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«Sie sollten nur alle wissen, wie viele Kämpfe es für mich gewesen sind»: Lebensweltdeskription und Identitätskonstruktion in Tagebüchern evangelischer Missionsfrauen in Britisch- und Deutsch-Neuguinea (1884-1914)

Hammel, Tanja. «Sie sollten nur alle wissen, wie viele Kämpfe es für mich gewesen sind»: Lebensweltdeskription und Identitätskonstruktion in Tagebüchern evangelischer Missionsfrauen in Britisch- und Deutsch-Neuguinea (1884-1914). 2010, Master Thesis, University of Basel, Faculty of Humanities and Social Sciences.

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Abstract

«Jeder Tag bringt eine Erfahrung, die es wert ist, festgehalten zu werden, denn die Führung an sonnigen wie an trüben Tagen weist uns hin auf Gottes Liebe» (Klein, Dieter (Hg.): Jehova se nami nami. Die Tagebücher der Johanna Diehl. Missionarin in Deutsch-Neuguinea 1907-1913, Wiesbaden 2005, 12. Februar 1912, S. 183), so die Rheinische Missionarsfrau Johanna Diehl über ihre Schreibpraxis. Je drei Tagebücher und letter books von deutschen Missionarsfrauen und britischen Missionsschwestern in Britisch- und Deutsch-Neuguinea (1884-1914) werden in dieser Arbeit – in der es um die Verschränkung von Frauen-, Missions- und Kolonialgeschichte geht – auf die Lebensweltdeskription und Identitätskonstruktion hin komparativ untersucht. Durch theoretische Reflexionen wird gefragt, wie die Frauen in der kolonialen und missionarischen Situation ihr Leben gelebt, ihre Umgebung wahrgenommen und ihr Sein und Wirken gedeutet haben.
Durch den Fokus auf eine sowohl in der englischen wie in der deutschen Kolonialgeschichtsschreibung vernachlässigten Region sowie einer wenig berücksichtigten Personengruppe innerhalb der Kontaktgeschichte in der Südsee, wird die Präsentation eines «facettenreicheren Bildes» der Missionsgeschichte angestrebt. Die englischen Missionsschwestern waren als ledige Frauen selbst missionarisch tätig und als «Methodists in the mission field» im Sinne der Selbstkontrolle zur Führung von Tagebüchern verpflichtet. Passagen daraus wurden von der Missionsgesellschaft publiziert, während die deutschen Missionarsfrauen als Ehefrauen und Mütter «private» Tagebücher für ihre Familie, insbesondere die Kinder, führten.
Die britischen Missionsschwestern hatten durch den Unterricht, den Haushalt, die Gottesdienste und die medizinische Versorgung vielfältige Kontakte mit der indigenen Bevölkerung. Durch ihre Beschreibung der Umgebung schufen die Schwestern ethnographische Pionierarbeiten. Sie beschreiben vorbildliche methodistische Lebensführung mit der «morality of time» als Zentrum. Die omnipräsente Arbeit wird zum Zweck der Selbstverständigung in der Missionsgesellschaft und als sinnvolle Nutzung der Zeit beschrieben. Der Akt des Tagebuchschreibens lässt die Schwestern als «awakened women» erkennen, die sich zwar von der politischen Programmatik der Frauen(rechts)bewegung distanzierten, in ihrer missionarischen Praxis aber Selbstbewusstsein gewannen und die untergeordnete Rolle der (ledigen) Frau abschüttelten. In den Kontakten mit den indigenen Frauen verweisen «Dunkelheitsmetaphern» zwar auf Spannungen und Konflikte, die aber nicht dominant wurden. Denn die Begegnungen vertieften sich zur Empathie, auch zur Assimilation an Dimensionen der lokalen Kultur wie z.B. der Ernährung. Dem korrespondierte eine nur lockere Verortung im Verhältnis zur Nation und zum Empire. Die Schwestern waren keine Agentinnen des Empire, weil sie in der missionarischen Praxis der indigenen Bevölkerung nahestanden.
Der Alltag der deutschen Missionarsfrauen war stark bestimmt durch ihren Status als Ehefrauen, Hausfrauen und Mütter, die sich an Normen und Mustern – besonders auch in der Ernährung und Wohnkultur – ihres Herkunftslandes orientierten. «Leidenserzählungen» in den Tagebüchern zeigen die pietistische Demutsethik und die patriarchale Unterordnung der Frau. Trotz der «deutschen» Kultur waren die Kontakte mit anderen Mitgliedern der deutschen Kolonialgesellschaft zwar häufig, die Beziehungen aber von Spannungen gezeichnet. Von einer besonders ausgeprägten nationalen Einheit in Neuguinea oder im Pazifik kann keine Rede sein. Andrerseits wurde der grosse Abstand zur indigenen Bevölkerung in den Kontakten nur wenig abgebaut. Weil die Tagebücher der Ehefrauen und Mütter immer auch das Familienleben und das Leben der Kinder erkennen lassen, ist bemerkenswert, dass die Kinder im Umgang mit indigenen Kindern die Gegensätze abbauten – insbesondere im spontanen Erlernen der lokalen Sprache und die Mütter ihnen ein Stück weit folgten. Es lässt sich eine «hybride Einstellung» der Missionarsfrauen erkennen, denn sie nehmen das interkulturelle Aufwachsen ihrer Kinder bei einer Persistenz der eigenen kulturellen Distanz hin. In einem Fall war diese Kindheit so prägend, dass ein Missionskind nach seiner Rückkehr in Deutschland noch Jahre lang die «braunen Leute» vermisste.
Hanni Diehl mit Bogadjimer Spielgefährten in traditionellem Kleid vor dem Missionshaus in Bogadjim (ca. 1912). 
Im letzten Teil des Hauptteils werden die Lebensweltbeschreibung und Identitätsbildung der britischen und deutschen Missionsfrauen verglichen. Der unterschiedliche familiäre Status der Frauen sowie die differente Funktion der Tagebücher sind die Hauptgründe für Kontraste. Wenn in diesen die deutschen Ehefrauen eher als leidende, die englischen Schwestern als heroische Frauen erkennbar sind, dann resultiert das auch am Adressatenkreis der englischen Tagebücher. Im Dienste der Mission gewann die Identitätskonstruktion der methodistischen Missionsschwestern Züge, die zu Figuren der «humanitären Helferinnen avant la lettre, deren Nationalität zweitrangig» war pointiert werden. Die deutschen Frauen waren ihnen gegenüber gewissermassen konservativer, erscheinen in der Selbstbeschreibung als leidende Frauen dennoch auch als «starke Persönlichkeiten».
Loses Foto aus dem Album von Minnie Mabel Billing MOM 159, Bilderklärung auf Rückseite: «With love and best wishes for a happy Christmas & New Year. E. J. W. [Eleanor J. Walker] Dobu, 1899.» Es handelt sich um Schwester Eleanor auf dem Bild, das sie wohl ihren Bekannten nach Hause geschickt hat. Es zeigt sie in einem Haus, in dem die Schwestern lebten, wenn sie die Dörfer besuchten und nicht heimkehrten. Diese Fotografie ist ausserdem die einzige, auf der eine der Frauen schreibend abgebildet wurde.
Abstract
This study in anthropological History examines the lives of three British religious sisters, and compares their experiences with those of three German missionary wives. The women worked as missionaries, or as missionary wives, in British and German New Guinea during the period 1892-1913. Using their diaries as a basic source, a comparative investigation into how these women constructed aspects of their identity on this edge of the European world is undertaken. The thesis places gender, nation, and race at its centre and provides a close, detailed examination of the daily lives of these women. As such, it makes an important contribution to women’s history as it focuses on ‘forgotten’ women rather than on the men who have traditionally dominated mission history. It also makes important statements about various aspects of the colonial encounter with indigenous peoples.
The first part of the thesis deals with the methodological implications of using ego-documents; and points out how they allow historians to evaluate personal thoughts, emotions and anxieties that are generally absent from official correspondence. The next section briefly introduces the reader to the topics of colonial and mission history. It then provides a short biography on every one of the six women before turning to the ways in which the «British» Methodists (two Australians and an Englishwoman) described their daily lives in their diaries and letter books. This provides detailed evidence on how they faced both a climate made difficult by high temperatures and tropical storms, and an environment marked by earthquakes and fevers. Through their reading habits, social networks, and their work in the church and home, these women constructed an idea of themselves as «Awakened women». They also made symbolic statements about belonging through anything from food to furniture. This was also a world in which petty jealousies played a not inconsiderable part; but it was subsumed by a new and flexible identity of «Britons-in-New Guinea».
The German women used similar tools, symbols, and practices to construct their identity. But they were essentially the wives of their missionary husbands and their profession was that of wife and mother. They were particularly subjected to the «patriarchal power structure of the mission». While the «British» women experienced a certain gendered emancipation in New Guinea, it is a «colonial fiction» to apply this idea to the German women/wives. This section also contains insights into the relationship (or lack of relationship) between the missionary women and indigenous society. The ways in which the German mothers raised their children in the tropics is particularly interesting, in terms of their hybrid attitudes towards their children’s speaking the indigenous language, growing up in the local community and culture, while the mothers distanced and constructed themselves as Germans who did everything against assimilating towards local practices.
Johanna und Wilhelm Diehl im Garten ihres Missionshauses in Bogadjim (ca. 1907) aus: (Knopp, Guido: Der Traum von der Südsee. In: Ders.: Das Weltreich der Deutschen, S. 162).
In the comparison section the difficulties experienced by the German women in the narrow, patriarchal environment of the mission station, especially as they were all of higher social class than their husbands are described. With their strongly German identities, expressed through their cultural practices and values, the women had great difficulty on their return to a «home» that was no longer fully their «Heimat». Yet an imagined home sustained them during the long years they spent in the tropics. The situation of Justine Vetter was particularly difficult on her return to Germany as a widow with three children. (I am currently working on the edition of this diary which will be published by Harrassowitz (Reihe: Quellen und Forschungen zur Südsee) in 2012.) The «British» sisters had a better knowledge of native languages and, were more humanitarian in their approach to indigenous society. In general, as single and strong women, they were able to focus more on their work than were the German women. Fortified by a strict code of values, the «British» women missionaries were able to identify more actively with their adopted homeland. Conscious and unconscious aspects of the ways in which these women expressed their sense of self and other are analyzed. As a whole, this thesis particularly stresses the transnational value of mission history.
Dieser Link führt zur Überblicksseite der überarbeiteten und bald publizierten Masterarbeit beim Verlag Dr. Kovac.
Advisors:Mooser, Josef
Faculties and Departments:04 Faculty of Humanities and Social Sciences > Departement Geschichte > Ehemalige Einheiten Geschichte > Neuere Allgemeine Geschichte (Mooser)
UniBasel Contributors:Mooser, Josef
Item Type:Thesis
Thesis Subtype:Master Thesis
Thesis no:UNSPECIFIED
Thesis status:Complete
Last Modified:05 Apr 2018 17:37
Deposited On:06 Feb 2018 11:25

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