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Vornamen im Aargau des 17. und 18. Jahrhunderts: Ihr konfessioneller Bezug in der ländlichen Gesellschaft

Richner, Raoul. Vornamen im Aargau des 17. und 18. Jahrhunderts: Ihr konfessioneller Bezug in der ländlichen Gesellschaft. 2006, Master Thesis, University of Basel, Faculty of Humanities and Social Sciences.

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Official URL: https://edoc.unibas.ch/60499/

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Abstract

Fragestellung
In meiner Lizentiatsarbeit befasste ich mich mit der Entwicklung der Vornamengebung im Gebiet des heutigen Kantons Aargau im 17. und 18. Jahrhundert. Dazu wurde ich insbesondere durch meine Arbeit am Aargauer Kirchenbuchinventar angeregt, die es mir ermöglicht hatte, in allen Kantonsteilen einen Blick in die Kirchenbücher zu werfen. Von folgenden Fragen liess ich mich leiten: Welche Einflüsse wirkten, damit sich in einer kleinräumigen Landschaft eine regional- und offensichtlich konfessionsspezifisch markant unterschiedliche Namenkultur entwickeln konnte? Welche Strukturen förderten dieses Phänomen? Lassen sich unterschiedliche Perioden festmachen? Gibt es Namen, die klar der einen oder der andern Konfession zugeordnet werden können? Lässt sich die vermutete niedrige Kreativität der Protestanten bezüglich der Namengebung messen?
Diese Arbeit ist folgendermassen aufgebaut: In einem ersten, einführenden Teil stelle ich einige Grundzüge der Namenkunde, der räumlichen und historischen Einordnung unserer beiden Forschungsgebiete sowie den Forschungsstand vor. Anschliessend beschreibe ich in einem methodischen Kapitel das Vorgehen und weise dabei auf einige Einschränkungen hin. Das vierte Kapitel beinhaltet die eigentliche Analyse der Vornamengebung, wobei ich für die beiden Untersuchungsgebiete die Faktoren einzeln betrachte, um sie dann im fünften Kapitel miteinander zu vergleichen. Die Resultate werden im letzten Kapitel dargestellt.
Der umfangreiche Anhang enthält das verarbeitete Namenkorpus aus der Zeit zwischen 1600 und 1799 in Form von Tabellen. Bei der Lektüre der Arbeit empfiehlt es sich, den Anhang ständig zur Hand zu haben, da darauf verzichtet wird, Daten aus dem Korpus in den Text einzufügen. Vielmehr wird auf die entsprechenden, durchnummerierten Tabellen verwiesen.
Methode und Einschränkungen
Ich wählte zwei ländliche Region aus, die zwar geographisch nahe beieinander liegen, konfessionell jedoch unterschiedlich geprägt sind. Konkret handelt es sich um fünf Kirchgemeinden des damals bernischen Wynen- und Seetales (Birrwil, Gontenschwil, Gränichen, Kulm und Leutwil) und sieben Kirchgemeinden des gemeineidgenössischen Unteren Freiamts (Göslikon, Hägglingen, Hermetschwil, Niederwil, Sarmenstorf, Villmergen und Wohlen).
In einem ersten Schritt zählte ich die Taufregister – teils im Originalbuch, teils auf Mikrofilm - nach Vornamen der Täuflinge aus. Dabei ging ich in Jahrzehnte-Schritten vor, so dass ich den unterschiedlichen Registerlaufzeiten Rechnung tragen konnte.
Auf diese Weise kam ein Korpus zustande, das die Daten von rund 31'000 Taufen pro Region enthält. Bei der Auszählung war ich mit der Frage der Normalisierung der Namen konfrontiert. Ich erklärte, weshalb es Sinn macht, zum Beispiel “Hans Uli” und “Hans Joggli” zu “Joh. Ulrich” bzw. “Joh. Jakob” zu normieren.
Die wichtigste Einschränkung ist diejenige der genealogischen Unkenntnis. Meine Arbeit konnte demnach nicht klären, welche Rolle die familieninterne Vererbung von Vornamen über mehrere Generationen spielte.
Resultate
Es zeigt sich, dass sich die Vornamenpaletten der beiden Regionen zu Beginn des 17. Jahrhunderts noch annähernd deckungsgleich waren, sowohl hinsichtlich ihrer Struktur (Dominanz der Einzelnamen) als auch ihrer Breite der Namensspektra. Auch im Bezug auf die verwendeten Elemente sind sich die Regionen sehr ähnlich. Im Laufe des 18. Jahrhunderts stellt sich dann im katholischen Bereich einen Paradigmenwechsel: Vor allem durch den Einfluss von Geistlichen werden auf verschiedene Weisen (Durchsetzung des Heiligenkalenders, Import von Katakombenheiligen, Förderung des Kultes der Ordensheiligen) neue Motivationen für die Namengebung eingeführt, die dazu führen, dass sich der Vornamensschatz beträchtlich erweitert. Als Paradebeispiel für den Einfluss der Katakombenheiligen sei Leonz von Muri genannt, dessen Reliquien 1647 ins Freiamt transferiert wurden. Ab den 1670er gehörte der bis dahin unbekannte Name zu den beliebtesten sechs Namenselementen im katholischen Untersuchungsgebiet. Eine ähnlich steile Beliebtheitskurve weist der Name Josef auf, was damit zu erklären ist, dass der Josefstag 1621 zum gebotenen Feiertag erhoben und der nach biblischer Tradition als Nährvater Christi bezeichnete Heilige 1729 in die Allerheiligenlitanei aufgenommen wurde.
Weil die reformierte Namengebung im Wynen- und Seetal dagegen systemkonservativ ist, d.h. die Kinder überwiegend nach den Paten benannt werden, finden neue Elemente fast nur dann Einzug in die Dörfer, wenn sie durch einen Paten persönlich importiert werden. Insbesondere Personen mit einer hohen sozialen Stellung (z.B. Mitglieder von ansässigen Pfarrersfamilien, angesehene Zuzüger und in die Oberschicht eingeheiratete Frauen) können die örtliche Namenkultur prägen, sofern sie oft als Taufpaten fungieren. Manchmal stehen sie sogar als Namensstammväter am Anfang einer Tradition (z.B. in Gontenschwil/Zetzwil, wo sich sämtliche bis 1799 getauften Tobias auf den 1701-1723 wirkenden Pfarrer Tobias Strauss aus Lenzburg bzw. dessen Patenkinder zurückführen lassen). Umgekehrt lassen sich von der Verbreitung der Namen Rückschlüsse auf den gesellschaftlichen Rang einer Person ziehen.
Zurückhaltend sind die Protestanten bei Doppelnamen, wenn man von Namen mit den Elementen Hans und Anna absieht. Nur selten werden Patennamen zu neuen Einheiten kombiniert.
Die Katholiken des Unteren Freiamts hingegen lösen sich von der strikten Patennachbenennung und zeigen sich innovativ: Einerseits integrieren sie die neuen Namen in ihr System, indem sie vermehrt Doppel- und Mehrfachnamen bilden (Barockisierung), wobei hier wohl auch die mittelalterliche Idee mitspielen dürfte, dass der Täufling unter dem speziellen Schutz seines Namenspatrons bzw. seiner namenspatrone steht; anderseits erweisen sie sich – wohl wiederum mit priesterlicher Unterstützung – bei Mädchennamen als kreativ (Movierung von männlichen Vornamen: z.B. bekommt ein am Tag des hl. Hilarius getauftes Mädchen den Namen Hilaria oder das Patenkind des Michael und der Anna heisst Anna Michaela).
Bezüglich der Namenspektra stellen wir in den beiden Konfessionen eine gegensätzliche Entwicklung fest: Während sich die Zahl der von den Reformierten verwendeten Elemente im Laufe der untersuchten 200 Jahre kaum ändert, verdoppeln die Katholiken ihren Namenelementeschatz.
Bedingt durch das starke Bevölkerungswachstum hat dies zur Folge, dass Homonymie – die Geisel der Genealogen – bei den Protestanten sehr viel weiter verbreitet ist als bei den Katholiken, die ihre Namen sogar weiter individualisieren können.
Im Bezug auf die Geschlechter lässt sich festhalten, dass es in sämtlichen Gemeinden während der ganzen untersuchten 200 Jahre konstant mehr männliche Vornamen gab als weibliche. Zudem waren die weiblichen Namenelemente weniger der Mode unterworfen. Maria, Anna, Barbara, Verena und Elisabeth (sowie Katharina im kath. Gebiet bzw. Susanna im ref. Gebiet) deckten in der ausgewerteten Zeitspanne durchschnittlich 85% der gewählten Elemente ab, wobei sich diese Top-6 Namen bis in die 1790er Jahre in den protestantischen Pfarreien schliesslich 97% der weiblichen Täuflinge abdecken erscheinen (altestamentalische Vornamen waren für Katholiken seit 1574 verboten), finden sich etwa Leonz, Xaver, Justa und Agatha nur bei katholischen Täuflingen.
Zu beachten ist allerdings, dass die beiden untersuchten Landschaften keine homogene Namenkultur haben: Die Namen innerhalb der Herrschaftsfamilien und – im reformierten Gebiet – innerhalb der Pfarrersfamilien setzten sich im Laufe der Zeit immer stärker von der Namenkultur der Dorfbewohner ab (z.B. trugen die Kinder des Gontenschwiler Pfarrers Langhans in den 1770er Jahren folgende Namen: Karl Daniel, Gottlieb Bernhard, Julia Katharina, Niklaus Emanuel – die meisten dieser Elemente waren damals im Dorf gänzlich unbekannt). Dieser Umstand ist auf den städtischen Hintergrund dieser Personen zurückzuführen. Inwiefern sich die Namenspektra der Städte generell von jenen der Landschaft unterschieden, müsste noch abgeklärt werden.
Dem Motiv der familiären Traditionen bei der Namenwahl sind wir in dieser Untersuchung nicht nachgegangen. Um herauszufinden, welche Rolle dies in den beiden Untersuchungsgebieten spielte, müssten einige Musterfamilien vollständig rekonstruiert und analysiert werden. Ebenso harrt die Frage nach den Rufnamen einer Antwort. Gerade bei den katholischen Mehrfachnamen wäre es interessant festzustellen, ob die teilweise recht exotischen Heiligennamen im Alltag tatsächlich im Gebrauch waren. Auch dazu müsste eine Person bzw. deren Namen von der Wiege bis zur Bahre verfolgt werden.
Als Ausblick ins 19. Jahrhundert sei angefügt, dass dieses System der konfessionsspezifischen Namengebung seinerseits von einer neuen Kultur verdrängt werden wird, bei der der konfessionelle Aspekt wieder in den Hintergrund trat. Aber auch dazu fehlt bisher im Gebiet der Schweiz eine detaillierte Studie auf breiter Quellenbasis.
Advisors:von Greyerz, Kaspar
Faculties and Departments:04 Faculty of Humanities and Social Sciences > Departement Geschichte > Ehemalige Einheiten Geschichte > Geschichte der frühen Neuzeit (von Greyerz)
UniBasel Contributors:Von Greyerz, Kaspar
Item Type:Thesis
Thesis Subtype:Master Thesis
Thesis no:UNSPECIFIED
Thesis status:Complete
Last Modified:05 Apr 2018 17:39
Deposited On:06 Feb 2018 11:28

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