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Leben am Rande der Welt - Zu den Tierknochen aus Brunnen und Gruben des römischen Vicus von Groß-Gerau

Deschler-Erb Sabine, . (2009) Leben am Rande der Welt - Zu den Tierknochen aus Brunnen und Gruben des römischen Vicus von Groß-Gerau. In: Gross-Gerau. Bd. 1, Der römische Vicus von Gross-Gerau, "Auf Esch" : die Baubefunde des Kastellvicus und der Siedlung des 2.-3. Jahrhunderts. Bonn, pp. 255-299.

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Official URL: http://edoc.unibas.ch/dok/A5252335

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Abstract

Tiere spielten während der ganzen Besiedlungszeit von Groß-Gerau eine wichtige und vielfältige Rolle, sei es als Nahrungs- und Rohstofflieferant oder als Arbeits-, Reit- und Bezugstier. Häufigste Tierart war während der ganzen Besiedlungszeit das Hausrind, gefolgt von Schaf/Ziege oder Schwein. Zur Zeit des lagerzeitlichen Vicus war der Hausrindanteil noch weniger stark dominant als später im zivilen Vicus. Dies dürfte einerseits mit der intensiveren regionalen Landwirtschaft im 2.Jh., andererseits mit dem Verschwinden der Gerbereibetriebe nach dem Abzug der Truppen zusammenhängen. Dieses Ereignis widerspiegelt sich auch bei anderen Tierarten: Der Anteil der Austern ist im lagerzeitlichen Vicus deutlich höher als im zivilen; im 3.Jh. fällt dieser Fernimport ganz weg. Auch der Wildtieranteil ist im lagerzeitlichen Vicus noch doppelt so hoch wie im zivilen, was eindeutig auf militärischen Einfluss zurückzuführen ist. Die veränderte Zusammensetzung der Jagdstrecke im 2.Jh. könnte ebenfalls mit dem Abzug der Truppen in Zusammenhang stehen; zusätzlich müssen hierbei aber auch landschaftliche Veränderung in der näheren Umgebung von Groß-Gerau in Erwägung gezogen werden. Kaum abschätzbar ist der Anteil und somit die Bedeutung der Equiden im Vicus. In den meisten Brunnen und Gruben fanden sich vereinzelte Knochen dieser Tierart. Der grösste Anteil der Equidenknochen gehört aber zu Teilskeletten, die von Kadavern stammen, die in den Brunnen und Gruben entsorgt wurden. Im römischen Vicus wurde Pferdefleisch nur wenig gegessen, während dies für die alamannische Bevölkerung durchaus üblich war. Die meisten Hundeüberreste fanden sich in Form von Teilskeletten. Hundefleisch scheint im Gegensatz zu Pferdefleisch gar nicht gegessen worden sein. Unter den Handwerkszweigen, die in römischer Zeit tierische Rohmaterialien verarbeiteten, scheint in Groß-Gerau nur die Gerberei in grösserem Umfange betrieben worden sein. Häute von Schaf/Ziegen wurden viel häufiger verarbeitet als solche vom Rind. Da fast alle Gerbereiabfälle in die Phase IIa-b datieren, darf ein militärischer Zusammenhang als gesichert gelten. Die Verarbeitung von Horn ist nur vereinzelt und mit unprofessionellen Methoden belegt. Dieses Handwerk dürfte folglich nur im häuslichen Rahmen ausgeübt worden sein. Es fanden sich wenige gebrauchsfertige Knochenartefakte, die als Fertigimporte zu bezeichnen sind, da die Knochenverarbeitung in Groß-Gerau nicht belegt ist. Hingegen fanden sich mehrere nicht oder kaum bearbeitete Hirschgeweihe. Ob und was für Geweihobjekte hergestellt wurden, muss offen bleiben. Die Vicusbevölkerung versorgte sich -zumindest teilweise- mit selbst produzierten Nahrungsmitteln. Kleinviehhaltung von Schweinen, Schafen und Ziegen, ist für alle Phasen nachweisbar. Auch Rinderhaltung ist belegt, wobei für Phase IIIa die Nachweise aber fehlen. Dies könnte darauf hindeuten, dass im 2.Jh. die Landwirtschaft vermehrt in den Händen des in der Region nun etablierten Villensystems lag und die Rinder auf den Gutshöfen gehalten wurden. Darauf deutet auch die Grössenentwicklung, die bei den Rinderknochen aus Groß-Gerau nachgezeichnet werden konnte: Für den lagerzeitlichen Vicus sind hauptsächlich extrem kleine Rinder belegt, was auf eine einheimische „Rasse“ hindeutet. Daneben fanden sich Knochen mindestens eines extrem grossen Stieres, der offensichtlich zu Zuchtzwecken nach Groß-Gerau gebracht wurde. Diese Bemühungen müssen von Erfolg gekrönt gewesen sein, denn die durchschnittliche Rindergrösse hat im zivilen Vicus zugenommen. Da Rinder in der römischen Kultur vor allem als Zugtiere von Pflug und Wagen eingesetzt wurden, ist diese Vergrösserung ein Zeichen dafür, dass sich die römische Landwirtschaft in der Gegend von Groß-Gerau im 2.Jh. allmählich etabliert hatte. Während diese Entwicklung im 3.Jh. stagnierte, ist für die alamannische Zeit wieder ein Rückgang der Körpergrösse und somit der römischen Intensivlandwirtschaft festzustellen. Die gleiche Grössenentwicklung ist nicht nur bei den Rindern, sondern auch bei Schaf/Ziege und Hund festzustellen. Für die Vicusbewohner war nicht nur die Vieh-, sondern auch die Geflügelhaltung von Bedeutung. Da sich die Vogelknochen vor allem in den hintersten Räumen/Höfen der Parzellen fanden, ist anzunehmen, dass sich hier auch die Geflügelhaltung abspielte. Auch das Kleinvieh scheint hier gehalten worden sein, wie die Funde zahlreicher Schweinefoeten aufzeigen. Gerbereiabfälle fanden sich am häufigsten im mittleren Parzellenteil, weshalb man hier die Werkstätten vermuten möchte. Gute Speiseabfälle wie Austernschalen und Wildtierknochen fanden sich vermehrt in den Räumen, die zur Hauptstrasse lagen, weshalb hier hier vielleicht nicht nur die Wohnräume, sondern auch Tabernen lagen, in denen den Passanten Speis und Trank angeboten wurde.
Faculties and Departments:05 Faculty of Science > Departement Umweltwissenschaften > Integrative Biologie > Integrative Prähistorische und Naturwissenschaftliche Archäologie (IPNA Schünemann)
UniBasel Contributors:Deschler-Erb, Sabine
Item Type:Book Section
Book Section Subtype:Book Chapter
Publisher:Habelt
ISBN:978-3-7749-3637-9
Series Name:Frankfurter archäologische Schriften
Issue Number:9
Note:Publication type according to Uni Basel Research Database: Book item
Last Modified:22 Mar 2012 14:30
Deposited On:22 Mar 2012 14:13

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