein ausführliches Gesetz, oftmals waren die Bestimmungen nur vage formuliert. Tendenziell erhielten Findelkinder jedoch das Bürgerrecht in derjenigen Gemeinde respektive demjenigen Kanton, in dem sie aufgefunden wurden, vorausgesetzt die Eltern konnten nicht ausfindig gemacht werden.Sozialpolitischer Hintergrund der Streitigkeiten um die Bürgerrechtsverleihung an Findelkinder und uneheliche Kinder war die Koppelung der obligatorischen Armenpflege an die Gemeinden, die sich seit der Entstehung des Gemeindebürgerrechts im 16. Jahrhundert allmählich entwickelt hatte. Die Gemeinden waren am Ende verantwortlich, für ihre Bürger im Armutsfall die Fürsorgekosten zu übernehmen. Diese Koppelung wirkte sich auf die Bürgerrechtsgesetzgebung sowie die Bürgerrechtsverleihungspraxis aus. Diese wurden zunehmend restriktiver, um die Anzahl potentieller Bedürftiger möglichst gering zu halten. Zu den gesetzlichen Restriktionen kamen Repressionen, wie im Fall des Kantons Baselland das Armengesetz von 1859 zeigt. Gemäss diesem durfte gegen die Heirat von fürsorgeabhängigen Bürgern Einsprache erhoben werden. So sollte vermieden werden, dass Kinder entstanden, welche die kommunale Armenkasse zusätzlich belasteten. Verstärkt wurden die repressiven Massnahmen und die restriktivere Bürgerrechtsverleihungspraxis durch die drastische Zunahme armer Bürger. Seit der Massenarmut, die im 19. Jahrhundert ausgebrochen war, hatten die Gemeinden immer mehr arme Bürger zu verzeichnen, die sie unterstützen mussten. Vor allem Findelkinder waren den Gemeinden ein Dorn im Auge, da man während ihrer ganzen Kindheit für sie aufkommen musste. Repressive Massnahmen erzielten jedoch nicht immer das gewünschte Ziel, sondern konnten im Fall der Heiratsverbote die Paare gerade erst in die Illegitimität und damit in eine Spirale des sozialen sowie finanziellen Abstiegs treiben. Illegitimität wurde gefolgt von gesellschaftlicher Ächtung und verschlechterte die finanzielle Lage der Betroffenen. Bei der Geburt eines illegitimen Kindes, dessen Eltern aus unterschiedlichen Gemeinden oder Kantonen stammten, lag es an den Heimatgemeinden respektive Heimatkantonen, sich auf der Grundlage der kantonalen Gesetzgebungen zu einigen, wo das betroffene Kind eingebürgert werden musste. Angesichts des finanziellen Drucks, der mit der Verantwortung für die Armenfürsorge auf den Gemeinden lastete, und der tendenziell geringen sozialen und finanziellen Aussichten der illegitimen Kinder oder Findelkinder versuchten die Gemeinden und Kantone, die Einbürgerung der besagten Kinder in der eigenen Gemeinde und dem eigenen Kanton wenn möglich zu verhindern. Die in dieser Lizentiatsarbeit untersuchten Fälle zeigen, wie die zuständigen Gemeinden und Kantone argumentierten, um die Einbürgerung der Findelkinder und unehelichen Kinder nicht in der eigenen Gemeinde respektive dem eigenen Kanton vornehmen zu müssen. Dabei legten die zuständigen Organe die Gesetze zu Gunsten ihrer Interessen, insbesondere finanzieller Natur, aus. Das Schicksal der Kinder und der Eltern im Zusammenhang mit dem Heimatort wurde dabei nicht berücksichtigt. Die Untersuchung der Argumente zeigt unter anderem, wie geschickt der „gemilderte Maternitätsgrundsatz“ formuliert war. Er liess dem Kanton Baselland einen gewissen Handlungsspielraum offen, in beiden Fällen, sowohl wenn die Mutter als auch wenn der Vater Baselbieter war, jeweils gegen die Einbürgerung des betreffenden unehelichen Kindes im eigenen Kanton zu argumentieren. Bemerkenswerterweise zogen sich die Streitigkeiten über Jahre hin weg und drohten sogar, völlig ungelöst zu bleiben. Die Kinder blieben während dieser Zeit heimatlos und liefen Gefahr, für immer heimatlos zu bleiben. Zwar waren die Kantone seit dem Bundesgesetz betreffend die Heimatlosigkeit von 1850 dazu verpflichtet, die Entstehung neuer Heimatlosigkeit unter allen Umständen zu vermeiden. Dies hinderte die Kantone jedoch nicht am fahrlässigen Umgang mit Bürgerrechten von unehelichen Kindern und Findelkindern. Heimatlosigkeit war im 19. Jahrhundert ein weit verbreitetes Phänomen. Heimatlose besassen kein Bürgerrecht und damit auch keine Erlaubnis, sich in einem Kanton niederzulassen. So wurden sie von einem Kanton in den andern abgeschoben und waren gezwungen, umher zu vagabundieren. Da die Vaganten der Bevölkerung zunehmend ein Dorn im Auge waren, wurden in der Bundesverfassung von 1848 Massregeln zur Verhinderung der Entstehung neuer Heimatlosen verankert, worauf zwei Jahre später das besagte Heimatlosengesetz folgte. In einigen Fällen zwang erst die plötzlich eintretende Fürsorgeabhängigkeit die Gemeinden und Kantone, die betroffenen Kinder ins Bürgerrecht aufzunehmen. Denn ohne die Verleihung des Bürgerrechts war nicht mit Sicherheit geklärt, wer die anstehenden Fürsorgeleistungen erbringen musste. Die Mehrheit der vorliegenden Quellen reduziert die Bedeutung der betroffenen unehelichen Kinder und Findelkinder dementsprechend auf die eines unliebsamen Kostenfaktors. Nicht zuletzt wurde das Bürgerrecht auch als moralisierendes Instrument verwendet. Einer der Fälle zeigt, wie die Verleihung des Bürgerrechts als Gunst aufgefasst wurde, die Vorenthaltung als eine Bestrafung für unangepasstes Verhalten oder für die Vergehen der Eltern.In dieser Lizentiatsarbeit werden zum einen zwei streitige Fälle betreffend die Einbürgerung von Findelkindern vorgestellt. Hier standen Uneinigkeiten zwischen Gemeinde und Kanton bezüglich der Zuständigkeit für die Fürsorge und somit für die Regelung der Einbürgerung im Vordergrund. Zum anderen beinhaltet die Arbeit vier Fälle von unehelichen Kindern, bei denen sich die zuständigen Gemeinden der Kantone Baselland und Aargau nicht auf den Bürgerort des Kindes einigen konnten. Diese Streitigkeiten wurden vor allem auf kantonaler Ebene ausgetragen.Die Untersuchung der sechs Fälle zeigt, wie im Baselbieter Bürgerrechtsgesetz von 1835 zwar die Gleichberechtigung unehelicher Kinder gegenüber den anderen Kindern verankert war, jedoch die Bürgerrechtserlangung von illegitimen Kindern und Findelkindern oftmals mit viel Diskriminierung, zumalen auch rechtlicher Natur, verbunden war. Bis auf wenige Ausnahmen, in denen sich die Eltern erfolgreich für die Bürgerrechtserlangung ihrer Kinder einsetzen konnten, waren die Kinder der rechtlichen Diskriminierung schutzlos ausgeliefert. Das Quellenmaterial macht ausserdem deutlich, dass die Kosten für fürsorgeabhängige Findelkinder und uneheliche Kinder knapp berechnet waren und die Kinder oft dort untergebracht wurden, wo es am günstigsten war. Wenn sie verdingt wurden, kamen sie zu derjenigen Familie, die am wenigsten Kostgeld verlangte. Einerseits mag dies an den damals hoch belasteten Armenkassen gelegen haben. Andererseits wird es auch damit zu tun haben, dass sich kaum jemand für eine gerechte Behandlung der unehelichen Kinder und Findelkinder einsetzte. Oft betrachtete man es wohl gerade auch als gerecht, dass uneheliche Kinder und Findelkinder mit ihrem armseligen Leben für die Fehltritte ihrer Eltern büssen mussten. Wie wenig das Einzelschicksal eines unehelichen Kindes zählen konnte oder wie drastisch die Belastung der Armenkassen war, veranschaulicht derjenige Fall, in dem das uneheliche Kind schliesslich vom Kanton Baselland mit der Armenfuhre in die Heimatgemeinde der Mutter abgeschoben wurde. Die Erniedrigung, die ein Kind bei einer solchen Massnahme erlitten haben muss, war für die Behörden, wie es scheint, nicht von Bedeutung. An erster Stelle stand nicht das Wohl des Kindes, sondern das finanzielle Wohl der Gemeinde respektive des Kantons.
Advisors:Haumann, Heiko
Faculties and Departments:04 Faculty of Humanities and Social Sciences > Departement Geschichte > Ehemalige Einheiten Geschichte > Osteuropäische und neuere Geschichte (Haumann)
UniBasel Contributors:Haumann, Heiko
Item Type:Thesis
Thesis Subtype:Master Thesis
Thesis no:UNSPECIFIED
Thesis status:Complete
Last Modified:05 Apr 2018 17:38
Deposited On:06 Feb 2018 11:26

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