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Pestizide im Spannungsfeld Nord-Süd, 1960er bis 1980er Jahre. Das Beispiel Galecron

Moser, Patrick. Pestizide im Spannungsfeld Nord-Süd, 1960er bis 1980er Jahre. Das Beispiel Galecron. 2008, Master Thesis, University of Basel, Faculty of Humanities and Social Sciences.

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Official URL: https://edoc.unibas.ch/60423/

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Abstract

1. Ausgangslage
Zwischen 1966 und 1976 sowie zwischen 1978 und 1988 verkaufte Ciba-Geigy das Schädlingsbekämpfungsmittel Galecron. Dieses Pestizid mit dem Wirkstoff Chlordimeform kam weltweit in Baumwoll- und verschiedenen Lebensmittelkulturen zum Einsatz. In den Jahren 1976 bis 1978 stellte Ciba-Geigy Herstellung und Verkauf von Galecron ein, nachdem unabhängige Wissenschaftler als Folge eigener Tierversuche den Verdacht auf eine karzinogene Wirkung des Mittels geäussert hatten. Nach weiteren Untersuchungen kam Ciba- noch in Baumwolle. Während in der Schweiz, dem Produktionsland von Galecron, die Wiedereinführung hinfällig wurde, liessen verschiedene Baumwolle produzierende Länder wie die USA, Australien und Mexiko Galecron wieder zu. 1988 schliesslich beschloss Ciba-Geigy, Produktion und Verkauf komplett einzustellen, nachdem erneute Forschungen den Verdacht auf ein Krebsrisiko erhärtet hatten. Zudem hatte sich gezeigt, dass die aufgestellten Sicherheitsvorkehrungen nicht überall eingehalten wurden.
2. Untersuchungsgegenstand, Fragestellung, Quellenlage, Forschungsstand
Aus dem Titel der Untersuchung: „Pestizide im Spannungsfeld Nord-Süd, 1960er bis 1980er Jahre. Das Beispiel Galecron“ ergaben sich folgende Schwerpunkte:1)    Die Arbeit befasst sich mit Pestiziden, namentlich mit dem Ciba-Geigy-Präparat Galecron;2)    der behandelte Zeitraum umfasst in etwa die Periode zwischen 1960 und 1989;3)    geografisch und entwicklungspolitisch ist die Arbeit im Kontext „Nord-Süd“ anzusiedeln.Die Erkenntnisse der Untersuchung beruhen auf dem Studium verschiedenster Quellen, die Quellenlage kann insgesamt als sehr günstig bezeichnet werden. Von besonderem Interesse waren die einschlägigen Bestände im Schweizerischen Sozialarchiv (Zürich), im Firmenarchiv der Novartis AG (Basel) und im Schweizerischen Wirtschaftsarchiv (Basel), darüber hinaus wurden diverse weitere Quellen den Beständen verschiedener Archive, Bibliotheken und Dokumentationszentren entnommen. Im Hinblick auf den Forschungsstand gilt es festzuhalten, dass bisher weder Galecron als solches noch die öffentliche Diskussion um das Präparat wissenschaftlich bearbeitet wurden. Somit betritt die hier vorgestellte Arbeit gewissermassen Neuland.
3. Zusammenfassung der Arbeit
Seit der Entdeckung der insektiziden Wirkung von DDT hatte sich der Markt für synthetisch hergestellte Schädlingsbekämpfungsmittel rasant entwickelt, sodass zu Beginn der 1960er Jahre bereits eine breite Palette an Pestiziden zur Verfügung stand. Diese hatten aber verschiedene unerwünschte Nebenwirkungen wie hohe Persistenz oder akute Toxizität für den Menschen und für Nützlinge. Zudem wurden die bekämpften Schädlinge in der Regel rasch gegen die vorhandenen Präparate resistent. Gesucht wurden daher wenig persistente und für Menschen möglichst ungiftige Präparate, die gegen resistente Insekten noch wirksam waren. Bei CIBA erhoffte man sich seit Ende der 1950er Jahre höhere Marktanteile durch gezielte Forschung nach neuen Pflanzenschutzmitteln. Bei der Suche nach entsprechenden Präparaten stiess man auf die Gruppe der sog. Formamidine, zu denen auch Chlordimeform, der Wirkstoff von Galecron, zählt. Die Substanz zeigte eine ausgeprägte Wirkung gegen Spinnmilben und verschiedene Insekten (auch gegen resistente), war wenig persistent und akut nur gering toxisch, hatte also ziemlich genau jene Eigenschaften, die man sich in den 1960er Jahren von einem neuen Pestizid erhoffte. Entsprechende Hoffnungen waren bei Markteintritt mit Galecron verbunden und diese wurden in den ersten Jahren auch erfüllt. Die Einsatzgebiete waren mannigfaltig und über die ganze Welt verteilt, Galecron verzeichnete ein steiles Umsatzwachstum.Anfangs der 1970er Jahre häuften sich jedoch die Hinweise, dass der Chlordimeform-Metabolit 5-CAT beim Menschen gesundheitliche Schäden hervorrufen kann, denn verschiedene Arbeiter, die mit Chlordimeform gearbeitet hatten, erkrankten an Blasenleiden. Als ein Laborversuch mit 5-CAT bei Mäusen Krebs verursachte, zog Ciba-Geigy Galecron vom Markt zurück und begann, nach Alternativpräparaten zu suchen, gab aber in Bezug auf Galecron die Hoffnung noch nicht auf und veranlasste weitere Tests. Bei einem Versuch in Ägypten wurden Freiwillige und Mitarbeiter von Ciba-Geigy Galecron exponiert und die gesundheitlichen Folgen wurden registriert. Aus diesem und anderen Versuchen schloss das Unternehmen, dass unter Anwendung gewisser Sicherheitsvorkehrungen, die den direkten Kontakt mit der Substanz verhindern sollten, Galecron sicher einzusetzen sei. So beschloss man, das Präparat wieder auf den Markt zu bringen. Dieser Schritt war wesentlich vom Entscheid der US-Behörde EPA abhängig, da diese Signalwirkung für andere Länder und insbesondere für Mexiko hatte. Die umfangreichen mexikanischen Lebensmittelexporte in die USA hatten dazu geführt, dass sich das Land in Pestizidfragen stark auf die Regelungen des nördlichen Nachbarn stützte.Nach dem Okay der USA wurde Galecron in verschiedenen Ländern wieder zugelassen, nicht aber in der Schweiz. Produziert wurde es jedoch weiterhin in der Ciba-Geigy-Fabrik in Monthey, die in der Zwischenzeit entgiftet und automatisiert wurde, um auch bei den Produktionsmitarbeitern den Kontakt mit Galecron so weit wie möglich zu verhindern. Fortan nahm das Unternehmen regelmässig Urinproben von den Arbeitern in Monthey und von Anwendern des Präparats in den verschiedenen Ländern. Die Auswertung dieser Messungen ergab, dass in den Entwicklungsländern die Chlordimeform-Rückstände zum Teil sehr hoch waren und oft die internen Grenzwerte überschritten, die Ciba-Geigy für die Produktion in Monthey laut einem ehemaligen Ciba-Geigy-Mitarbeiter festgelegt hatte. Dieser Mitarbeiter, der von 1979 bis 1981 für die Firma in der Rückstandsanalytik eben diese Urinproben auswertete, sah in der Diskrepanz zwischen theoretischen Grenzwerten und Realität in den Entwicklungsländern ein Problem und sprach dies intern an. Als er auf taube Ohren stiess, beschloss er, in typischer Manier eines Whistleblowers, seine Befürchtungen in die Öffentlichkeit zu tragen und wandte sich an EvB, TAM und Kassensturz. Er reiste nach Mexiko, um dort Urinmessungen vorzunehmen und die Einhaltung der Sicherheitsvorkehrungen ins Visier zu nehmen. Seine Analyse ergab, dass ein beträchtlicher Teil der Proben über den Grenzwerten aus Monthey lag. Dieses Engagement war nicht etwas genuin Neues, sondern lässt sich in einen historischen Kontext einordnen. Seit der zweiten Hälfte der 1970er Jahre thematisierten Konsumenten- und Entwicklungsorganisationen zunehmend den grassierenden Verbrauch von Pestiziden in der Dritten Welt, die in den Industrienationen verboten oder streng beschränkt waren. Diese Präparate wurden aber zu einem Grossteil in eben diesen Nordländern hergestellt und in erster Linie in die Südländer exportiert, waren also „for export only“. Diese Problematik wurde gemeinhin als ‚Dumping’ bezeichnet. Kritiker wiesen auf die aus ihrer Sicht mannigfaltigen Folgen dieser Praxis und des übermässigen Einsatzes von hochgiftigen Präparaten in den Entwicklungsländern hin, die ihrerseits oft nicht die Gesetze und die Ressourcen hatten, diesem Vorgang Einhalt zu gebieten: Mensch, Tier und Umwelt würden vergiftet oder sogar getötet, Schädlinge resistent, Nahrungsmittel mit Pestizidrückständen kontaminiert und die Bauern in die ‚Pesticide Treadmill’ gezwungen. Die internationalen Organisationen und vor allem die chemische Industrie vertraten demgegenüber die Ansicht, Pflanzenschutzmittel leisteten einen wesentlichen Beitrag zur Ertragssteigerung in der Landwirtschaft und somit in der Bekämpfung des Welthungers. Auf Pestizide könne schon aus moralischen Gründen nicht verzichtet werden, denn die von den Kritikern geforderten alternativen Landwirtschaftsmethoden seien nicht in der Lage, genügend Nahrung zu produzieren. An dieser These entbrannte ein Streit, in den sich auch die EvB einschaltete, da sie wie viele andere Organisationen und Einzelpersonen betonte, es gäbe bereits genügend Nahrung auf der Erde, diese werde jedoch falsch verteilt. Mangelernährung und Armut seien somit nicht Folge der zu geringen Erträge der Landwirtschaft, sondern der machtpolitischen Verteilstrukturen in der Weltwirtschaft. In diesem Zusammenhang stand auch die EvB-Kampagne ‚Hunger ist ein Skandal’, die diese Strukturen aufzeigen, alternative Wege vorschlagen und die Konsumenten informieren wollte. Die Pestizidthematik spielte in dieser Aktion eine zentrale Rolle und Galecron war ein ideales, weil brisantes Beispiel, um die Schweizer Öffentlichkeit auf die Problematik aufmerksam zu machen. Mitte November 1982 traten TAM, Kassensturz und EvB kurz nacheinander mit ihren Berichten an die Schweizer Öffentlichkeit. Ihre an Ciba-Geigy gerichtete Kritik lässt sich auf vier Schwerpunkte verdichten: 1. dass Galecron ein potentielles Karzinogen sei, 2. dass die aufgestellten Sicherheitsmassnahmen in der Praxis nicht funktionierten, 3. dass Ciba-Geigy im Hinblick auf die Umsetzung dieser Sicherheitsmassnahmen mit zwei verschiedenen Ellen messe und 4. dass Ciba-Geigy in Ägypten mit Galecron Menschenversuche vorgenommen habe.Ciba-Geigy reagierte auf diese Vorwürfe zurückweisend. Die potentielle Gefahr von Galecron für die menschliche Gesundheit verneinte man und betonte, mit den eingeführten Schutzmassnahmen könne das Risiko für die Anwender auf ein tolerables Niveau reduziert werden. Die Einführung dieser Sicherheitsmassnahmen habe man selbst initiiert und kontrolliere seither auch ihre Einhaltung mit Hilfe eines regelmässigen Urinmonitoring-Programms. Die Expositionen in Ägypten schliesslich seien ein Einzelfall und hätten auf ausdrücklichen Wunsch der ägyptischen Regierung im Hinblick auf eine mögliche Einführung von Galecron stattgefunden.Die Schweizer Medienlandschaft reagierte insofern enthusiastisch auf die Thematik, als sie den Fall umgehend aufgriff und breit rezipierte. Manche Zeitungen sympathisierten offensichtlich mit den Kritikern, manche mit Ciba-Geigy, manche waren relativ neutral, sodass sich insgesamt ein ausgewogenes Bild ergab. Einen klaren Einschnitt in der Berichterstattung stellte der Gegenangriff von Ciba-Geigy dar, mit dem die Firma es weitgehend schaffte, den Kassensturz zu diskreditieren und die Diskussion auf eine andere Ebene zu tragen. Die Firma konnte nämlich nachweisen, dass der Kassensturz-Bericht einige gestellte Szenen aufwies, so etwa einen „inszenierten Sprühflug“. Das Unternehmen kündigte daher an, beim Eidgenössischen Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement eine Beschwerde gegen den Kassensturz wegen Verletzung der Radio- und Fernsehkonzession einzureichen. Damit gelang es Ciba-Geigy, die Glaubwürdigkeit der Galecron-Gegner insgesamt zu zerstören oder zumindest stark anzukratzen, was sich auch in den Pressestimmen manifestierte. Wurden zu Beginn der Auseinandersetzung primär inhaltliche Fragen thematisiert, so berichteten die Zeitungen nach den Enthüllungen in der Ciba-Geigy Zeitung praktisch nur noch über die „Machart“ der Kassensturz-Sendung. Mit dem Entscheid der Beschwerdekommission, die der Ciba-Geigy mehrheitlich Recht gab, wurde die Firma endgültig zur moralischen Siegerin der Galecron-Debatte in der Schweizer Öffentlichkeit in den frühen 1980er Jahren.
Advisors:Simon, Christian
Faculties and Departments:04 Faculty of Humanities and Social Sciences > Departement Sprach- und Literaturwissenschaften > Fachbereich Deutsche Sprach- und Literaturwissenschaft > Literaturwissenschaft (Simon)
UniBasel Contributors:Simon, Christian
Item Type:Thesis
Thesis Subtype:Master Thesis
Thesis no:UNSPECIFIED
Thesis status:Complete
Last Modified:05 Apr 2018 17:38
Deposited On:06 Feb 2018 11:27

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