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Gesetz ohne Gott: die Ambivalenzen am Grund des Naturrechts in der Folge seiner Säkularisierung

Heller, Jonas. Gesetz ohne Gott: die Ambivalenzen am Grund des Naturrechts in der Folge seiner Säkularisierung. 2010, Master Thesis, University of Basel, Faculty of Humanities and Social Sciences.

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Official URL: https://edoc.unibas.ch/60204/

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Abstract

Die übergeordnete systematische Problemstellung der Arbeit besteht in der Frage, welche Kriterien die Gültigkeit von Recht garantieren. Um als Recht gelten zu können, muss eine Norm positiviert und durchsetzbar sein. Denn nur eine wirksame Norm wird dauerhaft ihren Status als geltendes Recht behaupten können. Allerdings lässt sich blosse Durchsetzung nicht von Gewalt unterscheiden. Neben dem formalen Kriterium der durch Positivität garantierten Wirksamkeit ist daher eine inhaltliche Begründung der Richtigkeit erforderlich, damit eine Norm als gültiges Recht in Betracht kommen kann. Recht bleibt auf diese Weise stets eingespannt zwischen durchsetzbarer Gewalt auf der einen Seite und normativem Postulat auf der anderen. Aus beiden Polen speist sich seine Gültigkeit, ohne dass es dabei mehr dem einen als dem anderen zufallen darf.
Über Jahrhunderte hinweg wurde der normative Grund, von dem her Recht als Recht gelten könne, in einer die menschliche Natur transzendierenden Entität gesucht. Diese wurde in der Stoa in einem göttlichen Prinzip, in der daran anknüpfenden christlichen Tradition im Prinzip Gottes gefunden. Von solchen theologischen Begründungsversuchen distanzierte sich die Jurisprudenz zu Beginn der europäischen Neuzeit mehr und mehr. Die Verabschiedung Gottes aus der Begründung des Rechts beschränkte die Reflexion auf die irdische Sphäre des Menschen. Als inhaltlich-normative Quelle des Rechts diente fortan nicht mehr Gott, sondern die menschliche Natur: Legitime Geltung kann eine Norm demnach nur beanspruchen, wenn sie sich aus der Natur des Menschen deduzieren lässt. Das diesem Prinzip verpflichtete Naturrecht definierte sich in erster Linie durch die Absetzung von einer doppelten Positivität, die sowohl göttliche Setzungen als auch die der menschlichen Willkür entspringenden Gesetzesordnungen umfasst.
In der vorliegenden Arbeit wird die spezifische Problematik des modernen Naturrechts in einer Auseinandersetzung mit der Naturrechtskonzeption von Thomas Hobbes nach zwei Richtungen hin entfaltet. Zum einen wirft der Bezug auf eine allgemeinmenschliche Natur die Frage auf, ob eine solche tatsächlich existiert und ob sie in einer Anthropologie begrifflich einholbar ist. Zum anderen ist hinsichtlich des Status als Recht eine tief wurzelnde Ambivalenz zu verzeichnen. Denn das Naturrecht hat sich, um einen übergeordneten Massstab abzugeben, bewusst jenseits des menschlich gesetzten Rechts zu positionieren, muss zugleich aber stets um seine eigene Positivierung bemüht sein, damit es als Massstab eine durchschlagende Wirkung erzielt. In der naturrechtlichen Argumentation schlägt sich diese Ambivalenz als Oszillieren zwischen positiven und nicht-positiven Rechtskriterien nieder.
Anhand der Hobbesschen Konzeption lassen sich die beiden Problemkonstellationen deutlich nachzeichnen. Die Herausforderungen, die sich vor diesem Hintergrund für naturrechtliche Entwürfe ergeben, und die Fragen, die sich für die Möglichkeit von Rechtsgeltung schlechthin stellen, bleiben in der auf Hobbes folgenden Zeit bis in unser Jahrhundert hinein bestehen. Nicht zuletzt wird dies an den aktuellen Debatten um die Gültigkeit und Durchsetzung von Menschenrechten ersichtlich. Im Einwand, die gegenwärtigen Menschenrechtskonventionen litten an Eurozentrismus, spiegeln sich die Zweifel am Konzept einer allgemeinmenschlichen Natur, wie es sich in der westlichen Tradition herausgebildet hat. In der Art und Weise, wie um die Kodifizierung und Ratifizierung von Menschenrechtsverträgen gerungen wird, zeigt sich das Bestreben, überpositive Grundsätze mit positiver Geltung in Einklang zu bringen.
An die beschriebene Problemlage wurden seit Hobbes verschiedene Bewältigungsstrategien herangetragen. In je eigener Weise suchten die Theorien Hans Kelsens, Carl Schmitts und Niklas Luhmanns die problematisch gewordene Frage nach einer genuin menschlichen Natur zu umgehen. Dies konnte freilich nur über den Rückzug auf positivistische Standpunkte geschehen, von denen aus die Legitimität des Rechts unbegründbar werden musste. Anhand einer Lektüre von Jacques Derrida und Walter Benjamin zeigt die vorliegende Arbeit auf, wie der letztlich bleibenden Unentscheidbarkeit aller Rechtsprobleme in dezisionistischer Manier durch normativ nicht mehr begründbare Entscheide begegnet wurde.
Diese Aporie positivistischer Rechtskonzeptionen macht die Notwendigkeit einer anthropologischen Fundierung deutlich. Allerdings gilt es drei Linien von Einwänden ernst zu nehmen und für neuere Begründungsversuche fruchtbar zu machen. Zum einen wird in Auseinandersetzung mit Hegels Sittlichkeitstheorie und Marx’ Abhandlung zur Judenfrage der Blick auf eine sozialphilosophische Kritik an individualistisch-formellen Naturrechtskonzeptionen gelenkt, welche sich bis in die gegenwärtige Menschenrechtsdebatte fortsetzt. Zum anderen legt eine Auseinandersetzung mit Vertretern der historistischen Tradition des 19. und 20. Jahrhunderts (u.a. Savigny und Böckenförde) den Fokus auf die historisch-kulturell spezifischen Erscheinungsformen einer allgemein-menschlichen Vernunftnatur. Schliesslich ist zusätzlich zu dieser gesellschaftlichen Alterität auch der Eigenheit des einzelnen Subjekts stets Rechnung zu tragen. Diese drei Einwände führen zur Einsicht, dass der Rekurs auf eine genuin menschliche Natur sich stets als ambivalent erweisen muss, da er neben der Allgemeinheit auch die jeweiligen Besonderheiten zu berücksichtigen hat.
Entsprechend kann sich eine säkular fundierte Naturrechtstheorie nur als tragfähig erweisen, wenn sie sich an den gekennzeichneten Ambivalenzen abzuarbeiten sucht: An derjenigen der Geltung von Recht ebenso wie an der daran anschliessenden einer menschlichen Natur, von der her diese Geltung mitunter begründet werden soll und die als eine stets allgemeine nur in ihrer jeweiligen Besonderheit zu begreifen ist. Die These meiner Arbeit zielt vor dem Hintergrund dieser Überlegungen darauf, dass es die Momente der über Positivität garantierten Anwendung, der allgemeinmenschlichen Vernunftnatur und der historisch-kulturellen sowie der individuellen Alterität sind, welche naturrechtlichen Entwürfen ihren Ort und Rahmen geben müssen. Besonders den letzten beiden Aspekten hat sich auch die Debatte um eine allgemeine Anerkennung der Menschenrechte noch stärker anzunehmen.
Advisors:Freiherr von Müller, Achatz
Faculties and Departments:04 Faculty of Humanities and Social Sciences > Departement Geschichte > Ehemalige Einheiten Geschichte > Geschichte des Mittelalters (Freiherr von Müller)
UniBasel Contributors:Freiherr von Müller, Achatz
Item Type:Thesis
Thesis Subtype:Master Thesis
Thesis no:UNSPECIFIED
Thesis status:Complete
Last Modified:22 Apr 2018 04:32
Deposited On:06 Feb 2018 11:25

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