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Wasser und Sicherheit. Die strategische Bedeutung des Golan für Israel

Altermatt, Eliane. Wasser und Sicherheit. Die strategische Bedeutung des Golan für Israel. 2005, Master Thesis, University of Basel, Faculty of Humanities and Social Sciences.

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Abstract

Wasser ist nicht nur das kühle Nass, das viele in unseren Breitengraden während des Urlaubes geniessen, das stets frisch aus dem Wasserhahn sprudelt und uns immer zur Verfügung steht, das regelmässig vom Himmel tropft, in unseren zahlreichen Bächen und Flüssen fliesst und die Seen speist. Wasser ist auch ein „objet politique“, ein Gut, das in vielen Regionen knapp ist und knapper wird. Die Logik will es, dass ein knappes Gut begehrt ist. Dennoch scheint es dem Menschen nicht möglich, diese Ressource so zu handhaben, dass Mensch und Umwelt für ihre Entwicklung genug davon zur Verfügung steht. Wo in dem einen Staat genug Wasser vorhanden ist, muss ein anderer kämpfen, damit Land und Wirtschaft überleben können. Wasser, so wurde deshalb vielfach im Stile eines Orakels in Aussicht gestellt, würde der Grund für zukünftige Kriege werden, da es der Menschheit in immer geringerem Masse zur Verfügung stehen werde. Der zunehmende Bevölkerungsdruck, die Versalzung des Wassers, die Klimaänderungen sind nur einige der Faktoren, die zu einer erhöhten Wasserentnahme für Bewässerung und Industrie führen. Gerade in wasserarmen, ariden Gebieten ist bereits jetzt spürbar, dass Wasser in Zukunft das Überleben bestimmen wird.
Wasser spielt in der Geschichte des israelisch-arabischen Konfliktes eine nicht unwichtige Rolle. Die Länder der Region leiden, mit Ausnahme Libanons vielleicht, unter Wassermangel. Entsprechend gross ist das Verlangen der einzelnen Länder, die vorhandenen Ressourcen für sich zu nutzen. Besonders augenscheinlich wird dieses Ringen um Wasser im jahrzehnte alten Konflikt um die Golan-Höhen, den Gebirgszug zwischen Israel und Syrien. Die Wurzeln des israelisch-arabischen Konfliktes und ebenso die Auseinandersetzungen um das – so die israelische Sprechweise – „umstrittene Gebiet“ des Golan, liegt, wie bei so vielen zeitgenössischen Konflikten, bei einer europäisch geprägten Vergangenheit. Die Nationalstaaten in der Region sind allesamt sehr jung, gezeichnet von einer kolonialen Einflussnahme. Das frühere Palästina, Libanon, Syrien und Jordanien sind zu einem grossen Teil Produkte der Kolonialmächte Grossbritannien und Frankreich, die den Nahen Osten nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches vor allem nach ihrem ökonomischen Gutdünken in Mandatsgebiete aufgeteilt hatten. Dies wurde zu einer historischen Bürde für die Nachwelt und vor allem für das später entstandene Israel und seine Nachbarstaaten, wie sich zeigen sollte.
Israel ist ein Land, das auf der Skala der wasserarmen Länder weit oben steht. Seit seiner Gründung 1948 ist das Land besorgt, die Bewässerung seiner extensiven Landwirtschaft sicher zu stellen und die wachsende Bevölkerung mit Wasser zu versorgen. Quellen auf israelischem Boden sind allerdings selten – das Land ist abhängig von dem Wasser, welches aus den Nachbarstaaten nach Israel fliesst. Mit seinen Nachbarstaaten aber hatte Israel seit seiner Gründung mehrmals Krieg geführt. Mit der Entstehung Israels war die Welt des Nahen Ostens keine rein arabische mehr, der jüdische Staat war eine Tatsache geworden, die aber nicht hingenommen werden wollte. Die arabischen Nachbarn führten Krieg gegen Israel, Israel führte Krieg gegen die arabischen Nachbarn – es ging um das Existenzrecht Israels, um die Sicherung des Fortbestehens des kleinen Staates. Israel hatte von Beginn weg an seiner Verteidigung zu arbeiten, ein Projekt, das es sehr erfolgreich verfolgte.
1967 folgte dann der verteidigungsstrategische grosse Coup, die Eroberung der wasserreichen Golan-Höhen, die aber nicht nur deswegen für Israel vital sind. Sie überblicken sowohl Nordisrael als auch die Landflächen im Osten, Syrien, Jordanien und Teile des Irak. Damit war Israel im Besitz einer optimalen Angriffs- und Beobachtungsposition auf die umliegenden Länder. Zudem war Israel aber auch in den Besitz der Quellflüsse des Jordan gelangt, und hier nun liegt das Interesse an der dieser Arbeit zugrunde liegenden ursprünglichen Thematik Wasser: Wie gehen Israel und Syrien – beides Länder in einer sehr trockenen, wasserarmen Region – damit um, dass der eine hat, was dem anderen gehört? Völkerrechtlich gehören die Höhen zu Syrien, das hat eine UN-Resolution deutlich gemacht – weshalb also ist der Golan seit 37 Jahren in den Händen Israels? Geht es denn etwa um mehr als um Wasser? Ja. Es geht um weit mehr als um Wasser. Es geht um die Sicherheit Israels, militärisch wie hydrologisch, es geht um Ideologie und auch noch ein wenig um Religion. So habe ich Interesse gefunden an der spannenden Frage nach der Bedeutung des Golan für Israel. Der Golan, wegen seiner verschiedenen geographischen Vorteilen sowohl von Israel als auch von Syrien ebenso begehrtes wie umkämpftes Landstück, hat seit 1967 mehrfach zu kriegerischen Auseinandersetzungen, aber auch zu bilateralen und nationalen Verhandlungen Anlass gegeben. Dennoch ist es bereits etwas mehr als 30 Jahre ist es her, seit auf dem Golan 1974 das letzte Mal gekämpft wurde. Zwar befinden sich Syrien und Israel noch immer in einem offiziellen Kriegszustand, die umkämpfte Linie jedoch, die von Israel nach Syrien hinein verschobene Grenze, ist seither nie mehr Kampfzone geworden. Beide Armeen beobachten sich über die Köpfe der von den Vereinten Nationen entsandten Truppen hinweg friedlich. Ein echter Frieden aber ist in all den Jahren nicht entstanden, der Wille, das einst verlorene Land zurück zu gewinnen, ist in Syrien ebenso vorhanden wie der Wille in Israel, den Golan nicht herzugeben. Sei es aus Angst, durch eine Rückgabe einem Gegner leichteren Zugriff auf israelischen Boden zu gewähren oder aus der Befürchtung heraus, Israel könnte gar das Wasser abgegraben werden. Die Golan-Höhen bilden eine Grenze, die zweierlei Begehren und strategische Vorgehensweisen weckt: Für Israel ist es eine Grenze, die es zu verteidigen, für Syrien eine, die es zurück zu erobern gilt.
Allen nationalen israelischen Interessen und Befürchtungen zum Trotz: Die Beibehaltung des Status quo ist widerrechtlich und sollte von der Völkergemeinschaft nicht akzeptiert werden. Sie kann sich auf Resolutionen berufen, die zweifelsohne deutlich machen, welcher Nation das Recht auf die Golan-Höhen zusteht. Diesem Recht sollte Geltung verschafft werden, auch gegen eine israelische Argumentation, lieber einen Krieg mitsamt Golan einzugehen, als einen Frieden ohne den Golan zu erleben.
Zu einem eigentlichen Krieg um den Golan ist es bisher nicht gekommen, wohl aber zu Gefechten im umstrittenen Grenzgebiet, die bereits mit der Entstehung des Staates Israel ihren Anfang nahmen, sich über Jahre hinzogen und schliesslich in den Sechs-Tage-Krieg 1967 mündeten. Der Ausgang dieses Krieges mischte die Karten zwischen Israel und Syrien neu – mit klarem Vorteil für Israel. Israel hatte, mit starken Verbündeten im Rücken, die militärische Aufrüstung garantierten, durch die Einnahme und Annexion des Golan-Massives 1981 ein Faktum geschaffen, das seither Bestand hat. Die Einrichtungen, die Israel in der Folge auf dem Golan errichtete, hatten nur ein Ziel: die Absicherung des eigenen Territoriums, vor allem des nördlichen Israels, und das visuelle Eindringen in die Nachbarländer, allen voran Syrien. Syrien als der nordöstliche Nachbar Israels stellte für Israel seit jeher eine Bedrohung dar, galten doch die Absichten des syrischen Präsidenten Hafiz al-Asad, seinen Einfluss im Nahen Osten zu erweitern, auch als gegen die Existenz Israels gerichtet. Mit Hilfe von Überwachungsanlagen auf den Golan-Höhen gelang und gelingt es Israel seither, Bewegungen von Truppen in den Nachbarländern auszumachen oder mittels Abhörmethoden Absichten und Strategien der Nachbarn zu erlauschen. Für Israel stellen der Berg Hermon und die übrigen Erhöhungen des Golan somit wichtige Standorte für die Überwachung vor allem Syriens dar. Ein weiterer Vorteil brachte die Besetzung in Bezug auf die israelische Wasserversorgung: Auf dem Golan entspringen die wichtigsten Quellflüsse des Jordan, der Israels Frischwasser in den Tiberiassee fliessen lässt, der Israels grösstes und wichtigstes überirdisches Wasserreservoir darstellt. Mit der Einnahme des Golan erhielt Israel auch die Kontrolle über zusätzliche Wasserressourcen, die dem Staat und einer rasch anwachsenden Bevölkerung eine für den heutigen Lebensstandard ausreichende Wasserversorgung sichert. In einer so trockenen und wasserarmen Region, wie sie der Nahe Osten in weiten Teilen darstellt, ist es unabdingbar, dass genügend Wasser für Land und Wirtschaft zur Verfügung steht – Israel nutzt denn dieses ihm zufliessende Wasser in grossem Stile, bisweilen und immer häufiger wird es gar übernutzt.
Seit 37 Jahren hält Israel den Golan und andere ehemals arabische Territorien nun besetzt. Der Blick auf die Landkarte zeigt, dass sich bis auf die Rückgabe der Sinai-Halbinsel an Ägypten an der Situation in all den Jahren nichts geändert hat, wohl aber die Wahrnehmung des Zustandes bei vielen Israeli. In Israel ist in den letzten Jahrzehnten vermehrt die Frage aufgekommen, ob das Land an den Golan-Höhen festhalten muss, um sich sein Überleben zu sichern, ob es ohne den Golan den Nachbarn schutzlos ausgeliefert wäre und ohne die Kontrolle über das Wasser vom Goodwill Syriens abhängig sein würde? Die Ansichten diesbezüglich klaffen weit auseinander. Die einen befürworten eine Rückgabe: Ihrer Überzeugung nach könnte mit dem Nachbarn Syrien, vor allem da nun der gemässigte junge Bashar al-Asad an der Spitze des Staates steht, eine friedliche Regelung gefunden werden – und ohne den Golan würde auch die Sicherheit für Israel ansteigen. Es hat sich mehr und mehr gezeigt, dass der Golan keine Sicherheitsgarantie für die Ewigkeit darstellt, dass der militärische Schutz der israelischen Grenzen nicht von einer Besetzung des Golan abhängig ist. Die anderen hingegen wollen von einem Frieden mit Syrien nichts wissen. Zu gross ist das Misstrauen in den Verhandlungspartner, zu gering das Vertrauen in die neuen Technologien zur Überwachung. Die Gegner einer Rückgabe beharren auf der jetzigen Situation, denn nur sie könne der steten Bedrohung durch die Nachbarn Gegenwehr bieten. Ein Mittelweg der partiellen Rückgabe kann keine Lösung sein. Syrien beharrt auf der vollständigen Rückgabe seines Territoriums, ist aber bereit, Israel die Möglichkeit zur Überwachung zu gewähren.
Nach vielen Jahren der bilateralen Funkstille zwischen Syrien und Israel, mit Ausnahme regelmässiger Gespräche über die Wasserverteilung, rafften sich beide Parteien zu Beginn des letzten Jahrzehnts des 20. Jahrhunderts zu offiziellen Gesprächen unter Vermittlung der internationalen Gemeinschaft auf, zu einem Versuch, in Zukunft in Frieden miteinander zu leben. Man kam sich in all den Fragen, die einem Abschluss dieses langwierigen Konfliktes noch im Wege stehen, in den neunziger Jahren sehr nahe. Dennoch ist es auf weiten Strecken bei diesem Versuch geblieben, wie uns die heutige Realität aufzeigt. Immer wieder gab es Rückschläge, wenn man gerade das Licht am Ende des Tunnels schwach schimmern zu sehen glaubte. Es überwog wieder das alte Misstrauen, oder es führte ein Parteienwechsel an der Spitze des israelischen Staates zu einem Ende der Verhandlungen. Beide Staaten beäugen sich argwöhnisch und streben danach, dem „Gegner“ so viele Trümpfe wie möglich aus der Hand zu nehmen, seien diese nun wirtschaftlicher, militärischer oder hydrologischer Natur.
Unter der Regierung Rabin hat sich erstmals eine Lücke in dem bewölkten Friedenshimmel aufgetan. Ein Abkommen schien möglich. Mit der Regierungsübernahme durch Netanyahu verdunkelte sich der Himmel aber wieder. 1995 schrieb Lesch in ihrem Artikel, man könne über den Ausgang der israelisch-syrischen Verhandlungen nur hypothetisieren. Auch neun Jahre später ist der Ausgang der Verhandlungen – sollte es denn endlich ein Ende geben – ungewiss.
Israels Zögern, Syrien in der Landfrage Konzessionen zu machen und die Weigerung, Abmachungen früherer Regierungen anzuerkennen, entstammt nicht einfach einer „Je nach Lust und Laune“ - Politik Israels, sondern hat eine seiner Ursachen in den Bedenken des Landes, durch eine konsequente Verfolgung eines Friedensprozesses eine Schwächung des jetzigen Ausmasses der Kontrolle über seine Wasserzuflüsse hinnehmen zu müssen. Die Menge an Wasser, die Israel nach einem Friedensprozess zur Verfügung haben wird, wird kleiner sein als heute. Für Israel mit seinem hohen Bevölkerungszuwachs könnte das eine eingeschränkte Wasserzukunft bedeuten. Wasser ist mit Bestimmtheit eine der treibenden Kräfte hinter der Weigerung Israels zur Rückgabe des Golan. Ohne die Abhängigkeit Israels vom „blauen Gold“ könnte die Zukunft des Golan durchaus syrisch sein.
Die eingeschlagene politische Richtung der letzten rund ein Dutzend Jahre weist dennoch darauf hin, dass man sich in Israel auf eine „Nach-Golan-Zeit“ einzustellen bereit ist. In welchem Zeitraum aber diese Wende eintreten kann, steht noch in den Sternen. Vorderhand sieht sich Israel an anderer Stelle gefordert, der Kampf der Palästinenser für einen Staat auf ihrem von Israel besetzten Land lässt Israel wohl kaum Raum für Verhandlungen an anderen „Fronten“, weder innen- noch aussenpolitisch. Es ist aber nicht neu oder ungewöhnlich, dass Israel mehreren Ansprüchen gegenübersteht – und dies kann für die israelische Regierung kein Grund für Nichtverhandlungen sein.
Es bleibt abzuwarten, wie sich die Lage im Nahen Osten in der Zukunft präsentieren wird. Die regionalpolitischen Interessen, die Ausdehnung der Machtsphäre im nahöstlichen Raum, die sowohl Israel als auch Syrien verfolgen, werden das Verhalten der beiden Länder gerade im Konflikt um den Golan massgeblich beeinflussen. Ebenso einem Frieden im Wege sind die Stereotypisierungen des Gegners, welche beide Länder vornehmen. Das Überwinden einer unbeweglichen und eingleisigen Denkweise kann ein erster Schritt sein, um diesen lange schwelenden Konflikt im Nahen Osten zu lösen, ehe auch dieser sich zu einem Brand entfachen kann.
Advisors:Kreis, Georg
Faculties and Departments:04 Faculty of Humanities and Social Sciences > Departement Geschichte > Ehemalige Einheiten Geschichte > Neuere allgemeine Geschichte (Kreis)
UniBasel Contributors:Kreis, Georg
Item Type:Thesis
Thesis Subtype:Master Thesis
Thesis no:UNSPECIFIED
Thesis status:Complete
Last Modified:05 Apr 2018 17:36
Deposited On:06 Feb 2018 11:22

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