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Das Sprachspiel der Schuld

Merkel, Grischa. (2012) Das Sprachspiel der Schuld. In: Schuld und Strafe – neue Fragen. München, pp. 19-37.

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Official URL: http://edoc.unibas.ch/39433/

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Abstract

In seinem im Jahre 2009 erschienen Buch „El fantasma de la libertad. Datos de la revolución neurocientífica“ stellt der Mediziner und Neurowissenschaftler Francisco Rubia erneut die Frage nach der Legitimation der Schuldstrafe vor dem Hintergrund neurowissenschaftlicher Forschung. Rubia und mit ihm viele andere Hirnforscher gehen davon aus, die Forschung zeige oder lege zumindest nahe, dass Menschen nicht willensfrei, sondern determiniert durch die Vorgänge ihres Gehirns sind. Dann können sie aber, so Rubia, für ihre Taten nicht verantwortlich gemacht und nicht bestraft werden. Der Streit darum, ob die Bedingungen der Strafbarkeit mit den Erkenntnissen der Hirnforschung vereinbar sind, dauert nun bereits seit der Mitte der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts an. Gleichwohl ist bislang keine alle Seiten befriedigende Antwort, ja, nicht einmal eine Annäherung in den Positionen gefunden worden. Unabhängig von der Richtigkeit oder Falschheit der Annahmen Rubias wird man deshalb konstatieren müssen, dass es ein offenbar verbreitetes Verständnis einer Willensfreiheit als Schuldvoraussetzung gibt, das mit den Möglichkeiten der Sichtbarmachung neuronaler Prozesse mittels sogenannter bildgebender Verfahren der Hirnforschung für viele fragwürdig geworden ist. Entsteht in Teilen der Gesellschaft aber der Eindruck, das Strafrecht komme auch dann zur Anwendung, wenn die zumindest vermuteten Bedingungen der Strafbarkeit nicht vorliegen, so resultiert daraus ganz zweifellos ein Legitimationsproblem: entweder wird tatsächlich ohne Rechtsgrund bestraft oder die Voraussetzungen strafrechtlicher Schuld werden von Strafrechtlern heute anders verstanden als von juristischen Laien. Für die Legitimität des Strafrechts kommt es indes nicht darauf an, welcher Schuldbegriff unter Experten der herrschende ist – sofern sich ein solcher überhaupt ausmachen lässt –, sondern von welchem Schuldbegriff die Gesellschaft ausgeht. Denn von deren Akzeptanz hängt der strafrechtliche Eingriff des Staates in die Rechte der Bürger ab. Wenn auch nach den vielen Jahren des nun schon währenden Disputs die Argumente auf beiden Seiten offenbar nicht zu überzeugen vermögen, dann befindet sich das Strafrecht zweifelsohne (wieder einmal) in einer substanziellen Krise.
Faculties and Departments:02 Faculty of Law > Departement Rechtswissenschaften > Ehemalige Einheiten Rechtswissenschaften > Assistenzprofessur Ethik und Recht (Merkel)
UniBasel Contributors:Merkel, Grischa
Item Type:Conference or Workshop Item
Conference or workshop item Subtype:Conference Paper
Publisher:C.H. Beck
ISBN:978-3-406-63546-5
Note:Publication type according to Uni Basel Research Database: Conference paper
Last Modified:16 May 2017 14:26
Deposited On:16 May 2017 14:26

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