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Die Italiener in Wohlen. Lokalgeschichte und italienische Lebenswelt

Conidi, Claudio. Die Italiener in Wohlen. Lokalgeschichte und italienische Lebenswelt. 2008, Master Thesis, University of Basel, Faculty of Humanities and Social Sciences.

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Official URL: https://edoc.unibas.ch/60016/

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Abstract

Zum Thema «Migration in die Schweiz» und spezifisch zur Immigration der Italiener in die Schweiz gibt es bereits zahlreiche Untersuchungen. Diese Lizentiatsarbeit ist ein weiterer Beitrag zu diesem Forschungsfeld, allerdings der etwas anderen Art. Sie stützt sich auf zwei sehr verschiedene Forschungsmethoden: Lokalgeschichte und Lebenswelt. Das Ziel dieser Arbeit war es, durch die Kombination der beiden Methoden die Geschichte der italienischen Diaspora in Wohlen darzustellen. Dadurch sollten sowohl die Makro- wie auch die Mikroebene angesprochen sowie betrachtet werden, wie diese miteinander verknüpft sind. Eine solche Fragestellung gesamtschweizerisch zu analysieren ist im Rahmen einer Lizentiatsarbeit jedoch nicht möglich, weswegen hier nur die Gemeinde Wohlen (AG) betrachtet worden ist.Der erste zentrale Moment in der Geschichte der italienischen Gemeinschaft in Wohlen war die Gründung der Missione Cattolica Italiana 1963 (Kap. 4). Auch die Jahre davor (Kap. 4.1.) und die Entwicklung danach gingen in die Betrachtung ein (Kap. 4.4.). Dabei kristallisierten sich zwei Hauptpunkte heraus: die Missstimmung innerhalb der Diaspora wegen der ständigen Suche nach Ort und Zeit der italienischen Messe und die Angst seitens der Landeskirche vor kommunistischen Einflüssen (Kap. 4.3.). Die Ankunft des ersten Missionars, Don Piero Grignagni, brachte keine Lösung. Erst mit seinem Nachfolger, Don Silvano Francola, der im November 1969 nach Wohlen kam, konnte die Situation entschärft werden: Einerseits wurde endlich eine definitive Lösung bezüglich Zeit und Ort des italienischen Gottesdienstes gefunden, andererseits schwand auch die Angst vor dem Kommunismus, weil der neue Missionar selber politisch gesehen nach links geöffnet war.Die Ankunft Don Silvanos war eine Zäsur in der Geschichte der Diaspora in Wohlen. Dies widerspiegelte sich auch in einem anderen Ereignis: die Gründung des Circolo ACLI 1970 (Kap. 5.). In Wohlen wurde das Projekt auf Initiative des neuen Missionars lanciert. Die Tatsache, dass es sich dabei um eine Arbeiterschutzorganisation handelte, war sekundär. Mit der ACLI wurde eine Institution errichtet, mit der die Segregation innerhalb der italienischen Gemeinschaft überwunden werden sollte. Diese war nämlich in viele kleine, nach Regionen aufgeteilte Gruppen unterteilt. Es brauchte also einen Ort, an dem Nord- und Süditaliener sich begegnen konnten. Mit der ACLI wurde zudem ein Organ geschaffen, das die Anliegen und Interessen der Italiener gegenüber den einheimischen Behörden vertrat.Eines dieser Anliegen war die Errichtung eines Hortes für Gastarbeiterkinder (Kap. 6.). Der Bau sollte ca. 700'000 Fr. kosten und vorgesehen war, dass sich Kirchenpflege, Gemeinde, Industrie, Gewerbe und die Gastarbeiter selber – in Form von Fronarbeit – daran beteiligen würden (Kap. 6.1.1.). Gemeinde- und Einwohnerrat sprachen sich deutlich für die Mitfinanzierung am Projekt aus (Kap. 6.2.2.), doch dagegen wurde das Referendum ergriffen. Das Abstimmungsresultat war sehr deutlich: knapp ¾ der Stimmenden sprach sich gegen einen finanziellen Beitrag der Gemeinde aus (Kap. 6.3.). Einer der Hauptgründe gegen das Vorhaben war das Missfallen seitens der Schweizer Bevölkerung, allen voran der Frauen, dass die Italienerinnen es bevorzugten zu arbeiten, statt sich um ihre Kinder zu kümmern. Der Asilo konnte jedoch auch ohne den finanziellen Beitrag der Gemeinde schliesslich im Sommer 1974, wenn auch mit etwas Verspätung, seine Tätigkeiten aufnehmen.Um die Mikroebene zu betrachten, stützte sich diese Arbeit auf Aussagen von einzelnen Individuen. Als Quelle dienten dabei drei mündliche Selbstzeugnisse. Ziel war es, damit einerseits die Mikroebene an sich – die italienische Lebenswelt – aufzuzeigen, andererseits zu beleuchten, wie diese mit der Makroebene verknüpft ist. Was bedeuteten die Gründungen dieser drei Institutionen für die Italiener selber? Um diese Frage beantworten zu können, wurde der italienische Missionar interviewt, weil er der Initiant der ACLI und des Kinderhortes war. In Kapitel 6.5. wurde ersichtlich, dass Don Silvano sich nicht mehr detailliert an die genauen Geschehnisse erinnerte, womit er für die ereignisgeschichtlichen Aspekte, im Nachhinein betrachtet, nicht die ideale Quelle gewesen ist. Analysiert man aber sein Selbstzeugnis nach dem Konzept Lebenswelt, kristallisiert sich deutlich heraus, aus welcher Motivation er so handelte und welchen Sinn er seinen Tätigkeiten zumass (Kap. 7.1.). Als er nach Wohlen kam, merkte er bald, dass es noch keine gesamtitalienische «comunità» gab. Sein Ziel wurde es, eine solche zu erschaffen. Der Circolo sollte dabei als Schmelztiegel fungieren. Die Fronarbeit am Asilo war schliesslich der Beweis, dass das Unterfangen schon nach kurzer Zeit gelungen war. Seine Absicht – eine «comunità» zu bilden – hat all sein Handeln über Jahre hinweg geprägt.Die beiden anderen interviewten Personen, Antonio und Francesco, haben einen Einblick in die italienische Lebenswelt gewährt (Kap. 7.2.). Im Gegensatz zum Missionar war es aus ihren Schilderungen jedoch schwieriger, klare Sinnkonstruktionen herauszulesen. Grund dafür könnte sein, dass sich ihr ursprünglicher «Sinn», in die Schweiz zu emigrieren, nicht so erfüllt hat, wie sie es sich vorgestellt hatten: Sie waren in die Schweiz gekommen, um das nötige Geld zu verdienen, mit dem sie sich in Italien dann eine Existenz aufbauen konnten. Schlussendlich sind sie jedoch aus verschiedenen Gründen in der Schweiz geblieben. In Bezug auf die Situation der italienischen Diaspora in Wohlen haben Antonio und Francesco die Aussagen Don Silvanos bestätigt: Sie waren ebenfalls der Ansicht, dass es damals keine «comunità italiana» gab. Wenn heute eine existiert, ist das vor allem dem Circolo ACLI, sprich Don Silvano zu verdanken. Die Zeit, in der die drei Institutionen entstanden, war durch den Überfremdungsdiskurs geprägt. Aus diesem Grund wurde in den Kapiteln 2 und 3 ein kurzer Überblick über die Thematik verschafft, um damit die Untersuchung kontextualisieren zu können. Wichtigstes Dokument, auf das sich dieser Teil hauptsächlich stützt, ist der Bericht der Studienkommission, der 1964 erschienen war (Kap. 2.2.2.). In dieser Studie wurde die bisherige Immigration in die Schweiz analysiert, die daraus resultierenden Folgen (Überfremdung) beschrieben und vorgeschlagen, wie die Schweiz die zukünftige Einwanderungspolitik gestalten sollte. Dabei gab es zwei sich diametral entgegenstehende Ansichten: Im Bericht wurde die Abkehr vom Saisonnier-Prinzip gefordert und für die Niederlassung mit Assimilation plädiert. Die Nationale Aktion unter James Schwarzenbach hingegen wollte genau das Gegenteil.Wohlen selber war sozio-politisch gesehen eine katholisch-konservativ geprägte Gemeinde (Kap. 3.1.). Dies zeigte sich sehr deutlich im Abstimmungsresultat über die Schwarzenbach-Initiative, die nur sehr knapp mit 51.2% verworfen wurde. Die ablehnende Haltung gegenüber den Ausländern zeigte sich besonders deutlich, als die Gemeinde den Asilo mitfinanzieren wollte: Sowohl in der Opposition der Anwohner als auch in den zahlreichen Leserbriefen im Wohler Anzeiger  fanden sich fremdenfeindliche Aussagen (Kap. 6.1.3.).Dies ist einer der wenigen Verbindungspunkte zwischen den Kapiteln 2 und 3 und dem Rest der Arbeit. Ein sehr auffallendes Phänomen, denn dieser Verbindungspunkt stammt praktisch nur von «Schweizer» Seite: Der Überfremdungsdiskurs, der die ganzen 60-er Jahre geprägt hat, wurde nämlich von Antonio auf eine kurze Zeitspanne reduziert, von den anderen beiden aber praktisch gar nicht erwähnt. Die Arbeit mit den Selbstzeugnissen konnte viele Fragen beantworten, gleichzeitig aber viele ungeklärte aufzeigen: Wie wird die Überfremdungsdebatte heute von den Italienern wahrgenommen? Wie wurde sie es damals? Die Migration in der Schweiz und die Folgen davon sind Themen, über die zahlreiche Untersuchungen geführt worden sind. Der Überfremdungsdiskurs ist aber von einem «Schweizer» Narrativ geprägt. Doch wie empfanden die Italiener diese Zeit? Weitere Forschungen zum Thema sollten genau dieser Frage nachgehen.
Advisors:Haumann, Heiko
Faculties and Departments:04 Faculty of Humanities and Social Sciences > Departement Geschichte > Ehemalige Einheiten Geschichte > Osteuropäische und neuere Geschichte (Haumann)
UniBasel Contributors:Haumann, Heiko
Item Type:Thesis
Thesis Subtype:Master Thesis
Thesis no:UNSPECIFIED
Thesis status:Complete
Last Modified:05 Apr 2018 17:37
Deposited On:06 Feb 2018 11:23

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