Asmussen, Tina. Die Gewalt der Repräsentation in Darstellungen von Grausamkeit. Analyse und Kontextualisierung ausgewählter Flugblätter der Sammlung Wickiana. 2007, Master Thesis, University of Basel, Faculty of Humanities and Social Sciences.
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Official URL: https://edoc.unibas.ch/59917/
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Abstract
Die Flugblattsammlung der Wickiana gehört zu den bedeutendsten Sammlungen illustrierter Einblattdrucke des 16. Jahrhunderts überhaupt und ist daher eine mediengeschichtliche Quelle ersten Ranges. Der reformierte Chorherr des Zürcher Grossmünsters, Johann Jacob Wick, sammelte Flugschriften, Flugblätter, Briefe und sonstige Berichte aus allen Teilen des europäischen Raumes. Die 24 zumeist jährlich geführten Chronik-Bände von 1560-1588 stellen eine einzigartige Sammlung von Nachrichten zur Geschichte des 16. Jahrhunderts dar und ermöglichen einen Blick in das reformierte „Elite“-Netzwerk der Zeit. Die Lizentiatsarbeit über die „Wunderbücher“ Johann Jacob Wicks legt den Fokus auf die Repräsentation von Grausamkeit in den Wickiana-Flugblättern sowie auf die Funktionen des Flugblatts mit grausamem Inhalt im Sammlungskontext. Die Medialisierung von Grausamkeit, als eine extreme Form physischer Gewalt, steht im Zentrum dieser Arbeit. Die illustrierten Einblattdrucke eignen sich dank ihres doppelten Verhältnisses zur Realität ebenso als Quelle zur Analyse frühneuzeitlicher Wahrnehmungsmodi, wie auch als Repräsentation historischer Erfahrung. Darüber hinaus zeigen sich in den durch sie vermittelten Kommunikationspraktiken über Gewalt Strukturen imaginärer Räume.
Aufgrund der breiten Adressierung der Flugblätter an lesekundige und illiterate Bevölkerungsschichten werden die Flugblätter des 16. Jahrhunderts in dieser Arbeit als massenmediale Phänomene verstanden. Das medientheoretisch-analytische Konzept Niklas Luhmanns dient dabei der kommunikationstheoretischen Aufarbeitung des vormodernen Flugblatts als Medium. Die von Luhmann für eine funktional ausdifferenzierte, moderne Gesellschaft entwickelten „Selektoren“, wie Neuheit, Konflikte, Quantitäten, Aktualität, Rekursivität, Schlüsselereignisse, Lokalität, Esoterik, Normverstösse, erweisen sich als weiterführendes Analysekriterium für die Arbeit mit frühneuzeitlichen Einblattdrucken, zusätzlich muss aber, und das führt über Luhmann hinaus, die eschatologisch orientierte Exempelfunktion als wesentliche Funktion der Flugblätter mitberücksichtigt werden. Sie spielt in der Wickiana und deren Flugblattsammlung eine zentrale Rolle. Erst durch die transzendentale Exempelfunktion erhalten die Wickiana-Flugblätter ihre Verweisdimension aufeinander und zueinander. Johann Jacob Wicks Sammlung erhält dadurch einen Zusammenhang, den die Forschung lange Zeit übersehen hat.
Die protestantische Wahrnehmungsinszenierung der Bartholomäusnacht von 1572 bildet den Ausgangpunkt der Arbeit, an der die Sichtbar- und Erkennbarmachung dieses Zusammenhangs dargestellt wird. Fokussiert wird die Funktionalisierung von Gewaltdarstellungen im konfessionellen Diskurs der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts als zentrales Thema. Die Ausdifferenzierung des Gewaltbegriffes in „potestas“ und „violentia“, also die Unterscheidung von „legitimer“ und „illegitimer“ Gewalt erweist sich dabei als analytisch weiterführend. Die gewalttätigen ‚Anderen’ werden immer auch durch die Zuschreibung von „violentia“ und deren Steigerung „crudelitas“ diffamiert und mittels obrigkeitlicher „potestas“ bestraft. Es entsteht somit ein System ‚Grausamkeit’, das eine Vielzahl grausamer Akteure integriert, die miteinander vergleichend in Beziehung gesetzt werden können. In dieser Weise werden in der Wickiana die Leiden Gaspard Colignys während der Bartholomäusnacht als eine christusimitatorische protestantische Identifizierung konstruiert und die Mörder Colignys als antichristliche Bluthunde diffamiert. In diesem Punkt zeigen sich Übereinstimmungen zu zeitgenössischen protestantischen Martyriensammlungen beispielsweise Jean Créspins ‚Histoire des Martyrs’ (1554). So werden die vermeintlich absurden, primitiven, Abscheu erregenden Greueltaten im Konfessionalisierungskontext der Wickiana lesbar. Diese Lesbarkeit wird im Hauptteil der Arbeit exemplarisch in fünf Kapiteln ausgeführt. Flugblätter über Gewaltverbrechen wie Vergewaltigungen von jungen Mädchen, Gattenmord, Hexenverfolgung, Dämonenfurcht und die Wirklichkeit des Teufels werden in den Blick genommen. Die Repräsentation von Gewalt und die Bedrohung durch Gewalt in ihrer medialen Fokussierung verdichten den imaginären Raum des „Wirklichen“ zum Repräsentationsraum medialer Gewalt, der in der Wickiana die Bedrohung durch die „Welt“ repräsentiert. Auf diese Weise stellt Wick die Wahrnehmung seiner eigenen Zeit als vorapokalyptisch dar und potenziert die Rolle der Protestanten als verfolgte Glaubensgemeinschaft, die er aufgrund ihres Leidensweges als Nachfolger Christi und somit als Vertreter des wahren Glaubens stilisiert.
Ebenso werden in der Analyse Differenzierungskriterien von ‚Eigen’ und ‚Fremd’, ‚Freund’ und ‚Feind’ fokussiert. So genannte Türkenblätter, welche die Furcht vor dem ‚Anderen’ thematisieren, werden von Wick durch analogisierende Wahrnehmungslenkung in Katholikenfurcht (Spanierfurcht) umgelenkt. Es ist daher ein wesentliches Ergebnis der Untersuchung, dass mit der Gewichtung der Wickiana auf das Abschlachten, Schänden und Quälen von Protestanten eine ‚soziale Subjektivität’ konstruiert wird. Denn nicht nur die Erfahrung des gemeinsamen Tötens, sondern auch des gemeinsamen Sterbens bringt eine Kultur hervor. Die ‚Anderen’ werden diffamiert, um das ‚Eigene’ als absolute Wahrheit zu inszenieren. Die Wickiana ist folglich keineswegs nur ein Ort der voyeuristischen Zurschaustellung physischer Gewalt, sondern zeigt anhand der von Wick vorgenommenen Komposition durch die Gewalt der Repräsentation auch die Macht der Schwäche.
Aufgrund der breiten Adressierung der Flugblätter an lesekundige und illiterate Bevölkerungsschichten werden die Flugblätter des 16. Jahrhunderts in dieser Arbeit als massenmediale Phänomene verstanden. Das medientheoretisch-analytische Konzept Niklas Luhmanns dient dabei der kommunikationstheoretischen Aufarbeitung des vormodernen Flugblatts als Medium. Die von Luhmann für eine funktional ausdifferenzierte, moderne Gesellschaft entwickelten „Selektoren“, wie Neuheit, Konflikte, Quantitäten, Aktualität, Rekursivität, Schlüsselereignisse, Lokalität, Esoterik, Normverstösse, erweisen sich als weiterführendes Analysekriterium für die Arbeit mit frühneuzeitlichen Einblattdrucken, zusätzlich muss aber, und das führt über Luhmann hinaus, die eschatologisch orientierte Exempelfunktion als wesentliche Funktion der Flugblätter mitberücksichtigt werden. Sie spielt in der Wickiana und deren Flugblattsammlung eine zentrale Rolle. Erst durch die transzendentale Exempelfunktion erhalten die Wickiana-Flugblätter ihre Verweisdimension aufeinander und zueinander. Johann Jacob Wicks Sammlung erhält dadurch einen Zusammenhang, den die Forschung lange Zeit übersehen hat.
Die protestantische Wahrnehmungsinszenierung der Bartholomäusnacht von 1572 bildet den Ausgangpunkt der Arbeit, an der die Sichtbar- und Erkennbarmachung dieses Zusammenhangs dargestellt wird. Fokussiert wird die Funktionalisierung von Gewaltdarstellungen im konfessionellen Diskurs der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts als zentrales Thema. Die Ausdifferenzierung des Gewaltbegriffes in „potestas“ und „violentia“, also die Unterscheidung von „legitimer“ und „illegitimer“ Gewalt erweist sich dabei als analytisch weiterführend. Die gewalttätigen ‚Anderen’ werden immer auch durch die Zuschreibung von „violentia“ und deren Steigerung „crudelitas“ diffamiert und mittels obrigkeitlicher „potestas“ bestraft. Es entsteht somit ein System ‚Grausamkeit’, das eine Vielzahl grausamer Akteure integriert, die miteinander vergleichend in Beziehung gesetzt werden können. In dieser Weise werden in der Wickiana die Leiden Gaspard Colignys während der Bartholomäusnacht als eine christusimitatorische protestantische Identifizierung konstruiert und die Mörder Colignys als antichristliche Bluthunde diffamiert. In diesem Punkt zeigen sich Übereinstimmungen zu zeitgenössischen protestantischen Martyriensammlungen beispielsweise Jean Créspins ‚Histoire des Martyrs’ (1554). So werden die vermeintlich absurden, primitiven, Abscheu erregenden Greueltaten im Konfessionalisierungskontext der Wickiana lesbar. Diese Lesbarkeit wird im Hauptteil der Arbeit exemplarisch in fünf Kapiteln ausgeführt. Flugblätter über Gewaltverbrechen wie Vergewaltigungen von jungen Mädchen, Gattenmord, Hexenverfolgung, Dämonenfurcht und die Wirklichkeit des Teufels werden in den Blick genommen. Die Repräsentation von Gewalt und die Bedrohung durch Gewalt in ihrer medialen Fokussierung verdichten den imaginären Raum des „Wirklichen“ zum Repräsentationsraum medialer Gewalt, der in der Wickiana die Bedrohung durch die „Welt“ repräsentiert. Auf diese Weise stellt Wick die Wahrnehmung seiner eigenen Zeit als vorapokalyptisch dar und potenziert die Rolle der Protestanten als verfolgte Glaubensgemeinschaft, die er aufgrund ihres Leidensweges als Nachfolger Christi und somit als Vertreter des wahren Glaubens stilisiert.
Ebenso werden in der Analyse Differenzierungskriterien von ‚Eigen’ und ‚Fremd’, ‚Freund’ und ‚Feind’ fokussiert. So genannte Türkenblätter, welche die Furcht vor dem ‚Anderen’ thematisieren, werden von Wick durch analogisierende Wahrnehmungslenkung in Katholikenfurcht (Spanierfurcht) umgelenkt. Es ist daher ein wesentliches Ergebnis der Untersuchung, dass mit der Gewichtung der Wickiana auf das Abschlachten, Schänden und Quälen von Protestanten eine ‚soziale Subjektivität’ konstruiert wird. Denn nicht nur die Erfahrung des gemeinsamen Tötens, sondern auch des gemeinsamen Sterbens bringt eine Kultur hervor. Die ‚Anderen’ werden diffamiert, um das ‚Eigene’ als absolute Wahrheit zu inszenieren. Die Wickiana ist folglich keineswegs nur ein Ort der voyeuristischen Zurschaustellung physischer Gewalt, sondern zeigt anhand der von Wick vorgenommenen Komposition durch die Gewalt der Repräsentation auch die Macht der Schwäche.
Advisors: | Burghartz, Susanna |
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Faculties and Departments: | 04 Faculty of Humanities and Social Sciences > Departement Geschichte > Ehemalige Einheiten Geschichte > Renaissance und frühe Neuzeit (Burghartz) |
UniBasel Contributors: | Asmussen, Tina and Burghartz, Susanna |
Item Type: | Thesis |
Thesis Subtype: | Master Thesis |
Thesis no: | UNSPECIFIED |
Thesis status: | Complete |
Last Modified: | 05 Apr 2018 17:36 |
Deposited On: | 06 Feb 2018 11:22 |
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