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Motive, Gründe und Ursachen für strafbares Verhalten – Kriterien eines „Kernstrafrechts“?

Merkel, Grischa. (2012) Motive, Gründe und Ursachen für strafbares Verhalten – Kriterien eines „Kernstrafrechts“? In: Verantwortung als Illusion? Moral, Schuld, Strafe und das Menschenbild der Hirnforschung. Paderborn, pp. 89-114.

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Official URL: http://edoc.unibas.ch/51561/

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Abstract

Am 22. Juli 2011 tötete der Norweger Anders Breivik in Oslo und auf der Insel Utøya insgesamt 77 Menschen, um darauf aufmerksam zu machen, dass das Aussterben der Westeuropäer durch einen „Kulturmarxismus“ bevorstehe. Im Rahmen des anschließenden Strafverfahrens wurde ihm von drei psychologischen und einem psychiatrischen Gerichtssachverständigen eine paranoide Schizophrenie diagnostiziert, die seine juristische Verantwortlichkeit für die Taten nach Ansicht der Gutachter wegen eines psychotischen Wahns ausschließen könnte. Breiviks Wahn, eine Neuordnung der Gesellschaft anstoßen zu müssen, hat ihn indes nicht darin beeinträchtigt, seine Verbrechen über Jahre hinweg vorzubereiten und seinen Alltag unauffällig zu gestalten. Während die norwegischen Gutachter darin offenbar keine hinreichenden Belege für die Schuldfähigkeit eines Täters sehen, stehen die deutsche Rechtsprechung und mit ihr die Mehrheit der deutschen psychiatrischen Gerichtssachverständigen auf dem Standpunkt, dass schon die Fähigkeit, einen normalen Alltag zu bewältigen, die Schuldfähigkeit des Täters nahe legt, weil er „steuerungsfähig“ scheint. Geht der Täter planvoll vor – zumal über viele Jahre hinweg –,  dann schließt dies regelmäßig jeden Zweifel an seiner Schuld auch deshalb aus, weil er zeigt, dass er um das Verbotene seines Tuns weiß, also „einsichtsfähig“ ist. Es muss aber entweder ein Zweifel an der Einsichts- oder an der Steuerungsfähigkeit des Täters aufgrund einer psychischen Störung bestehen, damit von seiner Schuldunfähigkeit ausgegangen werden kann (§ 20 StGB). Dass sich die norwegischen Sachverständigen gegen eine Schuld Breiviks aussprechen, bedeutet indes nicht, dass sie ein grundsätzlich anderes Rechtsverständnis als die deutschen Gerichte und Sachverständigen haben. Es dokumentiert vielmehr, dass sich das Schuldverständnis in einem Wandel befindet, der von den deutschen Gerichten bislang kaum wahrgenommen wird.
Faculties and Departments:02 Faculty of Law > Departement Rechtswissenschaften > Ehemalige Einheiten Rechtswissenschaften > Assistenzprofessur Ethik und Recht (Merkel)
UniBasel Contributors:Merkel, Grischa
Item Type:Conference or Workshop Item
Conference or workshop item Subtype:Conference Paper
Publisher:mentis
ISBN:978-3-89785-814-5
e-ISBN:978-3-89785-968-5
Note:Publication type according to Uni Basel Research Database: Conference paper
Last Modified:28 Jul 2021 10:28
Deposited On:28 Jul 2021 10:28

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