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Die Geschichte von Radio X. Ein medienhistorischer Vergleich der beiden Gründungswellen von Lokalradios in den 80er und 90er Jahren in der Deutschschweiz unter besonderer Berücksichtigung von Radio X

Bachmann, Benedikt. Die Geschichte von Radio X. Ein medienhistorischer Vergleich der beiden Gründungswellen von Lokalradios in den 80er und 90er Jahren in der Deutschschweiz unter besonderer Berücksichtigung von Radio X. 2009, Master Thesis, University of Basel, Faculty of Humanities and Social Sciences.

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Abstract

Mehr als 10 Jahre ist es her, seit Radio X zu senden begonnen hat. Diese Geschichte soll in der folgenden Arbeit nachgezeichnet werden. Dabei geht es nicht nur um die Geschichte von Radio X. Denn erst 1983 haben in der Schweiz private Sender begonnen legal zu senden. Im Vorfeld der Gründungen dieser Lokalradio-Sender gab es hitzige Debatten. Es gab Ängste, Hoffnungen, Druck von aussen aber auch die technische Entwicklung hat dazu beigetragen, dass der Druck auf den Bund gestiegen ist, Lokalradios zuzulassen. Doch was sind die Gründe, die das Bedürfnis nach neuen Lokalradios aufkommen liessen? Ist es die lokale Nähe, um einen direkten politischen Diskurs zu führen? Oder wünscht das Publikum vor allem musikalische Unterhaltung, garniert mit lokalen Infos? Wie sollen sich diese neuen Radios finanzieren? Was für Finanzierungsmodelle können sich in der Praxis bewähren? Wie viel soll die Politik mitreden? Oder soll etwa der freie Markt bestimmen, wie die neuen Lokalradios tönen sollen? Steigt mit den neuen Lokalradios die Medienvielfalt? Wer darf diese neuen Medien besitzen?
Wenn man die Geschichte aus heutiger Perspektive betrachtet, so gibt es einen grossen Bruch: Bis zur Formulierung der Rundfunk-Versuchsordnung herrschte das Ideal des politischen Dialogs, des Bürgerradios und des nicht oder höchstens schwach kommerziellen Radios. Als es dann aber um die konkrete Zulassung von Radiostationen ging, waren unter den bewilligten lediglich fünf nicht kommerzielle, und nur eines – Radio Lora von Zürich – hat von diesen bis heute überlebt. Die Realität hat gezeigt, dass es für nicht kommerzielle Radios enorm schwierig ist, zu überleben. Auch für kommerzielle Radios war es nicht einfach. Denn von Anfang an waren nur wenige erfolgreich. Erschwerend kam hinzu, dass in der Rundfunk-Versuchsordnung nur sehr beschränkt Werbung zulässig war und die Gebiete sehr kleinräumig waren.
Ich vergleiche die Situation der Radios Anfang der 80er Jahre mit der Situation Mitte der 90er Jahre. Was hat sich verändert? Welche Ängste waren immer noch vorhanden? Die Geschichte von Radio X zeigt, dass es immer noch Ängste gab, auch wenn man eigentlich schon über 10 Jahre Erfahrung mit Lokalradios hatte. Die Geschichte zeigt aber auch, dass die Rundfunk-Versuchsordnung nicht nur widersprüchlich war, sondern immer wieder angepasst werden musste, um das Überleben vieler Radios nicht zu gefährden.
Die Geschichte von Radio X beginnt dort, wo das Bundesamt für Kommunikation feststellt, dass es in Basel Platz für ein drittes Lokalradio hätte; für eines das nicht oder nur schwach kommerziell sein durfte. Sie zeigt den anfänglich grossen Widerstand der bestehenden Lokalradios und der beiden Basler Regierungen auf. Erst im Jahre 1995 begann der Widerstand gegen ein drittes Radio in Basel zu bröckeln. Doch bis zum Sendebeginn sollten nochmals drei Jahre mit Einsprachen und Beschwerden vergehen. Im Weiteren geht es um den Start von Radio X im Kirschgarten, den Umzug ins heutige Studio an der Spitalstrasse, die Konzessionsänderung und die Entwicklung bis in die Gegenwart. Wie hat sich das Programm verändert? Und wie sieht das Programm von heute im Vergleich zu den ursprünglichen Programmideen aus? Was bedeutet Integration im Radio?
1. Gründungswelle
Wenn man die beiden Gründungswellen von Radios in den 80er und 90er Jahren vergleicht, so stellt man Unterschiede und Parallelen fest. Bei der ersten Gründungswelle von neuen Radios herrschte folgende Ausgangslage: Die SRG hatte ein Monopol. Es gab in der Schweiz bis anhin kein kommerzielles Radio. Zudem fehlte der SRG ein drittes Programm. Das Publikum hatte also wenig Auswahl an Schweizer Sendern. Da in der Deutschschweiz SWF 1 und 3 sehr verbreitet waren, waren diese Sender auch attraktiv für Werbegelder. Auch die technische Entwicklung von UKW, Kabel und Studiotechnik machte das Radio-Machen einfacher. Zudem hatte Roger Schawinski mit seinem Radio 24 der Schweiz gezeigt, wie man erfolgreich Radio machen kann. Sein Radio war von Anfang an finanziell erfolgreich. Und es wurde gehört. Somit kam die Politik unter Druck endlich etwas zu tun. Da aber viele die Kommerzialisierung des Rundfunks fürchteten wurde eine Rundfunk-Versuchsordnung geboren, die sehr restriktiv und in sich teilweise auch widersprüchlich war. Es wurden an 36 Radiostationen Versuchskonzessionen erteilt. Viele dieser Radiostationen fingen am 1. November 1983 an zu senden und läuteten eine neue Ära des Radios ein. Viele dieser Lokalradios hatten anfangs grosse Schwierigkeiten, denn die Werbeeinnahmen florierten nicht wie erhofft. Die Politik reagierte darauf mit der Lockerung der Werbevorschriften.
Die Radiostationen trimmten ihre Programme zunehmend auf mehr Durchhörbarkeit, um die Einschaltquoten zu erhöhen. Neben den kommerziellen Radios gab es auch nicht kommerzielle: Radio Förderband aus Bern versuchte ein Kulturprogramm mit vielen politischen und kulturellen Sendungen, sowie Musik und Fremdsprachen zu produzieren. Doch das Konzept ging nicht auf. Ein alternatives Programm zu senden und dieses mit Werbung zu finanzieren funktionierte offenbar nicht. Somit wurde Radio Förderband auf Radio BE 1 umbenannt und mit einem völlig neuen Sendekonzept versehen. Als einziges alternatives Radio, das bis heute überlebte, wurde Radio Lora in Zürich gegründet. Dieses finanzierte sich hauptsächlich über Mitgliederbeiträge.
Die Sendungen werden von Freiwilligen in Fronarbeit geleistet. In der Region Basel gingen Radio Basilisk und Radio Raurach auf Sendung. Beides waren werbefinanzierte Radiostationen. Beide wollten vor allem Lokalmedium sein, wobei Raurach anfangs mehr Spezialsendungen hatte. Radio Basilisk hatte mit Christian Heeb einen erfahrenen Radio Journalisten, der das Erfolgsrezept von Radio 24 mitbrachte und für Basel anpasste. Somit war Basilisk von Anfang an in der Bevölkerung beliebt, was zu entsprechend hohen Einschaltquoten führte und somit auch zu guten Werbeerträgen. Im Unterschied zu Basilisk hatte Radio Raurach lange finanzielle Schwierigkeiten. Das Sendegebiet war viel heterogener als bei Radio Basilisk. Das Konzept wurde mehrere Male angepasst. Bald war es ähnlich auf Durchhörbarkeit getrimmt wie Radio Basilisk. Dies führte dazu, dass es zwar zwei Basler Radios gab, die aber beide sehr ähnliche Konzepte verfolgten. Bis Anfang der 90er Jahre hatten sich die meisten Stationen etabliert. Es gab zwar ein paar Änderungen, doch im Wesentlichen hat sich die Radiolandschaft die 1983 mit der RVO geschaffen wurde, erhalten. SRG und private Radiostationen lebten nebeneinander. Es herrschte zwischen öffentlichen und privaten Stationen freier Wettbewerb. Weil viele Privatradios ihre Programme auf Durchhörbarkeit getrimmt hatten, tönten sie alle ähnlich. Es wurde Kritik laut, dass dies keine Medienvielfalt mehr sei. Wie stark Hörerinnen und Hörer diese Durchhörbarkeit wünschen, ist schwierig zu sagen, aber es scheint so, dass das Publikum oft eine höhere Toleranzgrenze bezüglich Musik hat, als der Redaktor dem Publikum zutraut.
2. Gründungswelle
Dieser Zustand war für viele nicht befriedigend und sie suchten nach Alternativen. In verschiedenen Schweizer Städten bildeten sich Gruppierungen, die Konzepte für alternative, nicht kommerzielle Radios entwickelten. In den Städten Bern und Luzern beispielsweise gab es keine Probleme, eine Konzession zu erhalten. Anders war es in Basel. Als das Bundesamt für Kommunikation den Vorschlag für ein drittes, nicht oder schwach kommerzielles Radio in Basel in die Vernehmlassung schickte, wehrten sich die Basler Radios Raurach und Basilisk mit Händen und Füssen: Sie fürchteten um ihr Überleben. Die Regierungen schlossen sich dieser Meinung an. Dies ist in Anbetracht der Basler Medienvielfalt sehr überraschend. Wäre doch ein drittes komplementäres Radio zu den beiden ähnlich tönenden auf Durchhörbarkeit getrimmten Programmen Basilisk und Raurach und zum Monopolblatt der Basler Zeitung willkommen gewesen.
Das alternative Radio Projekt Radio X, das ein Konzept für ein schwach kommerzielles Radio ausarbeitete, befürwortete eine dritte Konzession. Wegen des starken regionalen Widerstandes schrieb der Bundesrat dann aber nur zwei Konzessionen für Basel aus. Radio X bewarb sich vergeblich für eine der beiden Konzessionen. Radio X legte Beschwerde ein für eine dritte Konzession für Basel und bekam Recht. Durch weitere Beschwerden verzögerte sich der Sendestart bis ins Jahr 1998. In diesem Jahr bekam Radio X als schwach kommerzieller Sender eine Konzession.
Als Radio X zu senden begann, machte es von Anfang an täglich einen Kulturtipp und einen Veranstaltungskalender, über das, was in der Region los war. Bald darauf wurden lokale Informationssendungen eingeführt. Musikspecials, Fremdsprachensendungen und Kindersendungen erweiterten das Programm laufend. Nach anderthalb Jahren kam jener Partner, der die Räumlichkeiten zur Verfügung stellte in finanzielle Schwierigkeiten und Radio X musste umziehen. Durch die Verweigerung von Gebührengeldern, die bis ins Jahre 1999 ausbezahlt wurden, kam Radio X in erhebliche finanzielle Schwierigkeiten. Radio X machte Beschwerde und gewann; somit bekam Radio X im Jahre 2002 rückwirkend für das Jahr 2000 Gelder vom Gebührensplitting zugesprochen. Auf das Jahr 2003 hin änderte Radio X seine Konzession von schwach kommerziell auf werbefrei. Einzig Sponsoring und Medienpartnerschaften durfte Radio X weiterhin eingehen. So kam Radio X zu mehr Gebührengelder und löste den Konflikt zwischen Gebühren- und Werbefinanzierung. Arbeiteten anfangs sechs bezahlte Mitarbeiter für Radio X, so waren es im Jahre 2002 nur noch deren zwei. Doch bei Radio X arbeiteten von Anfang an immer Freiwillige mit. Geschäftsleitung, Technik und Musikredaktion wurden von Festangestellten erledigt; die Specials wurden von Freiwilligen bestritten. Bei den Specials gab es immer wieder Wechsel. Zum Teil sind diese Sendungen ziemlich abhängig von ihren Machern. Im Jahre 2007 musste sich Radio X wieder um eine Konzession bewerben. Diesmal war die Konzessionierung von Radio X unbestritten und 2008 bekam Radio X die Konzession für weitere 10 Jahre.
Fazit
Während bei der Gründung der ersten Lokalradios in der Schweiz die SRG ein Monopol besass, so gab es Anfang der 90er Jahre neben der SRG auch eine Vielzahl von (meist kommerziellen) Lokalradios. Diese Lokalradios waren beliebt und in ihrer Region verankert, boten aber kaum Kontraste. Als dieses Bedürfnis nach komplementären Programmen wuchs, gab es – abgesehen von Basel – keinen Widerstand. Diese komplementären nicht oder nur schwach kommerziellen Programme konkurrenzierten weder die SRG Programme, noch die bestehenden Lokalradios. Sie wollten durch ihr Konzept ein anderes Publikum ansprechen. Auch dürfen die komplementären Programme gemäss RTVG die anderen Sender nicht konkurrenzieren.
Im Unterschied zu den 80er Jahren mussten die komplementären Programme eine andere Finanzierung finden. Da Kulturradios nicht auf Einschaltquoten ausgerichtet sind, lässt sich für solche Stationen Werbezeit schlecht verkaufen. Im neuen Radio- und Fernsehgesetz von 1992 waren für diese Stationen kleine Mengen von Gebührengeldern vorgesehen. Wenn man die Radiolandschaft heute betrachtet, so gibt es folgende drei Kategorien von Radios- die SRG als privatrechtlich organisiertes aber durch öffentliche Gelder finanziertes Radio- die kommerziellen Privatradios, die sich durch Werbung finanzieren- die komplementären oder freien Radios, die sich durch Mitgliederbeiträge, Sponsoring, Gebührensplitting und Freiwilligenarbeit finanzieren.
In der Anfangszeit der neuen Lokalradios waren die zweite und dritte Kategorie noch nicht so deutlich unterscheidbar: Zum einen, weil die werbefinanzierten Programme weniger stark auf Durchhörbarkeit achteten, zum andern, weil sich nur Lora als überlebensfähig erwiesen hat. Wenn die Frage nach dem Warum für ein immer ausdifferenzierteres Radioprogramm gestellt wird, so scheint dies auch ein Spiegel der Gesellschaft zu sein: Es gibt immer kleinere spezifischere soziale Gruppierungen.
Für mich bringt diese Arbeit auch ein paar wichtige Erkenntnisse: - es gibt einen grossen Bruch zwischen der ausformulierten Rundfunk-Versuchsordnung und der tatsächlichen Bewilligungspraxis, die für die nachfolgende Zeit grosse Bedeutung hatte.- dass niemand vorausgesehen hat, dass es schwierig bis unmöglich ist, ein nicht kommerzielles Programm durch Werbung zu finanzieren- dass das Überleben von werbefreien Sendern möglich ist, aber dass es dazu andere Konzepte braucht- wenn es darum geht, Neues einzuführen oder auszuprobieren, so gibt es meist grosse Ängste, die sich meist nur teilweise bestätigen lassen- wenn es auch nach 10 Jahren Erfahrung mit lokalen Radios immer noch Widerstand gegen ein neues Projekt gibt, - dass man das Gefühl hat, dass die schweizerische Medienpolitik etwas typisch schweizerisches hat: Pragmatische Kompromisse zu finden, um es allen einigermassen recht zu machen.
Advisors:Kreis, Georg
Faculties and Departments:04 Faculty of Humanities and Social Sciences > Departement Geschichte > Ehemalige Einheiten Geschichte > Neuere allgemeine Geschichte (Kreis)
UniBasel Contributors:Kreis, Georg
Item Type:Thesis
Thesis Subtype:Master Thesis
Thesis no:UNSPECIFIED
Thesis status:Complete
Last Modified:05 Apr 2018 17:36
Deposited On:06 Feb 2018 11:23

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