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Berufsbilder: Die Selbstwahrnehmung im Medium Fotografie am Beispiel der Fotografenfamilie Höflinger in Basel

Thut, Angela. Berufsbilder: Die Selbstwahrnehmung im Medium Fotografie am Beispiel der Fotografenfamilie Höflinger in Basel. 2006, Master Thesis, University of Basel, Faculty of Humanities and Social Sciences.

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Official URL: https://edoc.unibas.ch/60676/

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Abstract

Fotografien scheinen aufgrund eines rein technischen Prozesses die Wirklichkeit abzubilden. Sie versprechen einen getreuen Abdruck des Lebens, hervorgerufen durch einen Lichtstrahl, der vom Objekt durch den Apparat auf das Negativ trifft und dort ein entsprechendes Zeichen hinterlässt. Der Fotografie geht eine Berührung voraus, die dem Medium bis heute zu einem Nimbus des Objektiven verhilft. Der Glaube der Besitzer an die Authentizität der Bilder gibt den fragilen Spuren der Vergangenheit einen Gehalt des Wirklichen. Die zeitlich und kulturell gebundene Wahrnehmung - was will ich erinnern und wie will ich es erinnern, oder was will ich weitergeben und in welcher Form soll das geschehen - spiegelt sich in den Lichtbildern. Sie werden zu Zeugen einer bestimmten Wahrnehmung der Wirklichkeit. Fotografien können „Geschichten erzählen“ - sie eröffnen uns die Welten unserer Eltern und Grosseltern - und erweisen sich auch als wertvolle Quellen, um „Geschichte zu schreiben“.
Was vor rund zweihundert Jahren mit der Ausarbeitung von optischen und chemischen Verfahren zur Aufzeichnung begann, wurde bald als Fotografie kommerzialisiert und erreicht heute jeden Winkel unserer Erde. Bis zum Ersten Weltkrieg blieb das Medium Fotografie aber im Wesentlichen den gehobenen Schichten vorenthalten, die dementsprechend die Vorstellungen über die Abbildungsleistungen der neuen Technik prägten. Man schätzte vor allem die Detailtreue der Porträts und bemühte sich so zu posieren, wie man gerne wahrgenommen werden wollte. Um Tipps zur richtigen Kleidung und Haltung einzuholen, hatte man entsprechende Ratgeber zur Hand. Für die wirkungsvollste Selbstdarstellung bemühte man gut und gerne auch die Möglichkeiten der Retusche. Innerhalb von etwa zwanzig Jahren entwickelte sich in den meisten europäischen Staaten und in Nordamerika mit der Fotografie ein neues Gewerbe. Die Schweiz stand keineswegs im Abseits der fotografischen Entwicklung, und man konnte sich bald auch hier mit den Lichtbildern eindecken. Die Professionalisierung der Berufsgattung kam aber erst um 1900, als sich die ersten Ausbildungsgänge etablierten. Anfänglich begab sich der so genannte Wanderfotograf zu seiner Kundschaft, vermehrt wurden aber auch Ateliers eingerichtet. Die Atelierfotografen waren Unternehmer und zählten zu den lokal renommierten Persönlichkeiten. Um 1860 warb in Basel rund ein Dutzend Berufsfotografen um Kundschaft. Dazu gesellte sich nach anfänglicher Arbeit auf Wanderschaft der Schwarzwäldler Jakob Höflinger (1819-1892), der bald gute Geschäftserfolge verzeichnen konnte. Sein Sohn Albert (1855-1936) übernahm 1885 die Firma. 1896 verkaufte er sie an seinen Vetter August Höflinger (1867-1939), der im selben Jahr wie er in die Geschäftsleitung eingetreten war. August selber widmete sich fortan der Porträtmalerei. Die Höflinger-Dynastie versorgte die Kantonshauptstadt bis zum Ende des 20. Jahrhunderts mit Lichtbildern.
Neun Bilder aus dem 65’000 Negativen starken Höflinger-Archiv des Basler Staatsarchivs, die einen Zeitraum von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts abdecken, vergegenwärtigen ein Blickfeld, das schon lange vergangen ist. Was sich vor der Linse befunden hatte, fixierte sich über das Licht auf einer Glasplatte und hinterliess eine Spur. Als räumlich und zeitlich reduzierte ‚Wirklichkeit’ wird für uns ein Ausschnitt sichtbar, den die fotografierende Person auswählte und gleichzeitig mit Bewusstsein durchwirkte. Als eine aktive Erinnerungsbildung konstruierte der Fotograf ein Bild, das für ihn stimmig war. Die Selektion durch den Fotografen, die bewusste Auswahl eines Motivs und dessen Inszenierung stattet die primären Zeichen mit einem Mehrwert aus und bildet einen Mythos. Dies ermöglichte es dem Fotografen, die eigene Existenz zu spiegeln und diese auch als Mitteilung gegen Aussen wirksam zu machen. Im vermittelnden Medium der Fotografie ist diese Aussage konserviert und es gilt, mit den Fotografien in Interaktion zu treten, als wären sie beredte Zeitzeugen. Wie nahm sich eine erst im Entstehen begriffene Berufsgruppe wahr, worüber definierte sie sich und wie setzte sie sich selbst ins Bild? Jakob Höflinger und seine Nachfolger überlieferten eine Reihe von Selbstbildnissen, die sich zu einem Mythos verdichten lassen, der deren individuellen Blick auf die eigene Person im Beruf abbildet.
Das Visitendoppelselbstporträt Jakob Höflingers von 1866 inszeniert selbstbewusst den Könner seines Faches, indem er sich als Privatmann seiner selbst als Fotograf anvertraut. Die Reklame auf der Rückseite der Visitenkarte kündet mit allegorischen Darstellungen antiker Manier vom Siegeszug des fotografischen Gewerbes. Mit welchem Pioniergeist sich Jakob Höflinger aufmachte, die Welt (mit) der Fotografie zu erobern, wird auch in seinen schriftlichen Lebenserinnerungen immer wieder thematisiert. „Die Photographie lag dazumal so zu sagen noch in den Windeln“ [J.H], und trotzdem scheute er keinen Aufwand und versprach sich mutig und zugleich visionär eine Zukunft davon. Dieses Selbstbild, das sich mit der Brisanz der neuen fotografischen Möglichkeiten identifiziert, scheint auch in das Selbstverständnis der Nachfolger integriert. August setzt sich in zwei Fotografien von 1902 zusammen mit seinem Schwager Alois Groh-Höflinger als Pionier auf alpiner Exkursion in Szene. Der Fotograf war dort, wo es etwas zu entdecken gab, so wie auch er selbst Teil einer grossen Entdeckung war. Erneut ist ein Selbstbild voller Selbstbewusstsein unverkennbar. Das Atelier Alberts steht im Mittelpunkt eines Bildes von 1890/1900, das die künstlerischen Ansprüche sichtbar macht und die enge Verbindung von Porträtmalerei und Fotografie darzustellen scheint. Ein Hinweis auf das Medium Fotografie fehlt zwar, doch der üppig ausgestattet Salon vermittelt die Atmosphäre des fotografischen Ateliers und erschliesst durch das Interieur eine Welt des Wunderbaren, die auch Albert mit einem Hauch von Entdeckergeist umgibt. Doch der Pioniergeist alleine reichte nicht aus, das führen einem zeitgenössische Kritiker vor Augen, aber auch die Fotografien weisen immer wieder darauf hin. Ein Künstler musste man sein, der sein Handwerk beherrschte. Mit wenigen Requisiten galt es eine Geschichte zu inszenieren, die für den Betrachter einleuchtend war und gleichzeitig den Ansprüchen der Kundschaft genügte. Man war verantwortlich für die Repräsentation, vor allem aber auch für die Identifikation des Kunden mit seinem eigenen Bild.
Die Qualität des Individuums als Summe von Einzelteilen kommt in der Zusammenstellung der Einzelbilder zum Ausdruck. Dass zum Pioniergeist auch Geschäftstüchtigkeit und eine emotionale Stütze dazugehörten, visualisieren die Bilder von August. Die Bauphase eines neuen Ateliers am Auberg 8 zeigt ein Bild von 1908/10. Mit dem Bau des Glashauses wird das Herzstück des fotografischen Ateliers dokumentiert. Es gewährleistete das Licht, die rechte Hand eines jeden Fotografen und wurde auch als Statussymbol wahrgenommen, das die beruflichen Fähigkeiten mit gesellschaftlicher Annerkennung verband. 1910 fotografierte August den Empfangsraum seines Ateliers mit vier Geschäftsmännern als Protagonisten. Das Bild zeichnet Augusts eigene gesellschaftliche Verortung nach und legitimiert diese gleichzeitig. Die bürgerliche Welt, in der sich die Kundschaft des Fotografen bewegt, wird so zum Spiegel der persönlichen Situierung in der Gesellschaft. Das im Foto aufgestellte Foto des Sohnes Walter (1904-1958) macht auf die Fortführung des Lebenswerkes aufmerksam. Der Gedanke der Familie als Dynastie begleitet die Aussage der Fotografien durchwegs. Der Geschäftsname „August Höflinger, Nachfolger von J. Höflinger und Sohn“ spiegelt das Potential, das die Familie in sich birgt. Trotz der jungen Tradition der Fotografie konnte man bereits auf eine Generation Erfahrung verweisen. Währenddem sich Jakob vom Berufstand seines Vaters in seinen Lebenserinnerungen klar distanzierte, baute August auf die Familientradition, um sie gleichzeitig für die Zukunft zu sichern. Das Doppelporträt von Vater und Sohn verweist auf die Verbindung der beiden einerseits, andererseits dokumentiert es aber auch den kritischen Blick des Vaters auf seinen Erben. Das Abbild von 1911 inszeniert den Sohn beim Zeichnen einer Kulisse im Atelier und betont einmal mehr die Kunstfertigkeit der Familie, aber auch die Nützlichkeit des Sohnemannes schon in jungen Jahren. Gemalte Kulissen waren bis ins 20. Jahrhundert hinein ein wichtiges Requisit in der Atelierfotografie, die die Fotografen, die aus der Malerei kamen, oft selber nach eigenem Geschmack anfertigten.
Familienfotografien wurden bald zu einem geschätzten Artikel. Die Familie als Basis des sozialen und emotionalen Lebens wurde als fotografisches Ereignis in den Familienkult integriert. Ein Gruppenbild der Höflingers von 1904 thematisiert den privaten Raum, suggeriert häuslichen Frieden und familiären Zusammenhalt und glorifiziert diese Sphäre gleichzeitig. Nur latent spiegelt sich der geschäftliche Erfolg, indem die Familienmitglieder in ihrer lockeren Haltung eine gewisse Existenzsicherheit ausstrahlen. Abgesehen von Walter bilden die Blicke der Erwachsenen einen intimen Kreis, der vom Betrachter nicht durchbrochen werden kann. Durch den Nachwuchs blickt die ganze Familie in die Zukunft.
Die zugegebenermassen assoziative Montage der einzelnen Fotografien verdichtet sich in der Serie zu einem Mythos, dem es nicht an Lebendigkeit fehlt. Die Geschichten, die sich aus dem Studium der Fotografien ergeben haben, mögen aber auch durch ihre Zufälligkeit auffallen. Wieso die Fotografien genau das zeigen, was auf den Fotos erscheint und das verbergen, was wir nicht sehen, kann nicht vollständig geklärt werden. Auch den wirklichen Sinn dieser Fotografien, bzw. welches Selbstbild die Fotografen darin verewigt wissen wollten, muss schlussendlich ein Geheimnis bleiben:
„Wenn man aber sagt: ,wie soll ich wissen, was er meint, ich sehe ja nur seine Zeichen’ so sage ich: ,wie soll er wissen, was er meint, er hat ja auch nur seine Zeichen’ (Ludwig Wittgenstein, „Philosophische Untersuchungen“, Nr. 504)“.
Advisors:Haumann, Heiko
Faculties and Departments:04 Faculty of Humanities and Social Sciences > Departement Geschichte > Ehemalige Einheiten Geschichte > Osteuropäische und neuere Geschichte (Haumann)
UniBasel Contributors:Haumann, Heiko
Item Type:Thesis
Thesis Subtype:Master Thesis
Thesis no:UNSPECIFIED
Thesis status:Complete
Last Modified:05 Apr 2018 17:39
Deposited On:06 Feb 2018 11:29

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