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Mobilitätsbiografie und Netzwerkgeografie. Kontaktmobilität in ego-zentrierten Netzwerken

Ohnmacht, Timo. Mobilitätsbiografie und Netzwerkgeografie. Kontaktmobilität in ego-zentrierten Netzwerken. 2009, Doctoral Thesis, University of Basel, Faculty of Humanities and Social Sciences.

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Official URL: http://edoc.unibas.ch/diss/DissB_8832

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Abstract

Vor dem Hintergrund der erkennbaren zunehmenden Mobilisierung sozialer Akteure – sowohl
im kurzfristigen Alltag als auch bei längerfristigen Standortentscheidungen – stieg in
jüngster Vergangenheit das Interesse der Sozialwissenschaften an der räumlichen Mobilität
sozialer Akteure und den daraus resultierenden Auswirkungen auf die sozialen Prozesse
der Vergemeinschaftung. Auf diesem Forschungsgebiet aufbauend steht in dieser Arbeit
die Wechselwirkung von Raum, Mobilität und sozialen Netzwerken im Mittelpunkt der
Betrachtung. Die Arbeit verfolgt dabei drei Forschungsziele:
� Erstens ist die Analyse des Zusammenhanges zwischen mobilitätsbiografischen Ereignissen
und der sozialräumlichen Dimension der Vergemeinschaftung von Interesse.
Auf empirischer Ebene steht die Identifizierung von Einflussmerkmalen der
Mobilitätsbiografie und von soziodemografischen und -ökonomischen Kovariaten im
Vordergrund, die auf die räumliche Anordnung sozialer Netzwerke Einfluss nehmen.
Zugrunde liegen folgende Fragestellungen: Welche Ereignisse im Lebensverlauf können
die räumliche Anordnung sozialer Beziehungen erklären und welche soziologischen
Einflussfaktoren stehen dahinter? Konkret: Warum konstituiert sich die eine
Biografie ausgedehnter, die andere weniger ausgedehnt im Raum? Die Leithypothese
des ersten Teils der Fragestellung lautet: Je ereignisreicher sich der Lebensverlauf
im Hinblick auf Mobilitätsereignisse eines Akteurs gestaltet, desto räumlich
disperser ordnet sich sein soziales Netz an.
� Zweitens evoziert die Anordnung sozialer Beziehungen bestimmte Mobilitätsformen.
Das Interesse liegt hierbei beim Raum-Zeit-Verhalten des Kontakterhalts. Dies soll
in Abhängigkeit von der räumlichen Dispersion sozialer Beziehungen untersucht
werden. Bezogen auf die Empirie interessieren hierbei die Anzahl an aktiven Kontakten
der Akteure, die Netzwerkgeografie, sowie ergänzend die Verkehrswerkzeuge,
mit denen der Kontakt zu Partner oder Partnerin, Freunden, Verwandten und Bekannten
hergestellt wird.
� Drittens ist der soziale Rückhalt von Bedeutung, der durch die räumliche Anordnung
sozialer Beziehungen unterschiedliche Dimensionen annehmen kann.
Die Arbeit fusst auf drei empirischen Detailanalysen, um diese Forschungsfragen zu
untersuchen. Die empirischen Analyse fördern folgende Ergebnisse zu Tage:
� In der ersten empirischen Detailanalyse wurden die Kontaktanzahl und die Netzwerkgeografie
von ego-zentrierten Netzwerken für den Fall Zürich getrennt von einander
analysiert. Im Hinblick auf die Kontaktanzahl zeigt sich, dass jüngere Personen
mehr Kontakte pflegen. Ebenfalls unterhalten Personen mit Abonnementen des
öffentlichen Verkehrs mehr Kontakte. Dies gilt ebenfalls für Personen mit häufigen
Wohnortwechseln, höherem Bildungsniveau, Vollzeitbeschäftigte und mit Kindern
im Haushalt. Im Hinblick auf die Netzwerkgeografie zeigt sich, dass junge Menschen,
ein hohes Bildungsniveau, Fahrzeugbesitz, ausbildungs- und berufsbedingte
Wohnortwechsel mit einem räumlich expansiven Netzwerk assoziiert sind.
� In der zweiten empirischen Detailanalyse wurde der Einfluss der Mobilitätsbiografie
auf die Netzwerkgeografie unter Kontrolle der Kontaktanzahl anhand einer Stichprobe
aus der Stadt Zürich empirisch untersucht. Bezüglich der Netzwerkgeografie
kann aufgezeigt werden, dass die Grösse der Netzwerkgeografie durch die Anzahl
mobilitätsbiografischer Ereignisse anwächst, während eine starke lokale Verbundenheit
mit räumlich kompakten Bezügen des Sozialen einhergeht.
� In der dritten empirischen Detailanalyse wurden die wichtigsten Merkmale von Mitgliedern
der schweizerischen Wohnbevölkerung hinsichtlich ihrer engen überlokalen
Beziehungen untersucht. Es zeigt sich, dass die folgenden Merkmale dieWahrscheinlichkeit
erhöhen, dass mindestens eine von vier genannten engen Bezugspersonen
ausserhalb des eigenen Wohnortes lebt:
– jüngeres Alter,
– Einpersonenhaushalt,
– Schweizer Staatsbürgerschaft,
– aktive Mitgliedschaft in Vereinen,
– Leben an einem anderem Wohnort als im Alter von 14 Jahren,
– Arbeit ausserhalb des Wohnortes,
– Interesse an Politik, sowie
– der Wunsch, mehr Zeit mit Freunden zu verbringen.
Im Gegensatz hierzu verringern folgende Faktoren die Wahrscheinlichkeit enger
überlokaler Beziehungen:
– Leben in einer Grossstadtregion,
– höheres Lebensalter,
– ein niedriger Bildungsabschluss,
– eine starke Wohnortverbundenheit.
Die empirischen Ergebnisse werden vor dem Hintergrund der Theorien zur Raumsoziologie,
Mobilitätssoziologie und zum sozialen Kapital reflektiert. Zusammenfassend
ergeben sich folgende zentralen Erkenntnisse aus der Arbeit:
� Verkehrsforscher und verkehrspolitische Entscheidungsträger haben sich bislang nur
unzureichend mit der Frage beschäftigt, welche Auswirkungen eine vernetzte Gesellschaft
im Hinblick auf eine komplette Neuordnung des Verkehrs- und Reisewesens
hat. Künftig wird das Reiseverhalten der Menschen nicht nur von den üblicherweise
erörterten Megatrends Verstädterung, demografischer Wandel oder städtische Zersiedelung,
sondern auch von einer „sozialen Zersiedelung“ im Sinne der räumlichen
Organisation der sozialen Beziehungen beeinflusst.
� Was sozial bedingtes Reiseverhalten betrifft, so kann behauptet werden, dass der
Sozialraum und seine Organisation im (Reise-) Verhalten der sozialen Akteure zum
Ausdruck kommt und somit ein Produkt menschlichen Handelns darstellt. Räumliche
Entfernungen lassen sich mit Hilfe von verschiedenen Formen der Mobilität
wie beispielsweise Reisen oder Kommunikationstechnologien überwinden.Wenn von
Reiseverhalten die Rede ist, geht es nicht nur um materiellen Wohlstand, menschliche
Werte oder die gebaute Umwelt. Vielmehr bilden Reisen die Grundlage für die
Teilnahme am sozialen Leben.
� Die räumlich disperse Anordnung enger sozialer Bezugspersonen stellt ein Hindernis
für die aus ökologischen Gründen erforderliche Verringerung des motorisierten
Verkehrsaufkommens dar. Sie wirkt den Bemühungen der Politik um eine Reduzierung
des PW-Verkehrs entgegen, um die negativen Auswirkungen des Verkehrsaufkommens
zu verringern. Dies bezüglich ist zu erwähnen, dass mit nachteiligen
Auswirkungen auf das soziale Kapital und folglich auch auf das Wohlbefinden, die
Lebensqualität und die soziale Gesundheit der Menschen zu rechnen ist, wenn weniger
Reisen unternommen werden können.
� Für ein besseres Verständnis des Reiseverhaltens sind Aussagen über individuell
gebildete Sozialräume, die durch die unregelmässigen gegenseitigen Besuche der
sozialen Akteure erkennbar werden, erforderlich. Es sind Erkenntnisse über neue
Formen der Pflege von sozialen Beziehungen nötig, um menschliches Reiseverhalten
unter dem Blickwinkel der räumlichen Anordnung von Bezugspersonen erklären zu
können.
Die vorliegende Forschungsarbeit vermittelt einen ersten Überblick über einige wichtige
Statistiken, welche Merkmale der räumlichen Verteilung von sozialen Kontakten für
die Schweiz behandeln. Offene Fragen, die hier nicht betrachtet wurden sind, z. B.: Wie ist sozialer Zusammenhalt trotz hoher gesellschaftlicher, räumlicher und sozialer Mobilität
möglich und welche Auswirkungen hat die soziale und räumliche Mobilisierung auf
die soziale Differenzierung gesellschaftlicher Zusammenhänge? Wie schaffen es Menschen,
ihre Netzwerk-Diaspora physisch und im Hinblick auf ihr soziales Kapital aufrecht zu erhalten?
Diese Forschung konnte nur auf ego-zentrierte Netzwerk Bezug nehmen, aktuelle
empirische Arbeiten, die Gesamtnetzwerke erfassen, lassen noch mehr Einblicke erhoffen
(vgl. weiterführend Kowald et al., 2008). Diese Arbeit präsentierte erste empirische Ergebnisse
zur räumlichen Struktur ego-zentrierter Netzwerke in der Schweiz. Das komplexe
Wechselspiel zwischen Raum, Gesellschaft und Mobilität wurde anhand von theoretischen
Arbeiten aufgezeigt und in empirisch überprüfbare Hypothesen überführt, die an aktuelle
Forschungsfelder und -lücken anschliessen lassen. Die eigenen empirischen Ergebnisse
stellen einen wichtigen Beitrag zur aktuellen Forschung in der Raumsoziologie, Verkehrsforschung
und der Sozialkapitalforschung im Themenfeld der sozialen Netzwerken und
Mobilität dar.
Advisors:Bergman, Max M.
Committee Members:Axhausen, Kay W.
Faculties and Departments:04 Faculty of Humanities and Social Sciences > Departement Gesellschaftswissenschaften > Fachbereich Soziologie > Sozialforschung und Methodologie (Bergman)
Item Type:Thesis
Thesis Subtype:Doctoral Thesis
Thesis no:8832
Thesis status:Complete
Number of Pages:242
Language:German
Identification Number:
edoc DOI:
Last Modified:23 Feb 2018 11:44
Deposited On:13 Nov 2009 10:06

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