edoc

1968 in Polen und die Möglichkeiten des Transfers der Ideen von West nach Ost - Eine Analyse der politischen, gesellschaftlichen und medialen Einflüsse auf polnische oppositionelle Jugendliche vor dem März 1968 anhand von Zeitzeugeninterviews

Wälli, Martin. 1968 in Polen und die Möglichkeiten des Transfers der Ideen von West nach Ost - Eine Analyse der politischen, gesellschaftlichen und medialen Einflüsse auf polnische oppositionelle Jugendliche vor dem März 1968 anhand von Zeitzeugeninterviews. 2009, Master Thesis, University of Basel, Faculty of Humanities and Social Sciences.

Full text not available from this repository.

Official URL: https://edoc.unibas.ch/60729/

Downloads: Statistics Overview

Abstract

Im Jahr der Abgabe dieser Lizentiatsarbeit beging die westliche Welt das vierzigste Jubiläum der 1968er Bewegung. Dieses Ereignis wurde in den Medien und in der Wissenschaft breit und vielfältig rezipiert und besprochen. Vielfach wurde mit Erinnerungen von Zeitzeugen, die heute noch in Politik, Kultur und Gesellschaft aktiv sind gearbeitet. Im Zentrum standen die immer noch bedeutenden Kulturprodukte und politischen Ideen dieser Zeit.Es wird aber oft vernachlässigt, dass auch in den Staaten Ostmitteleuropas, die sich damals im sozialistischen Block befanden ähnliche Bewegungen stattfanden. Ausser dem Prager Frühling, der eine Ausnahme bildet, wären Studentenunruhen in Jugoslawien, wenig beachtete studentische Unruhen und Reformbewegungen in Rumänien und Polen zu nennen.Historischer Kontext Ich untersuchte in meiner Arbeit in einer vergleichenden Analyse die 1968er Bewegung in Polen mit jener in den westlichen Ländern.Wichtig war diese Revolte, weil damalige Studentinnen einen grossen Einfluss auf die polnische Freiheitsbewegung ab Mitte der 1970er Jahre und die spätere Solidarność haben sollten. Jacek Kuroń, Adam Michnik, Karol Modzelewski, Seweryn Blumsztajn und Barbara Toruńczyk sind nur einige Beispiele hierfür.Eine Eigenart der polnischen Bewegung war, die jüdische Herkunft eines verhältnismässig grossen Teiles ihrer Exponenten. Diese Herkunft war für viele in Zeiten der «antizionistischen Aktion» durch die Regierung unter Władysław Gomułka ab 1967 die Motivation zum Überdenken ihrer früher oftmals kritiklosen Begeisterung für den Sozialismus und zum offenen Widerstand gegen die Staatsgewalt, der sich in den Studentenunruhen Anfangs März 1968 entlud.Die Regierung liess diese Proteste und Besetzungen der Universitäten, die vor allem in den urbanen Zentren des Landes stattfanden, und denen sich auch katholische Intellektuelle und Reformsozialisten anschlossen niederschlagen, die Rädelsführer wurden verhaftet, inhaftiert, von den Universitäten verwiesen oder zur Ausreise gezwungen. Fragestellung Ausgegangen wurde von der These, dass die Bewegungen im Westen wie im Osten in einem ähnlichen Zeitraum stattfanden und Ähnlichkeiten in Protestformen, Forderungen und Zielen aufwiesen. Hernach stellte ich mir die Frage, inwiefern die westlichen Jugend- und Studentenbewegungen auf die polnische Bewegung gewirkt haben.Wurden die polnischen Jugendlichen in irgend einer Art und Weise durch westliche oder polnische Medien im Westen beeinflusst? Was wussten sie über die im gleichen Zeitraum stattfindenden Bewegungen im Westen? Welche Rolle spielten Auslandsaufenthalte von Studenten und Jugendlichen (oben genannte Exponenten kamen oftmals aus privilegierten Familien, oder hatten sich durch ausserordentliche Leistungen an der Universität verdient gemacht) bei der Herausbildung dieses kritischen Denkens? Zuerst wurden Themenkomplexe wie «Frauenbefreiung», «Protestformen», «Vietnamkrieg» und «Protestformen» anhand von einigen publizierten Interviews mit westlichen «Bewegten» ausgesucht. Die Bedeutung und die Wirkung dieser Themen auf die polnische Seite wurde anhand von drei Zeitzeugeninterviews mit Barbara Toruńczyk, Seweryn Blumsztajn und Kazimierz Wóycicki illustriert. Verglichen wurden die Ergebnisse aus diesen Gesprächen zusätzlich mit einer Analyse der Themen und Aussagen aus der polnischen Emigrationszeitschrift «Krytyka» und der staatlich kontrollierten «Polityka» sowie anderer Medien. Die Ergebnisse waren für mich hinsichtlich meiner These, dass ein Kontakt zwischen beiden Bewegungen existiert, ernüchternd. 1.) Ein direkter Zusammenhang und intensive Beziehungen zwischen der westlichen und polnischen 1968er Bewegung konnte nicht festgestellt werden. Die Vorgänge im Westen wurden durch die polnischen Studenten nicht verstanden oder missverstanden. Ein Beispiel hierfür ist die Rezeption des Vietnamkrieges, der im Westen als Unabhängigkeitskampf eines kleinen Volkes gegen den westlichen Imperialismus aufgefasst wurde, in Polen aber als Symbol für den Kampf der «freien Welt» gegen den Sozialismus.2.) Viel wichtiger als die freiheitlich-libertären Ideen aus dem Westen schienen die Lehren aus den Ereignissen in Polen und Ungarn 1956 zu sein.3.) Zudem musste in einem Land, in dem derr real existierende Sozialismus wirklich manifest war, das Lügengebäude, das durch die staatliche Propaganda errichtet worden war, fallen. Die westlichen linken Jugendlichen wollten mehr Sozialismus, die polnischen Studenten diesen anfangs reformieren und später stürzen.4.) Ein weiterer Unterschied betrifft die stärkere Inspiration der polnischen Studenten durch gewisse Professoren (wissenschaftliche Autoritäten) und die eigene Familiengeschichte. Vor allem Studenten aus national-patriotischen Kreisen (wie z.B. Wóycicki) fanden dort die Begründung ihres Widerstandes.5.) Ähnlichkeiten gab es aber im Bereich «Auflehnung gegenüber der Elterngeneration und deren Ideen», «Möglichkeiten von Pluralismus in einer autoritären und totalitären Gesellschaft» (es soll nicht vergessen werden, dass auch in der westlichen Welt in den 1960er Jahren eine Vielzahl von Denkdogmen und vorgegebenen Lebensentwürfen vorhanden waren), und dem Rückbezug auf frühe sozialistische Schriften und Themen (Marx, Bakunin, Spanischer Bürgerkrieg, Rosa Luxemburg).Zusammenfassend kann gesagt werden, dass auf den ersten Blick die polnische und die westlichen Studentenbewegungen trotz dem unterschiedlichen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Kontext, in dem sie stattfanden, einige Gemeinsamkeiten aufwiesen. Diese Gemeinsamkeiten rührten aber weniger von gegenseitiger Beeinflussung her als von ähnlichen Erfahrungen wie (indirekten) Traumata durch den II. Weltkrieg, Leben in autoritären Gesellschaften und Enttäuschung durch über die Nachkriegsordnung. Direkte Kontakte gab es zwischen den Bewegungen aber nur vereinzelt, zu schwer wog das Unverständnis für die Situation im jeweils anderen Block und die Trennung durch die sich bekämpfenden politischen Blöcke. Viel verbindender war die gleichzeitig auf beiden Seiten des Eisernen Vorhanges gelesene Literatur.
Advisors:Haumann, Heiko
Faculties and Departments:04 Faculty of Humanities and Social Sciences > Departement Geschichte > Ehemalige Einheiten Geschichte > Osteuropäische und neuere Geschichte (Haumann)
UniBasel Contributors:Haumann, Heiko
Item Type:Thesis
Thesis Subtype:Master Thesis
Thesis no:UNSPECIFIED
Thesis status:Complete
Last Modified:05 Apr 2018 17:40
Deposited On:06 Feb 2018 11:30

Repository Staff Only: item control page