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Selektion und Qualifikation von non-professionellen Helfern für die psychologische Nothilfe

Hersberger, Johanna. Selektion und Qualifikation von non-professionellen Helfern für die psychologische Nothilfe. 2006, Doctoral Thesis, University of Basel, Faculty of Psychology.

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Official URL: http://edoc.unibas.ch/diss/DissB_7908

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Abstract

Mit der Vereinbarung einer Zusammenarbeit zwischen dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz
(BABS) und der Föderation der Schweizer Psychologinnen und Psychologen
(FSP) vom Oktober 2000 wurden die Grundlagen für die gemeinsame Ausbildung
von non-professionellen Helfern in psychologischer Nothilfe gelegt. Ausgehend
von einer heterogenen Ausbildungslandschaft und uneinheitlichen Einsatzgepflogenheiten
hatte die Kooperation BABS/FSP den Anspruch, nicht nur eine den
wissenschaftlichen Erkenntnissen und den internationalen Richtlinien der Notfallpsychologie
angepasste Ausbildung aufzubauen, sondern daraus auch Selektions- und
Qualifikationskriterien für die Auswahl und Schulung für non-professionelle Helfer
ableiten zu können.
Verschiedene Ausbildungsanbieter (Mitchell & Everly, 1998; Brauchle, 2000) haben
schon seit längerem die Notwendigkeit einer Selektion erkannt und zählen wünschenswerte
Merkmale der Ausbildungsanwärter auf, sind aber nicht in der Lage,
diese Eignungsindikatoren zu objektivieren. Wie aus der Voruntersuchung der FSP
(Hersberger & Hermann, 2000) und der Erhebung von de Haas und Mettler (2002)
hervor geht, wurden auch in der Schweiz in den Kursangeboten für non-professionelle
Helfer der psychologischen Nothilfe die Frage nach Eignungskriterien, welche
diese für die psychologische Nothilfe qualifizieren, sowie die Frage der Selektion der
Laien für die einzelnen Bereiche der psychologischen Nothilfe wenig berücksichtigt.
Aus diesen Voraussetzungen wurde das Hauptziel der Studie „Ausarbeitung von
praxisrelevanten Kriterien für die Selektion und Qualifikation von non-professionellen
Helfern“ entwickelt.
Um die Teilnehmenden in die Grundlagen der systematischen psychologischen Nothilfe
einzuführen, absolvieren diese zuerst einen Einführungskurs. Er hat unter anderem
zum Ziel, die angehenden non-professionellen Helfern mit der Frage nach ihrer
möglichen Eignung zu konfrontieren. Mit den weiterführenden Kursen werden folgende
Funktionen ausgebildet:
• Einzelbetreuung nach einem Ereignis (betreut Opfer, Zeugen und deren
Angehörige, kann Mitglied eines Careteams sein)
• Primär- und Sekundärprävention für Peers (führt u.a. nach Einsätzen
strukturierende Gruppengespräche in Zusammenarbeit mit einer Fachperson
durch)
• Koordinator der Psychologischen Nothilfe
Sowohl der Einführungskurs als auch die weiterführenden Fachkurse wurden von
Anfang an im Teamteaching einer BABS und einer FSP Vertretung durchgeführt. Die
positiven Erfahrungen dieser Vorgabe, wie auch der modulartige Aufbau der Ausbildung,
spielte bei der Entwicklung der Ausbildungsstandards, wie sie das „Nationale
Netzwerk Psychologische Nothilfe“ seit Januar 2006 den Kantonen zur Übernahme
empfiehlt, eine grundlegende Rolle.
Zur Erhebung allfälliger Kriterien wurden bei beiden Verfahren Stressverarbeitungsfragebogen
(Janke et al., 1985) und Bochumer Inventar zur berufsbezogenen Persönlichkeitsbeschreibung
(Hossiep & Paschen, 1998) eingesetzt. Am Ende des ersten
Kurstages bekamen die Teilnehmenden die Aufgabe, die beiden Fragebogen
auszufüllen. Am gleichen Abend wurden die Fragebogen durch die Kursleiter der
Kooperation BABS/FSP ausgewertet. Ab dem zweiten Kurstag begannen die Psychologen
FSP mit den individuellen Rückmeldungen an die Kursteilnehmenden.
Bereits nach dem Pilotkurs erwiesen sich die beiden Verfahren Stressverarbeitungsfragebogen
(Janke et al., 1985) und Bochumer Inventar zur berufsbezogenen Persönlichkeitsbeschreibung
(Hossiep & Paschen, 1998) bezüglich der Bearbeitungsdauer
für die Teilnehmenden sowie der Auswertung als eher lang. Ausgehend von
dieser Tatsache wurde das zweite Hauptziel, nämlich die Suche nach einem praktikablen
Auswahlverfahren, entwickelt.
Folgende Hauptzielsetzungen wurden mittels acht Fragestellungen beantwortet:
1. Ausarbeitung und Evaluation von Kriterien für die Selektion und Qualifikation von
nicht-professionellen Helfern
2. Suche nach einem praktikablen Auswahlverfahren
In den ersten fünf Fragestellungen wurden inhaltliche Themen bearbeitet. Methodischer
Art war die Frage bezüglich einer möglichen Verkürzung der Fragebogen sowie die Frage nach einer möglichen Korrelation zwischen den verwendeten Verfahren.
Die Zusatzfrage bezüglich des Wahlverhaltens der Kursteilnehmer dagegen
diente der Überprüfung eines Schulungsziels.
Zur Überprüfung der inhaltlichen Fragen wurden Mittelwertsvergleiche (T-Test) sowie
die einfaktorielle Varianzanalyse (ANOVA) eingesetzt. Um aufgrund der vorliegenden
Resultate aus den Fragebogen SVF und BIP bereits nach dem Einführungskurs zukünftig
die Teilnehmenden in die weiterführenden Kurse einzuteilen, wurde eine allfällige
Vorhersagbarkeit mittels einer logistischen Regression sowie mittels Diskriminanzanalyse
berechnet.
Die Klärung der methodischen Fragen setzte ein schrittweises Vorgehen voraus: Zuerst
wurde die interne Konsistenz der Verfahren berechnet. Mittels einer Reliabilitätsanalyse
wurde ermittelt, welchen Beitrag ein einzelnes Item zur Gesamtskala leistet
und ob sich die Reliabilität einer Skala steigern liesse, wenn dieses Item nicht in die
Skala einbezogen würde. Um Zusammenhänge zwischen den Skalen der beiden
Verfahren SVF und BIP zu ermitteln, wurde der Pearsons Korrelationskoeffizient berechnet.
Zusätzlich konnte mit einem Signifikanztest untersucht werden, ob ein linearer
Zusammenhang zwischen den Variablen besteht.
In der Fragestellung zu einem Schulungsziel wurde ein allfälliger Unterschied zwischen
der Präferenz für einen oder keinen der weiterführenden Kurse vor und nach
dem Einführungskurs erhoben. Da hier die gleiche Stichprobe zweimal befragt
wurde, ergaben sich Häufigkeiten, die nach dem Verfahren McNemar überprüft werden
konnten.
Zusammenfassend kann aus den Ergebnissen der inhaltlichen Fragestellungen festgehalten
werden, dass sich die Projektteilnehmer in den Itemmittelwerten von den
Probanden der Normpopulation des SFV und des BIP signifikant unterscheiden.
Beim SVF zeichnet sich eine „sigmoide“ Kurve mit einigen höheren Werten bei den
adaptiven und durchwegs tieferen Werten bei den maladaptiven Stressbewältigungsformen
ab. Beim BIP dagegen schätzen sich die Projektteilnehmer generell
tiefer ein, was möglicherweise durch die unterschiedlichen Bewertungen der Testbedingungen
erklärbar ist. Üblicherweise wird der BIP in realen Bewerbungssituationen
eingesetzt, was sich möglicherweise in einer höheren sozialen Erwünschtheit zeigt
(Steffen & Tschaut, 2004)
Personen, die ausschliesslich einen der weiterführenden Kurse besucht haben, unterscheiden
sich in einigen Skalen des SVF (Schuldabwehr, Ablenkung, Ersatzbefriedigung,
Fluchttendenz, Aggression) und des BIP (Gestaltungsmotivation, Kontaktfähigkeit,
Soziabilität, Teamorientierung, Selbstbewusstsein) signifikant von denjenigen
ohne einen weiterführenden Kurs.
Von grossem Interesse war die Frage nach der Vorhersagbarkeit im Sinne einer
Empfehlung an die Kursteilnehmenden für den einen oder anderen der weiterführenden
Kurse. Auf Grund der Datenlage ist dies für keinen der drei weiterführenden
Kurse möglich. Selbst bei ausschliesslicher Berücksichtigung der Teilnehmenden, die
nur einen weiterführenden Kurs besucht hatten, wurden noch bei der Mehrheit der
Einteilungen Falschzuordnungen ersichtlich.
Bei der Klärung der methodischen Fragestellungen zeigte der SVF in der Studie sowohl
eine gute interne Konsistenz als auch eine akzeptable Trennschärfe. Dagegen
divergieren die erhobenen Werte der internen Konsistenz und der Trennschärfe des
BIP in der Untersuchungspopulation stark von denjenigen der Normstichprobe (Hossiep
& Paschen, 2002). Der Einsatz des BIP für die Erhebung von Eignungsindikatoren
erweist sich aufgrund dieser Ergebnisse als wenig sinnvoll.
Mittels der Korrelationen zwischen den Skalen des SVF und des BIP wurde überprüft,
ob es möglich ist, aus der Skala des einen Rückschlüsse auf eine Skala des
anderen Verfahrens zu ziehen. Hervorzuheben sind einige negative Korrelation zwischen
einzelnen SVF Skalen, welche eine maladaptive Stressbewältigung erheben
und Skalen des BIP. Aus den tiefen Werten im Bereich der maladaptiven Stressbewältigung
der SVF Skalen können Rückschlüsse auf gut ausgeprägte Basisqualifikationen,
wie sie der BIP misst, gezogen werden (siehe 7.5).
Das Schulungsziel des Einführungskurses in die psychologische Nothilfe „Kennen
der verschiedenen Aufgabenbereiche der systematischen Betreuung“ kann als Intervention
betrachtet werden, welche insbesondere einen Einfluss auf die Prioritäten
der Teilnehmenden in der Wahl eines der weiterführenden Kurse hat. Hervorzuheben
ist der Wert der Pause zwischen dem Einführungskurs und den weiterführenden Kursen.
Nach dem Einführungskurs waren noch 96,5% sicher, sie würden einen der
weiterführenden Kurse besuchen. Es zeigte sich jedoch, dass bis Ende 2004 ausschliesslich
54% der Teilnehmenden tatsächlich einen der weiterführenden Kurse
besucht haben. Der Abstand (Reflexionen, Erfahrungen, finanzielle Aspekte usw.)
zwischen dem Einführungskurs und den weiterführenden Kursen kann somit als
weiteres Selektionsmittel betrachtet und deshalb beibehalten werden.
Insgesamt kann festgehalten werden, dass sich der SFV als brauchbares Verfahren
für die Selektion von non-professionellen Helfern für die psychologische Nothilfe erweist:
Von neun in der Literatur beschriebenen Eignungsindikatoren (Belastungssituationen
als Herausforderung annehmen, Kognitive und aktive Kontrolle von belastenden
Situation, Ausgeprägte Handlungsorientierung, Gegebenheiten als solche
annehmen, Emotionale Kontrolle und mentales Durchhaltevermögen, Kooperationsbereitschaft,
Emotionale Stabilität, Adaptive Stressbewältigung) sind sechs mittels
SVF überprüfbar, ein Merkmal teilweise überprüfbar und drei nicht überprüfbar. Aus
der Darstellung der Basisqualifikationen wurde ersichtlich, dass sich diese sowohl
aus Eignungsindikatoren als auch aus Schulungszielen zusammensetzen. Im Einführungskurs
und in den weiterführenden Kursen der Kooperation BABS/FSP werden
Schulungsziele wie Selbstreflexion, Problemlösen, Teamfähigkeit, Zuverlässigkeit
sowie die Förderung der persönlichen und sozialen Kompetenzen angestrebt. Allerdings
wurde bisher deren Zielerreichung noch nicht evaluiert. Aus den dargelegten
Erkenntnissen können durchaus Ansätze für die Erarbeitung von Evaluationskriterien
für die Überprüfung der Schulungsziele und für die Weiterentwicklung des Curriculums
für non-professionelle Helfer abgeleitet werden.
Die geschilderten Ergebnisse beantworten weitgehend die Frage nach den Erhebungsmöglichkeiten
von Eignungsindikatoren für die Selektion von non-professionellen
Helfern in der psychologischen Nothilfe. Allerdings musste, wie ausführlich
unter 6.4 ausgeführt, aufgrund der Ergebnisse aus den methodischen Fragestellungen
auf die Einschränkungen bei der Interpretation der Erkenntnisse aus den Erhebungen
des BIP hingewiesen werden. Mittels des verbleibenden SVF kann ausschliesslich
ein bestimmter Teil der sozialen Kompetenz erhoben werden. Die Diskussion,
ob aus der Basisqualifikation „Soziale Kompetenz“ Eignungsindikatoren abgeleitet
und mittels eines anderen Verfahrens erhoben werden können oder ob diese
Basisqualifikation als Schulungsziel angestrebt und evaluiert werden soll, könnte die
Grundlage für ein zukünftiges Versuchsdesign darstellen.
Eine Validierung der Eignungskriterien in einer weiterführenden Studie wäre mit einigen
methodischen Problemen konfrontiert und müsste wohl eher ein Monitoring der
Absolventen nach Einsätzen beinhalten.
Aus den Anforderungen in den Ausbildungsstandards des NNPN (2004/2006) wird
ersichtlich, dass sowohl eine Selektion mittels Eignungsindikatoren als auch eine auf
die Basisqualifikationen aufbauende Ausarbeitung von Schulungszielen für die weiterführende
Qualifizierung für non-professionelle Helfer in der psychologischen Nothilfe
von grundlegender Bedeutung ist. Nur durch die Umsetzung dieser Ansprüche
wird es möglich “skilled helper“ einzusetzen, die in der Lage sind, sinnvolle Hilfe anzubieten,
um das Leiden der Betroffenen zu reduzieren.
Advisors:Hermann, Ernst
Committee Members:Margraf, Jürgen
Faculties and Departments:07 Faculty of Psychology > Departement Psychologie > Ehemalige Einheiten Psychologie > Abteilung Clinical Child and Adolescent Psychology
UniBasel Contributors:Hermann, Ernst and Margraf, Jürgen
Item Type:Thesis
Thesis Subtype:Doctoral Thesis
Thesis no:7908
Thesis status:Complete
Number of Pages:176
Language:German
Identification Number:
edoc DOI:
Last Modified:01 Apr 2019 11:50
Deposited On:13 Feb 2009 16:03

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