edoc

Von der Selbsthilfeorganisation zur Gewerkschaft. Die Geschichte des Posamenter-Verbandes von Baselland und Umgebung von der Gründung 1904 bis zur Liquidierung 1922

Merzaghi, Michele. Von der Selbsthilfeorganisation zur Gewerkschaft. Die Geschichte des Posamenter-Verbandes von Baselland und Umgebung von der Gründung 1904 bis zur Liquidierung 1922. 2007, Master Thesis, University of Basel, Faculty of Humanities and Social Sciences.

Full text not available from this repository.

Official URL: https://edoc.unibas.ch/60393/

Downloads: Statistics Overview

Abstract

Die Seidenbandindustrie war über Jahrhunderte eine der wichtigsten Industriebranchen in Basel. Diese Industrie stützte sich lange Zeit auf die Heimarbeit, die ausserhalb der Stadt, im Kanton Basel-Landschaft, einen Grossteil ihrer Arbeiter hatte. Die Posamenterei, so hiess die Heimarbeit in der Seidenbandweberei, gab am Anfang des 20. Jahrhunderts einigen Tausenden von Baselbieter Einwohnern Arbeit.
Thema der Lizentiatsarbeit ist der „Posamenterverband von Baselland und Umgebung“ später dann „Genossenschaft der Seidenbandweber von Baselland und Umgebung“. Er wurde am 10. April 1904 durch den Zusammenschluss von 17 Elektra- und Posamentergenossenschaften des Kantons Baselland gegründet und im Laufe des Jahres 1922 wegen zu hoher Verschuldung und wegen eines katastrophalen Selbstproduktionsversuchs liquidiert.Diese Genossenschaft hatte die Regulierung der Arbeitszeit, sowie die Wahrung der Interessen der Seidenbandweber und die Organisation von Fachkursen zum Ziel, später beschäftigte sie sich auch mit gewerkschaftlichen Aktionen und der Selbstproduktion von Seidenbändern. Auf dem Höhepunkt seines Bestehens zählte der Posamenterverband fast 2’500 Mitglieder und vertrat mehr als drei Viertel der Posamenter, er war eine der mächtigsten Organisationen des Kantons Basel-Landschaft.
Die zentralen Untersuchungsfragen sind: Warum wurde der Posamenterverband in Form einer Genossenschaft gegründet und welche Bedeutung hatte diese Wahl? Wie war der Verband organisiert und wie funktionierte er, wie waren die internen Machtverhältnisse und wie haben sie sich im Laufe der Zeit geändert? Darüber hinaus werden auch die Beziehungen mit den anderen Verbänden (vor allem mit dem Fabrikantenverband) und mit dem Staat analysiert.
Die benützten Quellen befinden sich vor allem im Staatsarchiv des Kantons Basel-Landschaft in Liestal und im Schweizerischen Wirtschaftsarchiv (SWA) in Basel. Grundlegend für die Forschungen waren die Protokolle des Posamenterverbandes, die fast lückenlos das Leben des Posamenterverbandes aus der Sicht des Vorstandes erläutern. Sehr hilfreich waren auch die Archive des Basler Bandfabrikanten Verein (BBV), die sich heute im SWA befinden und die Akten über den Posamenterverband im Staatsarchiv des Kantons Basel-Landschaft. Diese Akten dokumentieren die Beziehungen des Posamenterverbandes mit den Fabrikanten und dem Staat. Ferner ist „Der Posamenter“, das obligatorische Fachblatt des Verbandes, eine sehr wichtige Quelle, um die Aussenkommunikation des Verbandes und dessen Vorstand zu analysieren. Die Protokolle der Elektra Reigoldswil und der Genossenschaft der Seidenbandweber von Wittnau, haben ermöglicht, einen Blick in die internen Strukturen und Dynamiken des Verbandes zu werfen.
Die Seidenbandweberei ist längst aus Basel verschwunden. Um die Entstehung und das Wirken des Posamenterverbandes in einen Kontext zu setzen, wird im ersten Teil erklärt welche Bedeutung diese „Branche“ für den Kanton Basel-Landschaft hatte, wie sie organisiert war und in welcher Weise sie die Posamenter, ihre Familien und das Dorfleben beeinflusste.
Es wird deshalb gezeigt, dass sich der Sektor der Seidenbandindustrie schon ab Ende des 19. Jahrhunderts in der Krise befand. Die Posamenterei, vor allem im Oberbaselbiet ansässig, konnte dank der Elektrifizierung der Webstühle, ihre Stellung in Konkurrenz mit der Fabrikarbeit behalten. Dies war auch Dank der Flexibilität der Heimindustrie und der Pufferfunktion der Posamenterei möglich (die Arbeiter wurden im Akkord bezahlt und konnten auch eine gewisse Zeit ohne Arbeit bleiben). Die Lebenslage der Posamenter, auch wenn sie im Vergleich zu anderen Heimarbeitern noch relativ gut war, war für die heutigen Verhältnisse schlecht. Lange Arbeitszeiten und niedrige Löhne waren die Regel. Die oft idealisierte Verbindung zwischen Posamenterei und Landwirtschaft, die von drei Vierteln der Arbeiter betrieben wurde, brachte nicht nur Vorteile. Wegen der Arbeit an den Webstühlen wurde die Landwirtschaft oft stark vernachlässigt und konnte in einigen Fällen die Bedürfnisse der Familie mehr schlecht als recht befriedigen.
Der zweite Teil der Arbeit befasst sich mit den Genossenschaften. Ohne die Genossenschaftsideen und ihre Selbsthilfe-Prinzipien wäre die Gründung des Posamenterverbandes kaum vorstellbar gewesen. Die Posamenter gründeten in ihren Dörfern kleine Elektragenossenschaften ohne Mithilfe der Fabrikanten. Durch die Elektrifizierung der Webstühle hofften sie, die Produktivität zu erhöhen und somit ihre Einnahmen zu verbessern. Mit diesem Vorgehen stellten sie das Prinzip der Selbsthilfe in den Mittelpunkt, den Grundgedanken des modernen Genossenschaftswesens.Das moderne Genossenschaftsideal entwickelte sich infolge der Industrialisierung im Laufe des 19. Jahrhunderts in der Schweiz. Die Genossenschaftsidee, vor allem die Prinzipien der englischen Rochdaler Pioniere, breiteten sich in der Region Basel und Umgebung rasch aus. Mehrere Genossenschaften wurden gegründet, vor allem im Kanton Basel-Landschaft, in dem der Genossenschaftspionier, Stefan Gschwind, tätig war. Die Elektrifizierung der Webstühle ermöglichte die Zusammenarbeit der sonst isolierten Posamenter und bildete damit eine Grundlage für die Gründung des Verbandes.
Der dritte Teil befasst sich mit der Gründung, der Organisation und dem Untergang des Posamenterverbandes. Der Verband konnte anders als seine Vorgänger den Grossteil der Posamenter vertreten. Dies konnte nur erreicht werden, weil die Posamenter, die von den Resultaten der Elektrifizierung enttäuscht waren, gegen die zu langen Arbeitsstunden und gegen das Risiko der Arbeitsreduktion, kämpfen wollten. Mitglieder des Vorstandes des Posamenterverbands waren vor allem die Leiter der Dorfgenossenschaften, von denen ein wesentlicher Teil nicht Posamenter war. Diese einflussreichen Personen engagierten sich aus philanthropischen Gründen und waren oft aktiver als die Posamenter selbst, die sich oft passiv verhielten.
Anfänglich engagierte sich der Verband für die Regulierung der Arbeitszeit und die Gründung der Lehrlingskurse. Diese beiden Projekte folgten weiter den Prinzipien der Selbsthilfe. Hilfreich bei der Mobilisierung der Posamenter und der Entwicklung ihres Bewusstseins zeigte sich auch die Zeitschrift „Der Posamenter“, die ab 1908 veröffentlicht wurde. Langsam wuchs das Selbstbewusstein der Posamenter. Die Selbstproduktion ist ein Beispiel dieses wachsenden Bewusstseins. Der Wunsch, selber Bänder zu produzieren, kam nicht nur aus der Notwendigkeit heraus, die Lehrlingskurse zu finanzieren, sondern auch aus dem Willen zu prüfen, ob die Löhne, welche die Fabrikanten bezahlten, gerecht waren. Damit wurde die Korrektheit der Arbeitgeber, die noch am Anfang des 20. Jahrhunderts als „gute Herren“ bezeichnet wurden, in Frage gestellt. Bei der Selbstfabrikation gab es immer wieder Probleme, infolge der Unerfahrenheit der Leiter und der schwierigen Lage des Marktes. Wegen ihrer symbolischen Bedeutung wurde die Selbstfabrikation trotz aller Probleme und Warnungen, die von verschiedenen Seiten kamen, nicht aufgegeben, sondern mehrmals vergrössert. Die Banken, durch die solidarische Haftung der Mitglieder des Verbandes gesichert, gewährten immer mehr Kredite und ermöglichten damit eine sehr hohe Verschuldung der Selbstfabrikation. Ein Preissturz der Seide verursachte den endgültigen Zusammenbruch der Selbstproduktion, was zur Liquidierung des Posamenterverbandes führte. Der Kanton Basel-Landschaft sah sich gezwungen den Posamentern zu helfen. Ein Hilfsfonds wurde mit Beiträgen der Fabrikanten, der Banken, einigen Gemeinden und den Kantonen Basel-Landschaft und Aargau gebildet, was den ärmeren Posamentern half, die Schulden des Verbandes zu bezahlen. Der Kanton Basel-Landschaft engagierte sich auch für die Gründung eines neuen Verbandes, der aber nie das Ansehen und die Kraft seines Vorgängers haben sollte.
Im letzten Teil der Arbeit werden die Beziehungen zwischen Posamenterverband und Fabrikanten untersucht. In diesem Teil wird es deutlich, wie die Posamenter von der „Devotion zu Prinzipalen“ (wie Fritz Grieder es bezeichnet), zum Konfliktbewusstsein gegen die Fabrikanten kamen. Am Anfang versuchten sich die Posamenter mit dem Arbeitsschutzreglement, gegen willkürliche Kündigungen der Webstühle zu schützen. Der Posamenterverband versuchte von Anfang an seine Forderungen objektiv zu begründen, um die Fabrikanten zu überzeugen, aber auch den Mitgliedern zu zeigen, dass diese Forderungen berechtigt waren. Es folgten die Verhandlungen über den Botenlohn (Transportkosten der Seide auf dem Lande). Wie es bei verschiedenen anderen Fällen geschah, wurde der Kanton um Hilfe gebeten. Die Regierung des Kantons Basel-Landschaft und vor allem Regierungsrat Albert Grieder unterstützten immer wieder den Posamenterverband, der eine der wichtigsten wirtschaftlichen „Branchen“ des Kantons vertrat. Mit der Vermittlung der Regierung konnte die Botenlohnfrage gelöst werden. Ein weiteres Problem, das den Posamenterverband beschäftigte, war ein fester Lohntarif. Damit hofften die Posamenter, endlich die Preise zu regeln und weitere Lohnsenkungen zu vermeiden. Auch diesmal waren die Fabrikanten nicht einverstanden, verhielten sich ablehnend gegenüber den Posamentern und verwarfen mehrere Entwürfe. Der Verband reagierte mit einer immer stärker wachsenden Mobilisierung der Mitglieder und mehreren Artikeln im „Posamenter“. In diesem Fall konnten aber die Fabrikanten noch ihre Interessen wahren und einen Kompromiss, der für sie sehr günstig war, durchsetzen.
Der letzte grosse Kampf zwischen Fabrikanten und Posamentern fand im Laufe des Ersten Weltkrieges statt. In dieser Periode stieg die Inflation und von Seiten des Posamenterverbandes wurde eine Teuerungszulage auf den Lohntarif gefordert. Wieder reagierten die Fabrikanten ablehnend, aber diesmal verhielten sich die Posamenter, von der Not gezwungen, aggressiver. Im „Posamenter“ sowie auch in mehreren Briefen wurden die Fabrikanten kritisiert, schliesslich war die Lage so angespannt, dass der Baselbieter Regierungsrat Tanner eine revolutionäre Bewegung fürchtete. Um eine gefährliche Annäherung der Posamenter an sozialistische Bewegungen zu vermeiden, sah sich der BBV gezwungen, mehrere Teuerungszulagen sowie weitere Forderungen zu bewilligen. Nur die Auflösung des Posamenterverbandes und eine Krise der Seidenbandindustrie, beendeten die sich immer weiter steigernden Forderungen des Posamenterverbandes.
Advisors:Mooser, Josef
Faculties and Departments:04 Faculty of Humanities and Social Sciences > Departement Geschichte > Ehemalige Einheiten Geschichte > Neuere Allgemeine Geschichte (Mooser)
UniBasel Contributors:Mooser, Josef
Item Type:Thesis
Thesis Subtype:Master Thesis
Thesis no:UNSPECIFIED
Thesis status:Complete
Last Modified:05 Apr 2018 17:38
Deposited On:06 Feb 2018 11:27

Repository Staff Only: item control page